Jan van AkenDIE LINKE - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um Afghanistan ist hier im Bundestag in den letzten 13 Jahren schon so viel gelogen worden, dass ich es echt leid bin, und Sie haben genau da weitergemacht, Frau von der Leyen.
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Henning Otte [CDU/CSU]: Was? Haben Sie gerade „gelogen“ gesagt? – Rainer Arnold [SPD]: Wenn man Ihre Rede liest, dann stimmt dies!)
Ich bitte, eine solche Unterstellung zu unterlassen. Das entspricht nicht dem parlamentarischen Gebrauch.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, genau! Das ist unerträglich! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Der kann nicht anders! – Henning Otte [CDU/CSU]: Genau! Das ist eine Frechheit!)
Frau Präsidentin, ob man die Wahrheit sagt oder nicht, ist eine faktische Frage.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Deine Wahrheit ist nie die Wahrheit!)
Ich kann das Faktum, dass sie die Unwahrheit gesagt hat, hier belegen. Danach würde ich Sie gerne bitten, noch einmal zu überlegen, ob dieser Einwurf von Ihnen eben richtig war oder nicht.
(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Unverschämt! – Henning Otte [CDU/CSU]: So geht das aber nicht, Frau Präsidentin!)
Lassen Sie mir jetzt kurz Zeit, die Aussage bezüglich der Unwahrheit zu belegen. Dann können wir darüber reden, ob das nun stimmt oder nicht.
Frau von der Leyen hat eben wörtlich gesagt – ich zitiere –: „Es ist kein Kampfeinsatz mehr.“ Genau dieser Satz entspricht nicht der Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN)
Frau von der Leyen weiß es, und Sie wissen es: In dem Mandat, über das Sie gleich abstimmen werden,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Du auch!)
steht ausdrücklich drin, dass auch Spezialkräfte eingesetzt werden.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Zur Geiselbefreiung!)
Es steht ausdrücklich drin, dass die deutsche Bundeswehr auch in den nächsten Jahren in Afghanistan für Kämpfe eingesetzt wird, nämlich dann, wenn es um den Schutz und die Sicherheit anderer Soldaten geht, auch anderer NATO-Soldaten, auch US-amerikanischer Soldaten.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Ja, zur Geiselbefreiung!)
Sie, Frau von der Leyen, und Sie alle hier wissen – auch ich weiß es –, dass die 9 000 US-amerikanischen Soldaten, die weiterhin in Afghanistan bleiben, auch einen Kampfauftrag haben.
(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Aber wir mandatieren ja nicht die Amerikaner!)
Auf Deutsch heißt das: Wenn NATO-Soldaten oder Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden, dann kann, darf und wird die Bundeswehr eingreifen, zur Hilfe schreiten und auch in Kämpfe verwickelt werden. Damit ist das Mandat, das Sie vorgelegt haben, auch ein Mandat, zu kämpfen. Da waren Sie eben unehrlich, auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten.
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Werden Sie doch nicht so laut! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Die Logik ist vollkommen falsch!)
Herr van Aken, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja.
Bitte.
Generell wäre zunächst einmal meine Bitte im Hinblick auf den Begriff „Wahrheit“, die Reden, die Sie in den letzten Jahren über Afghanistan gehalten haben, mit der Wirklichkeit zu vergleichen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Die sollte man als Buch herausbringen und es an Schulen verteilen! Das wäre sehr hilfreich!)
Ich finde aber: Noch schlimmer, als die Unwahrheit zu sagen, ist es, Halbwahrheiten zu verbreiten.
Genau.
Exakt dies haben Sie gerade getan.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Er ist der Meister der Unwahrheiten!)
Das, was Sie gesagt haben, ist eine Halbwahrheit. In diesem Mandat ist von einer Möglichkeit die Rede, die dann eine Rolle spielt, wenn Menschen in extremer Situation in Bedrängnis geraten; ich sage das jetzt in meinen Worten und verwende nicht den englischen Begriff.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, das hat er doch gesagt! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Nein, das hat er eben nicht gesagt!)
– Er hat gesagt: Wenn Afghanen kämpfen, dann geht man einfach raus, um denen zu helfen. – Dann müssten wir jeden Tag rausgehen, um zu helfen, weil die Afghanen jeden Tag kämpfen.
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, genau so ist es!)
Dies gibt dieses Mandat, Herr van Aken, aber definitiv nicht her.
Es geht darum: Kommen zum Beispiel Entwicklungshelfer in Bedrängnis, muss man ihnen auch mit Waffengewalt beistehen, damit sie nicht umgebracht werden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben letzte Woche in Kabul erlebt, dass 16-jährige Jugendliche als Selbstmordattentäter missbraucht und deutsche Entwicklungshelfer, die im dortigen französischen Kulturzentrum Gutes leisten wollten, in die Luft gejagt wurden. In solchen Situationen sollen die kleinen Fähigkeiten – es sind ja gar nicht viele Fähigkeiten – im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen.
Meine Frage: Wenn eine solche Situation entsteht und die Bundeswehr mit einer Fähigkeit dort ist – es sind nicht viele; aber sie hat eine gewisse Fähigkeit –, soll die Bundeswehr und sollen wir als Politiker dann sagen: „Nein, wir helfen euch nicht, weil wir das nicht mandatiert haben“?
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Also doch ein Kampfmandat! Jetzt haben Sie ihm ja recht gegeben! – Gegenruf des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist doch deswegen kein Kampfmandat!)
Sind Sie nicht vielmehr der Meinung, dass es klug ist, für solche Extremsituationen im Interesse der Soldaten und der Menschen in Bedrängnis auch rechtlich Vorsorge zu treffen? Sind Sie nicht der Auffassung, das ist besser?
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Genau! Jetzt zeigen Sie mal, ob Sie ein Herz haben oder ob Sie kein Herz haben!)
Herr Arnold, wenn Sie mich zitieren, dann zitieren Sie mich bitte richtig.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie ein Herz oder nicht?)
Ich habe eben auf gar keinen Fall gesagt, dass die Bundeswehr irgendwelchen Afghaninnen und Afghanen zu Hilfe kommt; denn das steht gar nicht im Mandat. In dem Mandat steht ausschließlich, dass sie anderen Bundeswehrsoldaten und anderen internationalen Soldaten der Resolute Support Mission zu Hilfe kommen wird, und genau das habe ich auch gesagt. – Das erst einmal zu den Fakten. Das steht da drin!
Herr Arnold, stellen Sie sich jetzt doch bitte einmal Folgendes vor: Die Amerikaner, die dort einen Kampfauftrag haben und in Kämpfe verwickelt sind, rufen um Hilfe, und deutsche Spezialkräfte, die Sie gleich mandatieren wollen, sind vor Ort. – Sie werden dann natürlich einschreiten. Sie sagen ja selbst, dass das passieren soll. Das ist dann auch ein Kampfeinsatz. Es ist einfach falsch und unwahr, wenn die Ministerin hier sagt, es ist kein Kampfeinsatz mehr.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist doch der ganz entscheidende Punkt. Machen Sie sich doch endlich einmal ehrlich!
Seit 13 Jahren wird über Afghanistan gelogen. Das fing an mit einem Gerhard Schröder, der hier stand und sagte: sechs Monate und nur in Kabul. – Wo sind denn die 55 Soldaten der Bundeswehr gestorben? Wo wurde gekämpft? In Masar-i-Scharif, in Kunduz und überall. Nichts davon war wahr – von der ersten Minute bis heute nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde es einfach unerträglich, dass, wenn jetzt Bundeswehrsoldaten zuhören – möglicherweise Bundeswehrsoldaten, die in einem Monat dorthin geschickt werden –, sie von der Ministerin hören, das ist kein Kampfeinsatz mehr, aber die Wahrheit ist das Gegenteil. Das geht so nicht!
(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Haben Sie einmal reflektiert, ob es eine Verpflichtung zur Nothilfe gibt?)
Von der ersten Stunde vor 13 Jahren an ging es hier immer so weiter. Sie haben hier die ganze Zeit immer wieder über Brunnenbau, über Aufbau und über Mädchenschulen geredet, aber keiner hat hier ein Wort über Krieg, über die ganzen Toten und über das Leid verloren. Das kam niemals von jemandem von Ihnen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch unwahr! Das ist jetzt gelogen!)
Ich bin seit fünf Jahren im Bundestag. Seit vier Jahren höre ich in diesem Hause bei jeder Afghanistan-Debatte: Ende 2014 wird die Bundeswehr abgezogen, Ende 2014 wird der letzte Bundeswehrsoldat Afghanistan verlassen haben. – Und was werden Sie in wenigen Minuten machen? Sie werden weitere 850 deutsche Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten für weitere ein bis zwei Jahre nach Afghanistan schicken. Das ist einfach das Gegenteil von einem Abzug.
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das stimmt doch auch wieder nicht! Das, was Sie sagen, stimmt doch gar nicht! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist so etwas von gelogen!)
Es ist vorprogrammiert, dass dort im nächsten Jahr auch deutsche Bundeswehrsoldaten in Kämpfe verwickelt werden. Dazu müssen Sie endlich stehen. Nennen Sie einen Krieg einen Krieg, und ziehen Sie endlich die deutschen Soldaten aus diesem Krieg ab!
(Beifall bei der LINKEN)
An einem Punkt finde ich Ihre Unehrlichkeit richtig beschämend.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind beschämend!)
Sie haben all den Afghaninnen und Afghanen, die in den letzten 13 Jahren für Deutschland, für die Bundeswehr, für die NATO, für die ISAF und für deutsche Entwicklungshilfeorganisationen tätig waren, zugesagt, dass sie hier nach Deutschland in Sicherheit kommen können; denn sie werden in Afghanistan als Kollaborateure mit dem Feind – mit der ISAF, mit der NATO, mit Deutschland – bedroht. Sie haben ihnen zugesagt, sie könnten herkommen. Was müssen wir jetzt erfahren? Ein paar dürfen kommen, viele andere lehnen Sie aber einfach ab. Es gibt Menschen in Afghanistan, die für die Bundeswehr gearbeitet haben und jetzt mit dem Leben bedroht werden, und Sie lassen sie hier nicht herein. Wenn Sie wirklich ehrlich sind, dann lassen Sie alle, die in den letzten 13 Jahren für Sie gearbeitet haben, hier herein. Alles andere ist auch eine Unehrlichkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zur Unehrlichkeit gehört auch, dass fast alle von Ihnen die afghanischen Opfer dieses Krieges schlichtweg ignorieren.
(Beifall bei der LINKEN)
In der letzten Debatte dazu in der letzten Sitzungswoche haben Sie alle hier der gefallenen deutschen Soldaten gedacht. Frau von der Leyen hat das eben auch getan. Aber genauso wenig wie Sie alle hier am rechten Rand des Hauses in der letzten Sitzungswoche
(Lachen bei der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
hat auch Frau von der Leyen nicht ein einziges Wort – nicht ein einziges Wort! – über die afghanischen Opfer verloren.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie sind peinlich!)
Zehntausende Afghaninnen und Afghanen und Tausende internationale Soldaten und Entwicklungshelfer sind dort gestorben, und ich finde, wir sollten uns aus diesem Anlass jetzt einen kleinen Moment des Innehaltens gönnen
(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber nicht bei Ihnen, nicht für die Polemik von Ihnen!
und allen Opfern dieses Krieges gedenken, und zwar egal welcher Nation.
(Beifall bei der LINKEN – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist echt peinlich! – Dagmar Ziegler [SPD]: Schämen Sie sich! Dass überhaupt noch jemand für Sie klatscht, ist beschämend! – Rainer Arnold [SPD]: Das ist unglaublich!)
– Sie rufen hier herein: „Das ist unglaublich!“ Wissen Sie, was ich unglaublich finde? Ich finde es unglaublich, dass keiner von Ihnen, keiner aus der SPD-Fraktion, keiner aus der CDU/CSU-Fraktion und auch Frau von der Leyen nicht, es für nötig befindet, auch nur ein einziges Wort des Gedenkens über die afghanischen Opfer zu sagen.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Woher wollen Sie das denn wissen?)
Dort sind sehr viele Menschen gestorben, und Sie gehen einfach darüber hinweg. Das geht überhaupt nicht. Ich finde das beschämend für dieses Haus.
(Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie einmal die Protokolle!)
– Ich habe alle Protokolle gelesen, Herr Arnold.
(Rainer Arnold [SPD]: Dann wüssten Sie es! – Dagmar Ziegler [SPD]: Lesen allein reicht nicht! Verstehen!)
Herr Arnold, Sie haben der deutschen Soldaten gedacht. Das finde ich richtig. Das tun wir auch.
Herr van Aken, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?
Ja. – Herr Arnold, ich erwarte von Ihnen, dass Sie dann auch der Opfer der deutschen Soldaten gedenken, nicht nur der Opfer unter den deutschen Soldaten.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Zwischenfrage lasse ich zu.
Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr van Aken, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass der internationale Einsatz auf Bitten der afghanischen Regierung stattgefunden hat?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ja. Das nehme ich zur Kenntnis. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass der internationale Einsatz damit angefangen hat, dass, bevor der Bundeswehr- und der ISAF-Einsatz angefangen haben, die US-Armee einen völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan geführt hat. So fing das Ganze an.
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn!)
Dann wurde Ende 2001 zur Unterstützung von Kabul die internationale Mission zum Aufbau beschlossen. Aber einen internationalen Beschluss zum Kriegführen gegen die Afghaninnen und Afghanen hat es nie gegeben. Da haben Sie sich mitschuldig gemacht, auch Sie, Herr Otte.
(Beifall bei der LINKEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen VN-Beschluss!)
Ich kann ja verstehen, dass Sie das nicht hören wollen. Ich kann ja verstehen, dass Sie sich aufregen; denn Sie alle haben in den letzten 13 Jahren den Arm gehoben. Sie alle haben zugestimmt, dass die NATO dort Krieg führt gegen die Menschen in Afghanistan.
(Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch Sie haben zugestimmt, Herr Omnipour.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich heiße Nouripour!)
Auch Sie sind mit daran schuld, wenn in diesen Tagen immer wieder junge Menschen den Terroristen in die Hände getrieben werden.
Herr van Aken, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie haben die Zeit weit überschritten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wurde die Uhr angehalten?
Das habe ich schon dazugelegt.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte.
(Beifall bei der LINKEN)
Waffenexporte finden wir als Linke genauso falsch wie den Krieg in Afghanistan. Wir werden genauso weiter dagegen kämpfen wie gegen Ihren Krieg in Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Sarrazin, wünschen Sie eine Kurzintervention?
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4292593 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan (RSM) |