Martin BurkertSPD - 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede noch einmal folgende Worte von Altbundeskanzler Helmut Schmidt in Erinnerung rufen:
(Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Er hat damals den Grundstein für eine Bahnreform gelegt, die am 1. Januar 1994 begonnen wurde. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Altbundeskanzler hat die Weichen richtig gestellt; auch das kann man nach 20 Jahren sagen. Die Verschuldung in Höhe von 70 Milliarden D-Mark, Kollege Ferlemann, war sicherlich damals ein Grund für eine Reform; das ist sicher.
Misst man das Ganze auf einer Waagschale, so kann man heute sagen: Die Bahnreform ist insgesamt – nach 20 Jahren – ein Erfolg. Es lohnt sich, heute eine Standortbestimmung vorzunehmen: Wo steht die Bahn mit ihrer großen Strukturreform? Eines ist sicher: dass in den letzten 20 Jahren im Schienenbereich viel geleistet worden ist.
Ich möchte mich heute bei allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern, ausdrücklich auch bei den Beamten, die bei der Deutschen Bahn AG arbeiten, bedanken.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben mit einer 200-prozentigen Produktivitätssteigerung diese Reform zum Erfolg gebracht.
Ich bedanke mich auch bei der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und bei der Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter, die mit vielen Tarifverträgen auch ihren Beitrag zum Erfolg geleistet haben. Besonders ist hierbei das bahninterne Arbeitsamt DB JobService zu nennen.
Die Bahnreform war 1994 mit drei maßgeblichen Hauptzielen auf den Weg gebracht worden: mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, die Leistungsfähigkeit der Bahn zu erhöhen und den Bundeshaushalt zu entlasten. An diesen Punkten kann man die Reform der Bahn also messen, und wir können klar feststellen: Hier wurde viel erreicht. Wir haben heute – erstens – mehr Verkehr und Wettbewerb auf der Schiene. Wir haben – zweitens – ein leistungs- und wettbewerbsfähiges, gut geführtes Unternehmen, und – drittens – sind die Belastungen des Bundeshaushalts heute niedriger als damals. Ganz im Gegenteil: Heute bekommen wir eine Dividende von der Deutschen Bahn.
Die Deutsche Bahn steht also gut da und ist auch im europäischen Vergleich mit Netz und Betrieb ein wettbewerbsfähiges Unternehmen. Über 370 Schienenverkehrsunternehmen nutzen das deutsche Eisenbahnnetz.
Mehr Verkehr auf der Schiene entlastet unsere Straßen, ist umweltfreundlich und damit ein wichtiger Beitrag für eine sinnvolle und gute Mobilitätsstruktur und vor allem für unser Klima, liebe Kolleginnen und Kollegen. Besonders der Zuwachs im Schienenpersonennahverkehr ist mehr als erfreulich. Hierbei muss die Bahn aber selbstverständlich auch weiterhin ihre Anstrengungen bezüglich Pünktlichkeit, Service und Verlässlichkeit – das Brot-und-Butter-Geschäft – verstärken.
Daneben konnten auch im Schienengüterverkehr Fortschritte erreicht werden. Frau Leidig, ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Von 1994 bis Ende 2013 hat das Gütervolumen der Deutschen Bahn auf der Schiene in der Tat um circa 59 Prozent zugenommen. Insofern stimmt hier Ihre Aussage nicht. Ich sage ferner: Die Deutsche Bahn konnte ihren Güterverkehr auch durch Verlängerung der Güterzüge auf 850 Meter ausbauen. Aber ich sage auch: Das große Ziel – mein geschätzter Kollege Dirk Fischer als einer der Väter der Reform spricht gleich noch –
(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es auch Mütter? – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Aber die sind nicht hier!)
bleibt, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. 17 Prozent der Güter sind heute auf der Schiene. Da sage ich: Das ist noch zu wenig.
Kollege Burkert, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig?
Immer.
Das ist ein großes Versprechen, Kollege Burkert, aber ich werde es nicht missbrauchen. – Ich möchte zwei Fragen miteinander verbinden. Eine Frage haben Sie gerade im Grunde schon selber beantwortet. Der Anteil der Güter, die auf der Schiene transportiert werden, ist überhaupt nicht gewachsen. Das ist dramatisch, weil sich gerade der Güterverkehr so rasant entwickelt und immer mehr Lkw auf deutschen Straßen Probleme verursachen. Da ist natürlich der zentrale Punkt: Wie kommt die Bahn da wieder in die Vorhand?
Ich möchte Sie als Fachmann an dieser Stelle fragen, wie Sie es einschätzen, dass die Deutsche Bahn AG in dieser Zeit, in den letzten 20 Jahren, 80 Prozent der Anschlüsse, die Industrieunternehmen angebunden haben – damit besteht die Möglichkeit, direkt von der Firma auf die Schiene zu gehen –, gekappt hat? Ich kenne eine ganze Reihe von Unternehmen in meiner Region, die das sehr bedauern, die gern wieder auf die Schiene gehen würden oder überhaupt auf die Schiene gehen würden. Dazu würde ich schon gern noch etwas hören und wissen, warum Sie das als Erfolg betrachten.
Frau Leidig, es ist in der Tat so: Wir würden uns noch mehr Güter auf der Schiene wünschen; das steht außer Frage. Ich darf Ihnen aber auch sagen, dass die Deutsche Bahn AG mit 20 Prozent ihrer Kunden 80 Prozent des Entgelts im Güterverkehr einfährt. Fast das Volumen des Autoverkehrs haben wir auf der Schiene. Im Übrigen fährt alles im Zusammenhang mit Brauereien mittlerweile auf der Schiene. Der Einzelwagenverkehr, für den ich mich seit Jahr und Tag einsetze, muss erhalten bleiben, obwohl er nicht nur schwarze Zahlen schreibt. Wenn wir den Einzelwagenverkehr nicht mehr hätten, hätten wir am Tag noch einmal 100 000 Lkw mehr auf unseren Straßen. Das ist nicht betriebswirtschaftlich, aber volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch wichtig. Deswegen achten wir auch darauf, im Aufsichtsrat und in den verkehrspolitischen Gremien. Ich sage Ihnen: Wir werden alle Anstrengungen dazu unternehmen.
(Beifall des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])
Ich darf fortfahren. – 5 Milliarden Euro mehr für die Elektromobilität sind gut, was den Pkw-Verkehr angeht; das steht außer Frage. Ich würde mir aber wünschen, dass wir auch Gelder für eine rollende Landstraße oder den CargoBeamer einsetzen. Mit 35 CargoBeamer-Zügen würden wir die gleiche Menge an CO 2 -Emissionen einsparen wie mit 1 Million Elektroautos; ich will das nur mal sagen. Da müssen wir alle Anstrengungen unternehmen.
Wir haben große Herausforderungen in puncto Barrierefreiheit, in puncto Lärmschutz und in puncto Servicequalität. Da müssen konsequent neue Anstrengungen auf den Weg gebracht werden.
Wir müssen gerade im Bund ein besonderes Augenmerk auf die Qualität unserer Schienennetze legen; denn sie sind die maßgebliche Voraussetzung für einen starken Schienensektor im Fern-, Güter- und öffentlichen Nahverkehr.
Vor allem die 25 000 Brücken, von denen 9 000 älter als 100 Jahre sind, brauchen unser besonderes Augenmerk. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II des Problems Herr zu werden. Brückensanierungen sind jetzt explizit vorgeschrieben. Es ist also nicht so, wie Sie sagen, Herr Gastel. Wir haben da, wo es notwendig war, der Deutschen Bahn AG gesagt, wo investiert werden muss. Wir werden hier stehen und über die Kontrolle der LuFV II reden.
(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur knapp 1 000 Brücken dürfen sich in ihrem Zustand nicht verschlechtern – von 25 000! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es gibt doch gar keine Kontrolle, Herr Kollege!)
Um dies allerdings auch langfristig erreichen zu können, muss die Personalsituation bei der Deutschen Bahn entsprechend angepasst werden. Ich sage ganz deutlich: Hier hat auch der Bahnvorstand Fehler begangen. Am Personal zu sparen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist falsch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich begrüße es ausdrücklich – Herrn Gruber und Herrn Weber gratuliere ich dazu –, dass die Bahn in den nächsten Jahren 80 000 Menschen einstellt. Nach einem Stopp 1974 wird wieder mehr eingestellt.
Dann werden wir auch immer wieder darüber reden müssen, wo Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Verkehrsträgern bestehen. Ich erwähne die Mehrwertsteuer, das EEG, die Mineralölsteuer; es gibt da viel zu sagen.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Mit der Bahnreform konnten wichtige Impulse gesetzt werden, die zu positiven Entwicklungen im Schienenverkehr beigetragen haben. Wir sollten heute, an diesem Tag, nach 20 Jahren Bahnreform, die in diesem Jahr zu Ende gehen, mit Ruhe, aber auch mit Stolz sagen, dass wir in Deutschland das beste Eisenbahnsystem der Welt haben. Auch das kann man an so einem Tag sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage: Wir müssen sorgsam damit umgehen, denn die Menschen in unserem Land brauchen unsere Bahn.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4292929 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform |