Dirk FischerCDU/CSU - 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als der Deutsche Bundestag am 2. Dezember 1993 die Bahnreform – an die Formulierer der Großen Anfrage: unter Verkehrsminister Matthias Wissmann; denn er war bereits seit Mai 1993 Minister; es war nicht Günther Krause, wie es dort heißt – mit 558 Jastimmen bei nur 13 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen und sogar einer Jastimme der Kollegin der Fraktion PDS/LL verabschiedet hatte, habe ich damals zu Beginn meiner Rede im Plenum gesagt:
Von diesen Ausführungen habe ich kein Wort zurückzunehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Heute ist die Behördenbahn in der Tat längst Geschichte. Die Entscheidung, die Bahn als Wirtschaftsunternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft zu führen, war und bleibt richtig. Dies hat aber auch klare rechtliche Konsequenzen. Ich würde einem Juristen wie dem Fraktionsvorsitzenden Dr. Gysi empfehlen, im Aktiengesetz nachzulesen, bevor er Anträge unterschreibt, und dort nicht Dinge hineinzuschreiben, durch die ein Vorstand dann, wenn er sie täte, gegen das Aktienrecht verstoßen würde.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Na ja!)
Der Bundestag sollte unter keinen Umständen einen verantwortlichen Unternehmensführer zu Gesetzesverletzungen auffordern. Daher kann man das, was dort vorgelegt worden ist, nur ablehnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Bahn ist kein Sozialamt des Verkehrs mehr, in das jeder hineingreifen und sich bedienen kann mit der Folge permanent steigender Verlustzahlen der Bundesbahn.
Ich zitiere aus der Rede von Bahnchef Dr. Rüdiger Grube beim Festakt „20 Jahre Bahnreform“ im Januar dieses Jahres: Die Bundesbahn und Reichsbahn hatten im Jahr vor der Bahnreform – also 1993 – 8 Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet und mehr als 34 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. – Der Parlamentarische Staatssekretär hat eben den DM-Betrag genannt. Dr. Grube hatte den Betrag bereits in Euro umgerechnet. Es wurden also mehr als 34 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. Die Personalaufwendungen waren 1993 höher als die gesamten Umsatzerlöse.
Stellen Sie sich diese Ausgangssituation vor, stellen Sie sich dann vor, zu dieser Ausgangssituation zurückzukehren. Dies wäre nach meiner Auffassung unverantwortlich. Eine AG heißt aber auch das Führen eines verselbstständigten Kapitals in eigener Verantwortung durch den Vorstand. Die Vorteile daraus sind, dass sich der Vorstand um die Kunden kümmern muss, also eine Kundenorientierung. Weitere Punkte sind eine Marktorientierung, eine Wettbewerbsorientierung, eine Produktivitätsorientierung und damit letztlich auch die Gewinnorientierung. Das ist Aufgabe und Pflicht des Vorstands nach dem Aktiengesetz. Es gibt auch eine klare Dividendenerwartung des Alleinaktionärs Bund, der zum Auf- und Ausbau des Systems erhebliche Bundesschulden auf sich genommen hat, die berechtigt waren, bzw. jetzt im Finanzierungskreislauf Schiene für Reinvestitionen in die staatliche Infrastruktur gesorgt hat. Dies war ein positiver und für den Haushalt sehr guter Schritt.
Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig?
Gerne.
Herr Kollege Fischer, meine Frage bezieht sich noch einmal auf den Schuldenstand. Ich muss gestehen, dass es mir nicht hundertprozentig klar ist, wie es sich tatsächlich verhält. Ich sage Ihnen einmal meine Informationen. Der Bund zahlt wie zu Beginn der Bahnreform nach wie vor 17 Milliarden Euro pro Jahr plus 2,5 Milliarden Euro Schuldendienst für die Altschulden der Bundesbahn. Dazu kommen aus meiner Perspektive die 19,3 Milliarden Euro, die die Deutsche Bahn AG an Finanzschulden ausweist; denn diese 19,3 Milliarden Euro Schulden sind die Schulden eines bundeseigenen Unternehmens. Eigentlich muss man die Zahlen zusammenrechnen. Ich sehe einfach nicht, woher die gigantische Entlastung kommt. Wenn ich also die beiden Zahlen zusammenzähle, dann hat sich gar nichts geändert.
Der Unterschied ist, dass damals ungeplante, den Haushalt belastende Jahresverluste entstanden sind, die erst am Ende eines Wirtschaftsjahres klar wurden. Mal waren es 3 Milliarden, mal 5 Milliarden Euro. Dafür war der Bund unmittelbar verantwortlich. Jetzt haben wir eine Aktiengesellschaft, die natürlich für Investitionen auch den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt und diese aufgenommenen Kredite verzinst und tilgt. Sie hat auf der anderen Seite aber auch ein gewaltiges Anlagevermögen, das sich bilanziell niederschlägt.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hatte der Bund vorher auch!)
Das ist der gewaltige Unterschied. Die damalige unmittelbare Haushaltsverantwortung ist heute in dieser Weise nicht vorhanden.
Ich fahre fort und sage: Die Lage vor der Bahnreform war dramatisch: rückläufige Marktanteile der Schiene im Güter- und Personenverkehr, der schon erwähnte steigende Schuldenstand, der besonders hohe Verschleiß und die Altlasten der ehemaligen DDR-Reichsbahn. Das Holdingmodell, bei dem wir nach der Zusammenführung gelandet sind, hat sich meiner Überzeugung nach bewährt. Der Bund ist und bleibt zu 100 Prozent Alleinaktionär der DB AG Holding, und ebenfalls zu 100 Prozent verbleiben im Alleineigentum des Aktionärs die Infrastrukturgesellschaften, die für eine Öffnung zum privaten Kapitalmarkt nicht infrage kommen. Das sind das Netz, die Stationen und die Energieversorgung. Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen, Bundesschienenwege sind staatliche Infrastruktur. Dort muss ein gleichberechtigter Wettbewerb möglich sein.
Kollege Fischer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Burkert?
Gerne, ja, aber mit der Bitte, dass mir die Zeit nicht angerechnet wird.
Das ist schon längst geschehen.
Die Zeit ist angehalten. – Werter Kollege Fischer, ich habe die Rede von damals nachgelesen. Ich will nur fragen, weil Sie bei der ersten Stunde dabei waren: Können Sie aus Ihrer Erfahrung kurz schildern, wie damals die Zusammenarbeit mit dem geschätzten sozialdemokratischen Kollegen Klaus Daubertshäuser und dem Zusammenwirken von Bundesrat und Bundestag mit einem solchen Erlebnis war? Nach 20 Jahren Bahnreform kann man das hier auch einmal machen.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das waren alles tolle Kerle, bestimmt!)
Das ist ganz schnell gesagt. Wir haben eine Kommission eingerichtet, die wegweisende Vorschläge gemacht hat. Im Ministerium ist dann ein Gesetzentwurf gemacht worden. Wir haben damals parlamentarisch mit den Sozialdemokraten, die in der Opposition waren, und dem Koalitionspartner FDP, auch im Dialog mit den Grünen, diese Dinge bearbeitet. Dabei war ganz entscheidend, dass auch die Länder zustimmen mussten: bei der Übernahme des Schienenpersonennahverkehrs gegen Regionalisierungsmittel. Es gab mehrere Änderungen des Grundgesetzes, sechs neue Gesetze. Dann hat sich Minister Wissmann – das war auch sinnvoll – zu einer längeren Klausur mit den Vertretern der Länder an den Tegernsee begeben und die Einigung mit den Ländern herbeigeführt.
(Martin Burkert [SPD]: In Bayern gelingt es!)
Schließlich haben wir auf der breiten Basis von Regierungskoalition und Opposition – ich habe die Zahlen genannt – die Beschlussfassung durchgeführt. Ich glaube also, es war damals ein segensreiches und positives Zusammenwirken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will im Übrigen fortfahren und sagen: Demgegenüber sind natürlich die Betriebsgesellschaften des Unternehmens prinzipiell für den Kapitalmarkt offen. Deswegen ist im Rahmen des Holdingmodells seinerzeit eine Zwischenholding, die DB ML, gebildet worden. Der Weg an den Kapitalmarkt ist aus unserer Sicht nur dann ein Thema, wenn es wegen der Situation am Kapitalmarkt oder wegen eines interessanten, in strategischer Hinsicht sinnvollen Investors sinnvoll und möglich erscheint, was gegenwärtig nicht der Fall ist.
(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber jeder zahlt für die Schäden!)
Faktisch ist im Unternehmen unter dem Dach und in der Gesamtverantwortung der Holding eine interne Trennung von Netz und Betrieb vorgenommen worden. Das ist erfreulich; denn der Finanzierungskreislauf Schiene garantiert jetzt – das war uns ein wichtiges Anliegen –, dass Gewinne von den staatlich bezuschussten Infrastrukturgesellschaften in die Infrastruktur reinvestiert werden und nicht etwa über die Kasse der Holding in die Erweiterungen der Betriebsgesellschaften transferiert werden dürfen. Das ist uns sehr wichtig.
Das Holdingmodell steht aber auch im völligen Einklang mit der europäischen Eisenbahnpolitik. Denn das Holdingmodell ist unter jedwedem Aspekt mit dem in der Beratung befindlichen vierten Eisenbahnpaket der EU vereinbar – sowohl, was die technische Säule anbelangt, als auch, was die ordnungspolitische Säule anbelangt.
Die Ziele der Bahnreform sind nach meiner Überzeugung erreicht worden. Der Bundeshaushalt wurde insbesondere von unkalkulierbaren Risiken entlastet. Die EU-Konformität der deutschen Eisenbahnpolitik wurde erreicht. Die Wettbewerbsorientierung wurde gestärkt, Leistung und Produktivität wurden damit gesteigert. Der Kundennutzen wurde gemehrt. Die Modernisierung, sowohl technisch als auch betrieblich, ist entscheidend vorangebracht worden.
Herr Kollege Fischer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Die Bahnreform hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der Schienenverkehr in Deutschland nach Jahren des Niedergangs einen neuen Aufschwung erlebt hat und heute im europäischen Vergleich erfolgreich dasteht. Der Staatssekretär hat die Zahlen genannt, wobei man beim Fernverkehr darauf hinweisen muss: In der Zwischenzeit ist der eigenwirtschaftliche Interregio in den bezuschussten Nahverkehr transferiert worden.
Die Bahnreform ist natürlich – da stimme ich allen zu – kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess, der noch nicht beendet ist. Aber ich denke, zum Beispiel bei der Diskussion über den Schienengüterverkehr – –
Kollege Fischer, Sie können gern weiterreden. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht auf Kosten der Redezeit Ihres Kollegen Lange.
(Martin Burkert [SPD]: Dem langen drei Minuten!)
Ich denke, dass der Schienengüterverkehr heute natürlich darunter leidet, dass wir eine Universalbahn haben.
(Heiterkeit)
– Ich habe den Eindruck, die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen ist nicht ganz ausgeglichen worden. Aber egal!
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie reden ja bald schon zwölf Minuten!)
Ich komme gerne zum Schluss. Wir wollen in dieser Legislatur zum Beispiel das Eisenbahnregulierungsgesetz verabschieden. Es geht darum, den fairen Wettbewerb auf der Schiene weiter zu stärken. Wir wollen die Bahn weiter modernisieren. Politik und Unternehmen sind gemeinsam in der Verantwortung. Es ist also auch künftig unsere gemeinsame Aufgabe, die Bahnreform erfolgreich fortzusetzen und sie von der nationalen hin zur europäischen Dimension weiterzuentwickeln.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das werden Sie gleich innerfraktionell klären, nehme ich an. – Erst einmal hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4292937 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 76 |
Tagesordnungspunkt | 20-Jahres-Bilanz der Bahnreform |