19.12.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 77 / Tagesordnungspunkt 23

Ewald SchurerSPD - Gute Arbeit und sanktionsfreie Mindestsicherung

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute diese Debatte führen – es ist kein Fehler, kurz vor Weihnachten inhaltlich über den Arbeitsmarkt zu reden –, dann muss man konstatieren: Wir hatten vor einem Jahrzehnt in der Tat größere Probleme am Arbeitsmarkt. Damals traf der Begriff „Massenarbeitslosigkeit“ eher zu, da sich die Situation dramatisch dargestellt hat. Ich konstatiere auch: Der Druck, eine Arbeitsmarktreform durchzuführen, war damals in der Tat groß. Wie auch immer Sie es bewerten: Der Deutsche Gewerkschaftsbund bzw. das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung hat damals festgestellt, dass durch die Sozialhilfeintegration fast 800 000 Menschen im Vergleich zu vorher bessergestellt worden sind und überhaupt erst wahrgenommen wurden, was den Arbeitsmarktbereich und die Integration in die Gesellschaft anbelangt.

(Beifall bei der SPD)

Es gab in der Tat auch Verwerfungen durch diese Reform. Ich gebe ganz ehrlich zu: Ich glaube, die Reform ist damals mit heißer Nadel gestrickt worden. Der Chefingenieur, Peter Hartz, hat Jahre später selbst gesagt, dass er nicht nur handwerkliche Fehler sieht, sondern auch strukturelle Fehler; er hat es offen zugegeben. Er wünschte sich, dass bei der Dualität aus Fördern und Fordern der Aspekt des Förderns stärker berücksichtigt wird. Diese Verwerfungen möchte ich hier ganz offen konstatieren.

Dennoch: Die Reform war unter den damaligen gesellschaftlichen Umständen notwendig; das Übrige habe ich dazu gesagt.

Man darf aber auch, werte Freundinnen und Freunde auch der Linken, nicht vergessen: Der Arbeitsmarkt ist in den letzten zehn Jahren nicht nur von der Hartz-IV- Reform geprägt gewesen – von ihren guten und vielleicht auch verbesserungswürdigen Tatbeständen –, sondern es gab auch massive strukturelle und inhaltliche Veränderungen. Menschen mit niedriger Qualifikation, denen die Bildungsvoraussetzungen fehlen, tun sich heute in einer Wirtschaft, die ständig nach mehr Qualifikationen, nach mehr beruflicher Bildung verlangt, signifikant schwerer, mitzuhalten. Deswegen sind Fördermaßnahmen aller Art auf dem jeweiligen Qualifikationsniveau für die Menschen von größter Bedeutung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir machen da jetzt etwas, auch wenn es – das gebe ich gerne zu – nur Modellbausteine sind, einmal mit 30 000, einmal mit 10 000 Menschen. Das ist der richtige Weg.

Man darf auch nicht vergessen, dass wir, nachdem es unter der damaligen Sozialministerin – ich will hier höflich sein – einen relativen Kahlschlag im Bereich der Jobcenter gab, gemeinsam mit der CDU/CSU versuchen, die Ausstattung der Jobcenter mit Mitteln in Höhe von viermal 350 Millionen Euro, sprich 1,4 Milliarden Euro – ich sage das auch als Haushälter für den Bereich Arbeit und Soziales –, deutlich zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Das reicht noch nicht; aber wir sind da in struktureller Hinsicht auf dem richtigen Wege.

Ich will es in diesem letzten Debattenbeitrag auf den Punkt bringen: Wir brauchen jetzt ohne Wenn und Aber – das hat Peter Hartz selbst moniert – klare Konturen im Werkvertragswesen und im Leihvertragswesen. Die Ministerin – da bin ich ihr dankbar; die Staatssekretärin hört es sicherlich mit Überzeugung – hat angekündigt, dass die SPD und die Union im Jahr 2015 beim Kampf gegen den Missbrauch und das Ausfluten im Werkvertragswesen klare Konturen schaffen wollen,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch auf 2016 verschoben!)

um den ursprünglichen Charakter der Werkverträge wiederherzustellen; denn Werkverträge sind nicht für Massenbeschäftigung gedacht.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])

Was die Leiharbeit angeht, hat Peter Hartz damals deutlich beschrieben, dass die Öffnung zu Beliebigkeit am Arbeitsmarkt geführt hat und kontraproduktiv war. Es hat den Menschen in der Tat nicht geholfen. Wir brauchen auch bei der Leiharbeit künftig klare Konturen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Auswirkungen der Einführung des Mindestlohns – davon bin ich fest überzeugt – werden von den Linken aus rein rhetorischen und strategischen Gründen eindeutig unterschätzt. Schauen Sie sich mal an, mit welch einer Unvernunft ein Teil der Wirtschaft bzw. der Unternehmen heute schon, vor dem 1. Januar 2015, versucht, den Mindestlohn zu unterlaufen. Mir war immer klar: Ein Mindestlohn in Höhe von zunächst einmal 8,50 Euro wird nicht automatisch in allen Kreisen der Wirtschaft Gefallen finden, vor allen Dingen bei denen, die ihn inhaltlich und intellektuell nicht verstanden haben.

Mir geht es letzten Endes darum, klarzumachen: Es gehört zur Würde aller Menschen, dass sie von ihrer Arbeit – zumindest in der Regel – auch leben können. Das ist auch eine Voraussetzung für die Integration in unsere Gesellschaft. Dass wir diese Philosophie gemeinsam mit den Freunden der Union durchsetzen, das ist schon ein Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft,

(Beifall bei der SPD)

der in Zukunft noch ausgebaut werden muss.

Als Haushälter habe ich zusammen mit dem Kollegen Axel Fischer dafür gesorgt, dass die Mindestlohnkommission von einer Geschäftsstelle unterstützt wird. Auf der Grundlage der Arbeit von Wissenschaftlern ist die Mindestlohnkommission in der Lage, alle Folgeentwicklungen zu evaluieren: Wie wirkt sich der Mindestlohn auf Tarifverträge aus? Wie kann sichergestellt werden, dass der Mindestlohn nicht unterlaufen werden kann? Wie wird sich der Mindestlohn auf die Steuereinnahmen und die Sozialsysteme auswirken? Eine Evaluierung dieser Themen ist eine enorm wichtige Aufgabe.

Es geht darum, dass der Mindestlohn nicht statisch ist, Frau Präsidentin, sondern sich mit der Dynamik in unserer Gesellschaft entwickelt. Nur so können die Menschen von ihrer Arbeit auch wirklich leben. Das zu erreichen, wäre, zusammen mit der Begrenzung des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit, das größte Ziel. Dann würde es wieder möglich, die Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren, und zwar durch gute Arbeit, was das Thema der heutigen Debatte war.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4296752
Wahlperiode 18
Sitzung 77
Tagesordnungspunkt Gute Arbeit und sanktionsfreie Mindestsicherung
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