Volker KauderCDU/CSU - Regierungserklärung zu den Terroranschlägen in Frankreich
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als uns die Nachricht von dem schrecklichen Verbrechen in Paris erreicht hat, waren wir zunächst fassungslos und konnten gar nicht glauben, dass Terroristen in eine Redaktion eindringen, die Namen der einzelnen Journalisten aufrufen und sie beim Namensaufruf erschießen. Das ist eine Qualität, die wir so bisher noch nicht erlebt haben. Wir alle verneigen uns vor den Angehörigen der Opfer, vor unseren französischen Freunden.
Ja, es ist völlig richtig, dass wir als eine erste Konsequenz aus diesem furchtbaren Verbrechen sagen: Wir stehen in Europa zusammen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dass wir zusammenstehen, hat der Zug durch Paris am vergangenen Sonntag so eindrucksvoll gezeigt. Dass wir in Europa bei einer der vielleicht größten Herausforderungen zusammenstehen, um Menschlichkeit und Demokratie durchzusetzen, haben wir am Dienstag am Brandenburger Tor erlebt. Mich hat in besonderer Weise beeindruckt, dass hier in Berlin und in anderen Städten Deutschlands Menschen zu Tausenden zusammengekommen sind – spontan, ohne dass es irgendjemand organisiert hat. Was sich da am Brandenburger Tor gezeigt hat, das ist ein Deutschland, auf das wir stolz sein können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es waren alle aus der Gesellschaft dabei, alle Religionsgruppen. Dies hat mich beeindruckt.
Es ist der Satz des Bundespräsidenten zum Abschluss seiner Rede, der uns leiten muss: „Wir alle sind Deutschland“ – wir alle, die wir hier in Deutschland leben, Muslime, Juden, Christen, Angehörige aller anderen Religionsgruppen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])
Es gibt Ereignisse in der Politik, im persönlichen Leben, bei denen nachher nichts mehr so ist, wie es vorher war. Viele von uns spüren, dass das, was da in Paris geschehen ist, und die Solidaritätskundgebungen, die es auch bei uns gegeben hat, vielleicht einiges verändern könnten, in einer Geschwindigkeit, wie wir es zunächst gar nicht zu hoffen gewagt haben.
Ich habe bei den vielen Begegnungen mit Christen, Muslimen, Hindus und Vertretern anderer Religionen dieser Welt erfahren, was es bedeutet, wenn man wegen seines Glaubens, seiner Einstellung bedrängt und verfolgt wird. Ich habe immer wieder erlebt, dass die Reaktionen nach Anschlägen auf Kirchen und andere Einrichtungen unterschiedlich bzw. zögerlich waren. Umso mehr müssen wir anerkennen – und wir erkennen es auch an –, dass sich die Muslime angesichts der Ereignisse eindeutig von Gewalt distanziert haben. Auf der Veranstaltung des Zentralrats der Muslime, die mich sehr bewegt hat, wurde gesagt: Mord und Terrorismus haben mit dem Islam nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die notwendige und auch schwierige Diskussion ist damit aber noch lange nicht beendet. Sie wird weitergehen, und sie muss auch weitergehen. Ich stimme all jenen zu, die heute Morgen gesagt haben, dass dies eine Aufgabe der Muslime selbst ist, dass wir sie dabei unterstützen müssen, indem wir anerkennen, dass sich da etwas bewegt. Aber es muss auch klar sein – darauf ist vom Bundestagspräsidenten und von der Bundeskanzlerin hingewiesen worden –, dass die Werte und die Menschenrechte, die wir durch die Französische Revolution und die Aufklärung für uns gewonnen haben, die die Generationen vor uns für uns erstritten haben, nicht zur Disposition stehen dürfen und auch nicht zur Disposition stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir dürfen auch nicht zulassen, dass universale Menschenrechte – das wird immer wieder versucht – von einigen auf einmal als eine Errungenschaft des Westens gesehen werden, die mit anderen gar nichts zu tun haben. Ich erlebe in Gesprächen immer wieder, dass es heißt: Eure Menschenrechtsposition hat mit unserem kulturellen Verständnis nichts zu tun. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die universellen Menschenrechte sind in der Menschenrechtscharta der UNO niedergelegt, und sie haben nichts mit kulturellem Verständnis in dem einen oder anderen Land zu tun. Wir müssen sie verteidigen.
(Beifall im ganzen Hause)
In der Menschenrechtskonvention, die 1948, also im letzten Jahrhundert, beschlossen wurde, sind Erkenntnisse enthalten, die in die heutige Zeit übertragen werden können. Jeder hat das Recht, seinen Glauben frei und unbedrängt öffentlich zu leben. Dazu gehört natürlich auch, nichts zu glauben; auch dies ist geschützt. In der Menschenrechtskonvention steht ausdrücklich auch – dies gehört dazu –, dass jeder das Recht hat, seinen Glauben frei zu wechseln, dass es ein Menschenrecht ist, seinen Glauben zu ändern. Fast alle Länder dieser Welt – bis auf ganz wenige – haben das unterschrieben. Man ist immer wieder erstaunt, dass selbst in Ländern, die die Menschenrechtskonvention unterschrieben haben, die Menschenrechte nicht oder nicht ganz eingehalten werden. Deswegen haben wir die Verpflichtung, immer wieder auf die Menschenrechtskonvention hinzuweisen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass es ohne Religionsfreiheit nirgendwo auf der Welt Freiheit geben kann. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen – das ist eine Erkenntnis zahlreicher Reisen, die ich unternommen habe –, dass das Verweigern von Religionsfreiheit und das Unterdrücken von Menschen, sodass sie ihren Glauben nicht frei leben dürfen, Anlass für größte Auseinandersetzungen sind. Das muss gerade in dieser Zeit gesagt werden. Dazu gehört ganz klar: Wer für Religionsfreiheit weltweit eintritt, tritt natürlich auch für Religionsfreiheit in unserem Land ein. Ich will mich gar nicht über Inhalte der einzelnen Religionen unterhalten. Ich sage nur: Religionsfreiheit in unserem Land bedeutet, dass jeder das Recht hat, seine Gebets- oder Gotteshäuser zu bauen. Das heißt: Natürlich haben die Muslime, unterstützt von uns, das Recht, hier ihre Moscheen zu bauen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber es gehört auch noch etwas anderes dazu – das muss ich sagen, nachdem der türkische Ministerpräsident in dieser Woche Deutschland besucht hat –: So wie wir wollen und dafür eintreten, dass die Muslime hier ihre Moscheen bauen dürfen, so wollen wir, dass auch die Christen in der Türkei ihre Kirchen bauen dürfen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieser Zustand ist noch längst nicht erreicht.
Wir haben heute zu Recht immer wieder gehört, dass unsere Werte, zu denen natürlich die Freiheitsrechte und das zentrale Recht der Pressefreiheit gehören, nicht preisgegeben werden dürfen und wie wichtig die Pressefreiheit für eine freie Gesellschaft ist. Das betrifft aber nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Freiheit der Kunst, die Freiheit, darin seine Meinung auszudrücken. Es wäre furchtbar, wenn Schriftsteller in Zukunft ihre Bücher prüfen lassen müssen, bevor sie sie veröffentlichen. Das geht überhaupt nicht. Die Freiheit von Presse, Kunst und Kultur muss geschützt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])
Wenn wir uns in der Welt umschauen, dann stellen wir fest, dass die Pressefreiheit von denen besonders gefürchtet wird – dazu gehört leider Gottes auch manches Land in unserer unmittelbaren Nachbarschaft –, die Menschenrechte und Freiheit in ihrem Land nicht hundertprozentig verwirklichen. Deswegen muss dafür in besonderer Weise eingetreten werden. Da kann es natürlich sein, dass Dinge geschehen, die nicht jeder richtig und gut findet. Die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, dass zur Freiheit Verantwortung gehört. Freiheit und Verantwortung sind zwei Seiten derselben Medaille.
Natürlich muss jeder selbst prüfen, wo Grenzen sind. Aber diese können nicht gesetzlich festgelegt werden. Ich will nicht gesetzlich festlegen, ob diese oder jene Karikatur zulässig ist, überhaupt nicht. Trotzdem sage ich: Wir alle haben allen Grund, uns immer wieder zu prüfen, wie nahe wir einem anderen treten dürfen in der Ausnutzung unserer Freiheit. Ich kann nur darauf hinweisen: Besondere Sorgfalt muss darauf gelegt werden, mit den religiösen Gefühlen und den heiligsten Symbolen einer Religion nicht verantwortungslos zu spielen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das kann nicht durch eine Verschärfung von Gesetzen erreicht werden, sondern da ist die Gesellschaft aufgerufen, zu widersprechen und zu sagen: Wir wollen zwar, dass dies möglich ist, aber wir akzeptieren nicht, dass dies gemacht wird. – Insofern haben wir manchmal allen Grund, zu widersprechen, wenn christliche Symbole in dieser Weise betroffen sind. Es wäre aber auch schön, wenn der eine oder andere die Muslime versteht und in Schutz nimmt, wenn deren heiligste Symbole attackiert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ich finde, wir in der Bundesrepublik Deutschland, die Regierung, aber auch die Große Koalition, haben angemessen reagiert. Natürlich müssen sich Regierung und Parlament aber die Frage vorlegen: Können wir noch etwas tun, können wir noch etwas verbessern, um das Risiko eines solchen Anschlags zu verringern? Ganz ausschließen lässt es sich nicht. Ich finde die Maßnahme, die jetzt beschlossen worden ist, um ausreisebereite junge Menschen an der Ausreise zu hindern, indem man ihnen den Personalausweis entzieht, richtig. Es ist auch sinnvoll, diejenigen zu beobachten, die wieder einreisen.
Aber wir müssen uns auch mit einer anderen Frage beschäftigen. Alle für die Sicherheit relevanten Persönlichkeiten unterschiedlicher parteipolitischer Zugehörigkeiten sagen, dass wir die Möglichkeiten, Kontaktdaten zu prüfen, um daraus Erkenntnisse zu erzielen, verbessern müssen. Es geht um den Begriff der Vorratsdatenspeicherung; dieser Begriff gefällt mir gar nicht, aber bisher ist nichts Besseres auf dem Markt. Ich möchte mit einem Missverständnis aufräumen – das haben auch Sie, Herr Hofreiter, wieder angesprochen –: Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht ausschließlich ein Präventionsinstrument, sondern eines von vielen möglichen Ermittlungsinstrumenten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ohne sie wüssten wir so manches nicht, auch in Frankreich nicht. Ich möchte darauf hinweisen, dass man die eine oder andere Erkenntnis – wie groß war die Zelle, und mit wem haben die telefoniert? – nur durch den Zugriff auf diese Daten gewonnen hat.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen muss man doch nicht die Daten von allen erfassen, Herr Kauder!)
– Wir bereden das in aller Ruhe. – Aber da unsere Provider, unsere Kommunikationsgesellschaften jetzt Flatrates anbieten, bei denen nach wenigen Stunden alle Daten gelöscht werden, werden Sie niemanden mehr finden. Wie wollen Sie denn Verbrechen im Internet aufdecken, wenn niemand mehr eine Spur im Internet hinterlässt? Deswegen müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob wir eine solche Möglichkeit nutzen wollen oder nicht.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch abenteuerlich!)
Ich bin dankbar dafür, dass offenbar Bewegung in dieses Thema gekommen ist, dass die Bereitschaft gestiegen ist, etwas zu tun, in den verfassungsrechtlichen Grenzen natürlich.
Die Menschen müssen den Eindruck haben, dass wir das tun, was möglich ist. Daher ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Menschen nicht mit unangemessenen Formulierungen in der Öffentlichkeit auftreten sollten. Da Pegida und andere hier mehrfach angesprochen worden sind, will ich Folgendes dazu sagen: Wir haben uns von den Äußerungen, die dort fallen, klar distanziert. Ich bekomme jeden Tag Hunderte von E-Mails, weil ich gesagt habe: Was dort streckenweise formuliert wird, ist unakzeptabel. Das sage ich noch einmal: Dort fallen Äußerungen, die wir nicht akzeptieren dürfen und denen wir widersprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Mich hat es etwas befremdet, dass heute Morgen in dieser Debatte wieder einmal über diese Gruppe gesprochen wurde. Am letzten Samstag waren aber in Dresden 35 000 Menschen auf dem Platz – das waren mehr als Pegida zusammenbringt –, um sich zu diesem Rechtsstaat zu bekennen. Darüber sollten wir häufiger reden. Wir sollten häufiger darüber reden, dass es mutige Menschen gibt, die sich zu diesem Rechtsstaat bekennen, zu Offenheit, zu Liberalität und zu Toleranz.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Darüber müssten auch die Medien häufiger berichten. Sie sollten nicht über die Gruppe berichten, die unser Land nicht repräsentiert, sondern häufiger über diejenigen, die das repräsentieren, was die allermeisten Menschen in diesem Land für richtig halten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein Hinweis. Herr Kollege Oppermann, wenn ein Koalitionspartner will, dass man über ein Thema redet, dann redet man darüber. Das gilt für Sie, und das gilt auch dann, wenn wir etwas wollen und dann darüber reden.
Eines möchte ich aber schon sagen: In der Diskussion über ein sogenanntes Zuwanderungs- bzw. Einwanderungsgesetz ist der Eindruck erweckt worden, als ob wir uns in einem völlig rechtsfreien Raum bewegen würden.
(Christine Lambrecht [SPD]: Das war doch von Herrn Tauber!)
– Nein, heute Morgen hat der Kollege Oppermann gesprochen, Frau Kollegin. – Dazu will ich nur sagen: Man kann ja aus Ihrer Sicht sagen, dass man sich das eine oder andere anschauen will. Wir haben aber ein ganzes Paket von Regelungen für Zuwanderung und Einwanderung. Da gibt es keinen rechtsfreien Raum.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie haben zu Recht drauf hingewiesen, dass ohne Einwanderung bzw. Zuwanderung unsere Sozialversicherungssysteme, die Arbeitsplatzsituation usw. anders aussähen. Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen, dass sich eine gute Entwicklung vollzogen habe, was stimmt, und auf der anderen Seite sagen, es gebe überhaupt keine Regelungen und deswegen müsse man etwas unternehmen. Deshalb rate ich auch hier zu einem größeren Maß an Gelassenheit. Wir haben sehr viel gemacht.
Jetzt will ich noch einen Punkt ansprechen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Asylverfahren schneller ablaufen und die Menschen, wenn sie hier sind, schneller in Arbeit kommen können. Das ist sehr schön formuliert worden; jetzt kommt es aber darauf an, das umzusetzen.
Da kann ich nur sagen: Es wäre eine große Tat und auch notwendig, damit Menschen nicht in der Isolation leben und auf dumme Gedanken kommen, dass wir all denjenigen, die Arbeit und Ausbildung suchen, auch Arbeit und Ausbildung verschaffen. Diesen Punkt sehe ich an erster Stelle. Nicht über neue Zuwanderung sollte geredet werden, sondern diejenigen, die da sind, sollten jetzt endlich in Arbeit gebracht und in die Gesellschaft integriert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hier viel zu erreichen, das ist eine große Aufgabe, die vor uns liegt. Dieser Aufgabe werden wir uns stellen. Da sind wir an Ihrer Seite.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Eva Högl ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4435000 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 79 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zu den Terroranschlägen in Frankreich |