Katharina LandgrafCDU/CSU - Gesunde Ernährung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere heutige Debatte findet ja kurz vor dem Mittagessen statt. Vielleicht gönnen Sie sich trotz des Eröffnungsrundganges über die Grüne Woche heute Abend bereits nachher schon ein warmes Mittagessen in einem der Restaurants des Bundestages. Angenommen, Sie schaffen das zeitlich und lassen sich erwartungsvoll nieder: Was würden Sie dann sagen, wenn der Oberkellner freudestrahlend statt des üblichen Bestecks zwei Brechstangen aus hartem Stahl neben Ihren Teller legt, für die heiße Vorspeise einen unförmigen Löffel bringt, der wie ein Gesetzesparagraf aussieht, und außerdem statt der gewohnten Speisekarte ein Blatt aus dem Bundesanzeiger mit den aktuellen Speiseverordnungen für das Restaurant und seine hungrigen Gäste überreicht?
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Freundlich kommentiert der Kellner: Das ist unser kreativer Beitrag, um das Thema gesunde Ernährung endgültig zu knacken. – „ Wie bitte?“, werden Sie verdutzt fragen. Mit einer Brechstange kann man sicherlich eine Walnuss aufschlagen, um an die Frucht zu kommen. Aber gesundes Essen nach der Vorgabe des Bundesanzeigers? Nein danke!
(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Nahrungsaufnahme als eine der ältesten Kulturtechniken der Zivilisation funktioniert wohl kaum mit einer Brechstange. Wir brauchen dafür andere Instrumente, die wir mit Geschick und Grips einsetzen. Am Ende wollen wir alle die Mahlzeit auch genießen und sie nicht als profane Energieaufnahme empfinden.
Ich lasse Ihnen allen jetzt gern jegliche Freiheit, diese eben geschilderte imaginäre Szene zu interpretieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Fakt ist doch eines: Die Brechstange ist sicherlich hilfreich für grobe Dinge auf dem Bau oder beim Abriss, aber völlig ungeeignet für solche feinsinnigen Dinge des Lebens wie eben die Ernährung. Sie ist eher eine Angelegenheit des Kopfes, der Sinne und des Wissens. Nichts ist persönlicher und direkter auf den Menschen bezogen als die Ernährung. Sie ist lebensnotwendig, lebensbejahend und im negativen Falle sogar lebens- und gesundheitsbedrohend. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Jeder Mensch trägt hier eine direkte persönliche Verantwortung. Wenn er diese noch nicht oder nicht mehr wahrnehmen kann, so sind es engagierte Menschen, die diesen Schutzbefohlenen zur Seite stehen müssen. Politik und Staat müssen hier flankierend und hilfreich wirken, ohne jedoch die eigentliche persönliche Verantwortung des Einzelnen zu übernehmen oder diese übernehmen zu wollen.
Das ist auch die Zielrichtung unseres heutigen Antrags. Entscheidend für das Ernährungsverhalten und insgesamt für eine gesunde oder ungesunde Ernährung ist die Lebenskompetenz des Menschen mit seinem Wissen, seiner Bildung, seinen Erfahrungen und nicht zuletzt mit seinen ganz persönlichen Veranlagungen. Letztere stellen Eltern nicht selten vor ein Rätsel. Bei meinen acht heranwachsenden Enkeln erlebe ich selbst mit großem Erstaunen, wie unterschiedlich sich das jeweilige Ernährungsverhalten entwickelt.
Erziehungswissenschaftler und Weiterbildungsexperten sagen mir, dass rund 80 Prozent der Lebenskompetenz des Menschen nicht in den allgemeinbildenden Schulen entwickelt wird. Man eignet sie sich durch erfahrungsbezogenes Lernen im Leben vor und nach dem Schulbesuch an.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Also ist die gesunde Ernährung eine generationenübergreifende und in jedem Lebensalter wichtige Lernaufgabe. Ihre Erfüllung ist gelebte Eigenverantwortung eines jeden Menschen: für sich selbst und für alle seine Schutzbefohlenen.
Als Familienpolitikerin möchte ich auch hier mit allem Nachdruck feststellen: Der zentrale Ort für die Entwicklung der erforderlichen Ernährungskompetenz ist im Normalfall die Familie in ihrer Vielfalt mit ihren Traditionen und Gepflogenheiten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Eltern und Großeltern vermitteln noch vor der Schulbildung ihren Kindern und Enkelkindern das Thema „Gesunde Ernährung“ mit ihrem persönlichen Wissen und ihrem persönlichen Vorbild.
Dieses traditionelle und nicht zu ersetzende Lebenszentrum wird durch Politik und Staat mit vielfältigen Instrumenten aktiv unterstützt; so in der Hauptsache durch die schulische und berufliche Bildung sowie durch öffentliche Aufklärung. Außerdem sind Bildungsangebote für Eltern, insbesondere für werdende Mütter, ebenfalls grundlegende Hilfen.
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Auch für werdende Väter!)
Eine hochwertige und altersgerechte Schulverpflegung sowie eine fundierte schulische Ernährungsbildung sind eine bedeutende öffentliche Unterstützung der gesunden Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Beides ist insofern wichtig, weil immer mehr Kinder und Jugendliche über etliche Jahre hinweg tagsüber eine lange Zeit in der Schule verbringen. Die anlässlich des ersten „Bundeskongresses Schulverpflegung 2014“ im November vorigen Jahres durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft initiierte Qualitätsoffensive zur Verbesserung des Schulessens ist Basis für eine gemeinsame Strategie von Bund, Ländern, Kommunen und Schulen.
Der Bundestag unterstützt seit 2008 den Nationalen Aktionsplan IN FORM als Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und Bewegung. Damit soll erreicht werden, dass Kinder gesünder aufwachsen, Erwachsene gesünder leben und von einer höheren Lebensqualität und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit profitieren. Die Fortführung von IN FORM bis zum Jahr 2020 muss allerdings mit einer stärkeren Breitenwirkung der vielfältigen Aktivitäten und Projekte verbunden werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste auf der Besuchertribüne, die Internationale Grüne Woche, die heute Abend eröffnet wird, ist die traditionelle und weltweit bekannte Leistungsschau der Land- und Ernährungswirtschaft. Jährlich nutzen rund 400 000 Besucherinnen und Besucher dieses Treffen, um Speisen und Getränke aus den Regionen Deutschlands wie auch aus aller Welt zu probieren und Tiere in Augenschein zu nehmen. Sie informieren sich über die Entwicklungen in der Produktion von Lebensmitteln. Die Internationale Grüne Woche bietet vielfältige Gelegenheiten zur Kommunikation über die Zukunft der Branche sowie über bestehende und zu lösende Probleme.
Essen und Trinken haben in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger immer mehr einen festen und dauerhaften Platz. Das ist nicht zuletzt der umfangreichen Präsentation in den Medien geschuldet. Die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land erleben in ihrem Alltag eine nur schwer zu überblickende Vielfalt und Menge an Angeboten von landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln. Wie nie zuvor können sie dabei auf sichere, qualitativ hochwertige und auch erschwingliche Lebensmittel, insbesondere auf regionale Produkte, zurückgreifen. Dafür gebührt den Landwirten und auch den Nahrungsmittelproduzenten Dank und Wertschätzung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Entscheidung darüber, in welcher Weise die Angebote und Möglichkeiten genutzt werden, sind stets individuell geprägt, jedoch auch durch viele äußere Faktoren wie Werbung und Verbraucherinformationen positiv oder negativ beeinflusst. Die zunehmende Diskrepanz zwischen dem vielfältigen Angebot von hochwertigen Lebensmitteln, die eine gesunde Ernährung ermöglichen und befördern, und dem stetigen Anwachsen ernährungsbedingter Krankheiten auf der anderen Seite erhöht für uns Politiker den Handlungsdruck. Es ist unbestritten: Viele gesundheitliche Probleme haben ihre Ursache in ungesundem Ernährungsverhalten, zum Beispiel im übermäßigen Verzehr von energiereicher Kost. Das ist ein gesellschaftliches Dilemma, aus dem wir nicht mit Brechstange und Paragrafen herauskommen. Wir brauchen noch mehr zündende Ideen, die jeden dazu inspirieren, bei der gesunden Ernährung mit ganzem Herzen dabei zu sein. Klar ist: Es ist das gemeinsame Ziel der Koalition von CDU/CSU und SPD, in Deutschland ein nachhaltig wirkendes gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, das es allen Menschen ermöglicht, sich gesund und bewusst zu ernähren, und die Bürgerinnen und Bürger in allen Lebenswelten dazu motiviert.
Meine Damen und Herren, meine Rede hatte ich mit einer fiktiven Szene aus dem Bundestagsrestaurant begonnen. Schließen möchte ich mit einem realen Bild, das uns das Problem veranschaulicht: Auf dem modern gestalteten Bahnsteig des Bitterfelder Bahnhofs, der unscheinbar grau ist, kann man etwas entdecken: einen Farbtupfer mit den Slogans „Frisch und Lecker“ und „Einfach genial!!!“ – mit drei Ausrufezeichen und einem erhobenen Daumen darunter. Im Hintergrund sind viele bunte Bonbons einer bekannten Marke zu sehen. Das Plakat verziert die Seiten- und Rückwand eines üblichen Selbstbedienungsautomaten mit allerlei Süßem – fest oder auch flüssig. Wenn irgendwann mal ein mit solcher Werbung versehener Automat nicht nur in Bitterfeld frisches Obst und gesunde Getränke feilbieten sollte, dann haben wir – symbolisch gesehen – etwas gekonnt in Sachen gesunde Ernährung. Aber auch hier sollten wir nicht mit der Brechstange agieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Caren Lay von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4435160 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 79 |
Tagesordnungspunkt | Gesunde Ernährung |