15.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 4 + ZP 3

Jeannine PflugradtSPD - Gesunde Ernährung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! „ Gesunde Ernährung stärken – Lebensmittel wertschätzen“: Warum sprechen wir heute darüber? Heutzutage nehmen sich die Menschen weniger Zeit für ihre Mahlzeiten. Das Essen ist kein Erlebnis mehr, sondern nur noch reine Nahrungsaufnahme, und es wird nur noch selten regelmäßig im Familienverbund genossen. Selbst die grundlegenden Dinge scheinen nicht mehr selbstverständlich. Die ständige Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in Deutschland führt dazu, dass wir uns über die Werte des Essens und Trinkens zu wenig Gedanken machen und Nahrungsmittel nicht mehr richtig wertschätzen. Ein Bewusstseinswandel kann nur durch Aufklärung und Eigenmotivation der Menschen zu selbstbewussten sowie mündigen Verbrauchern erfolgen.

Kitaeinrichtungen und Schulen als Lernort sind dafür wichtige Anlaufstellen. Heute geht zum Beispiel jedes dritte Kind ohne Frühstück in den Unterricht. Das ist schwer vorstellbar, aber leider wahr. Hier können Kitas und Schulen ansetzen und den Wert von gesunder sowie ausgewogener Ernährung vermitteln. Sich mit Essen und Lebensmitteln auszukennen, hat heute viel mit dem sozialen Status zu tun. Essen ist zu einem Identifikationsmittel geworden. Das Interesse an gutem Essen hat zugenommen, und parallel dazu entwickelt sich die Küche wieder zum zentralen Bestandteil des familiären Lebens. Aber tatsächlich richtig gekocht wird weit weniger als früher. Wir brauchen deshalb langfristige Programme, die alle Menschen in jeder Lebenslage direkt erreichen.

Ein anderer Aspekt der Wertschätzung von Nahrungsmitteln ist die Preisgestaltung. Über diese können wir vermitteln, was uns das Essen wert ist, welches wir konsumieren. Preise erhalten dadurch als Teil der Wertschöpfungskette eine herausragende Bedeutung. Sie sagen dem Verbraucher nicht nur, dass das Produkt von hoher Qualität ist, sondern auch, dass es hochwertig produziert wurde. Leider geht der Trend derzeit noch zum Billigmarktsegment. „ Hauptsache billig“ müssen unsere Lebensmittel sein. Das ist für mich persönlich verwirrend; denn wenn wir uns zum Beispiel einen Neuwagen kaufen, entscheiden wir über den Preis, ob der Wagen, den wir kaufen, eine gute Qualität hat. Warum zahlen wir also nicht auch etwas mehr für ein gutes Stück Fleisch oder für frisches Obst und Gemüse?

Wertschätzung umfasst somit die Produktion, den Kauf und den Verzehr des Nahrungsmittels sowie die Vermeidung von Abfall. Hier ist meiner Meinung nach aber jeder einzelne Verbraucher gefragt. Das erfordert ein Umdenken beim Konsum.

Mit dem weiteren Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland muss auch das Verpflegungssystem für Kinder und Jugendliche überdacht werden. Schulverpflegung verstehen wir Sozialdemokraten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die als gleichwertiger Bestandteil in das Schulleben integriert werden sollte.

(Beifall bei der SPD)

Die Sensibilisierung für dieses Thema muss dort beginnen, wo die Lernbereitschaft von Menschen am größten ist, nämlich in den Kitas und in den Schulen. Zunächst betrifft das die Bereitstellung einer ausgewogenen, gesunden Verpflegung, die sich mindestens an den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientieren sollte. Zumindest aber sollte geprüft werden, wie ein gesichertes Kontrollsystem die Einhaltung dieser Standards gewährleisten kann. Deshalb fordern wir, die SPD-Bundestagsfraktion, die Bundesregierung auf, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern den Worten unseres Bundesministers Christian Schmidt Taten folgen zu lassen, nämlich die DGE-Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung flächendeckend in Deutschland zu etablieren und ein Nationales Qualitätszentrum Schulessen, wie es Bundesminister Schmidt auf dem Bundeskongress Schulverpflegung angekündigt hat, einzuführen. Dieses Zentrum sollte bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und den Schulvernetzungsstellen angesiedelt sein.

Frau Kollegin Pflugradt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch?

Gern.

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben gerade davon gesprochen, dass Bund und Länder gemeinsam die DGE-Standards zur Pflicht machen sollen. Das finden wir sehr gut. Ich möchte Sie fragen, wie Sie in diesem Zusammenhang zum Kooperationsverbot stehen: Finden Sie es förderlich für eine solche Zusammenarbeit im Bildungsbereich?

Das Kooperationsverbot ist nicht förderlich. Ich persönlich habe da auch einen ganz eigenen Standpunkt: Ich plädiere für die Aufhebung des Kooperationsverbotes, damit die Länder einen Partner an der Seite haben, nämlich den Bund.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zurück zu meiner Rede: Ein wichtiger Schritt ist, die DGE-Standards an Kitas und Schulen im Ausschreibungsverfahren und in den Verträgen mit den Trägern zu verankern. Nur wer sich daran hält, sollte den Auftrag zur Verpflegung von Kindern und Jugendlichen bekommen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Forderung nach einem Qualitätsnachweis, dem sogenannten Ernährungs-TÜV für Anbieter.

Vergessen werden darf bei der heutigen Debatte nicht, dass die Gemeinschaftsverpflegung auch in anderen Bereichen des Lebens, also über Kita und Schule hinaus für den eigenen Lebensstil bedeutend ist. Ich spreche mich an dieser Stelle mit Nachdruck dafür aus, angepasste Qualitätsstandards als Mindeststandards vorzusehen und sie insbesondere bei der Verpflegung in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und anderen öffentlichen Kantinen genauso strikt durch die Länder umsetzen zu lassen wie bei der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen.

(Beifall bei der SPD)

Kranke und pflegebedürftige Menschen sowie Arbeitnehmer im Arbeitsalltag benötigen eine vollwertige Ernährung, die an ihre Bedürfnisse und Lebensumstände angepasst sein sollte. Das muss zumindest in der Gemeinschaftskantine gewährleistet sein.

Gerade die Vernetzungsstellen Schulverpflegung leisten im Lebensabschnitt Kita und Schule gute Arbeit, wenn es um die Verbreitung von Qualitätsstandards und Qualifizierung geht. Sie sind für die Einrichtungen die zentrale Anlaufstelle bei allen Fragen rund um die Schulverpflegung und erhöhen dadurch auch die Akzeptanz der Verpflegungsangebote. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Bundesländer deshalb auf, weiterhin ihren finanziellen Beitrag zur Unterstützung der Vernetzungsstellen Schulverpflegung zu leisten, damit der Bund nach 2016/2017 nicht aus der Finanzierung aussteigt. Die Vernetzungsstellen müssen als zentrale Beratungsstellen für die Kita- wie die Schulverpflegung verankert werden. In einigen Bundesländern arbeiten die Vernetzungsstellen mit den Landfrauen zusammen. Sie unterstützen die Schulen deutschlandweit dabei, den Ernährungsführerschein als Bildungsmaßnahme für Grundschulkinder anzubieten, durchzuführen und bei Erfolg zu überreichen. Diese Bildungsmaßnahme sollte weiterhin durchgeführt werden können, wenn nicht sogar ausgebaut werden.

Ich freue mich, dass der Nationale Aktionsplan IN FORM weiterhin durch den Bund gefördert wird und Niederschlag im kommenden Präventionsgesetz finden wird, in dem die Folgen von Fehlernährung sowie Bewegungsmangel angemessen berücksichtigt werden müssen. Ich wünschte mir, dass an einigen Stellen der Initiative IN FORM Anpassungen vorgenommen würden, zum Beispiel, wenn geförderte Projekte keinen Mehrwert bieten und keinen Beitrag zur Prävention gegen Übergewicht leisten. Das gilt insbesondere, wenn gleichzeitig an anderen Stellen gespart wird. Nur gute Projekte müssen fortgeführt und durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. Die Projekte müssen genau betrachtet werden, um festzustellen, ob sie zielführend sind.

Insbesondere Kinder aus bildungsfernen und einkommensschwachen Familien sind von Fehlernährung betroffen. Gerade für uns Sozialdemokraten ist es eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, für ihre Teilhabe an gesunder Ernährung zu sorgen. Wir wollen sie vor Fehlernährung schützen und allen Kindern unabhängig von Herkunft, Bildung und Einkommensstatus der Eltern eine Chance auf ein gesundes Leben geben.

(Beifall bei der SPD)

Zum Abschluss möchte ich einen Aspekt eines gesunden Lebensstils aufgreifen, der mir persönlich sehr wichtig ist. Nach einem Ranking der Deutschen Diabetes Gesellschaft steht eine Stunde Bewegung am Tag an erster Stelle, wenn es um die Wirksamkeit einzelner Methoden zur Prävention von übergewichtsbedingten Krankheiten geht. Bewegung und ausgewogene Ernährung gehören also zusammen und müssen gemeinsam betrachtet werden. Körperlich aktiv zu sein, bedeutet nicht, ständig Sport zu treiben. Vielmehr sollten die Möglichkeiten genutzt werden, im Alltag das Maß an eigener Bewegung zu steigern: Anstatt des Autos kann man mal das Fahrrad nehmen oder anstatt des Fahrstuhls die Treppe; da fasse ich mir an die eigene Nase. Es gilt, ein Bewusstsein für positive Effekte von Bewegung zu schaffen, also die Motivation zur Alltagsbewegung zu stärken.

Im Alltag müssen vor allem zielgruppenspezifische Möglichkeiten zur Bewegung geschaffen werden. Die Anreize zur Bewegung müssen so attraktiv wie möglich gestaltet sein. Sportvereine können den Wunsch nach sportlicher Betätigung erfüllen und sind darüber hinaus ein wichtiger gesellschaftlicher Anlaufpunkt hinsichtlich der sozialen Integration. Der soziale Status darf – das gilt auch hier – kein Hindernis für die Mitgliedschaft in einem Verein sein.

Am Ende meiner Rede möchte ich die herausragende Stellung der Familie für die Weitergabe eines gesunden Lebensstils hervorheben. Wir alle vermitteln als Eltern mit jedem Wort und jeder Handlung direkt und unmittelbar Werte fürs Leben.

Wir sind lange Zeit die Vorbilder für die eigenen Kinder, für den eigenen Nachwuchs. Ich hoffe jedenfalls für mich, dass mein Sohn das genauso sieht.

Unsere Kinder zu unterstützen und Hilfestellung zu geben, wenn sie diese brauchen, ob beratend oder finanziell, das muss für alle Eltern oberste Priorität haben. Ein gesunder Lebensstil enthält deshalb notwendigerweise beide von mir angesprochenen Komponenten, eine ausgewogene Ernährung und ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität. Beides sollte durch gesetzliche Rahmenbedingungen oder empfohlene Richtlinien unterstützt werden. Den Weg dorthin muss aber jeder Mensch alleine gehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4435221
Wahlperiode 18
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Gesunde Ernährung
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