15.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 5

Alois KarlCDU/CSU - Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mir gedacht: Das kann ich nur sportlich nehmen. Der französische Baron Pierre de Coubertin hat die Begründung der Olympischen Spiele der Neuzeit unter das Motto „Höher, schneller, weiter“ gestellt. Wenn er Ihren Antrag gelesen hätte, hätte er vielleicht noch „maßloser“ hinzugefügt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist eine Ansammlung von Halb- und Nebenwahrheiten, die wir hier lesen. Sie bringen ein tatsächlich bestehendes Problem, nämlich die explodierende Anzahl von Asylbewerbern und Flüchtlingen, in Verbindung mit dem Niedergang der kommunalen Finanzen und fordern, der Bund solle die Defizite durch Zuschüsse egalisieren. So einfach ist die Sache natürlich nicht.

Wir haben große Aufgaben zu bewältigen; Frau Haßelmann, da haben Sie schon recht. Wir lehnen uns da auch nicht zurück. Wir wissen, dass auch in den nächsten Jahren – in den nächsten Monaten wahrscheinlich schon – neue große Aufgaben auf uns zukommen werden. Aber wir ziehen daraus andere Schlüsse als Sie. Wir sagen, wenn wir unser Geld auf diejenigen, die es wirklich nötig haben, konzentrieren und es nicht für diejenigen verwenden, die eigentlich kein Bleiberecht bei uns haben, dann haben wir die notwendigen Ressourcen, und wenn wir sie nicht haben, werden wir sie im Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Das ist für uns die richtig angewendete Humanität, die in unserem Lande praktiziert werden muss und die sich in unserem Lande durchsetzen sollte. Das, glaube ich, ist der gravierende Unterschied, den ich in Ihrer Rede gerade ausfindig gemacht habe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nichts ganz Neues, dass sich die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland explosionsartig erhöht. Vor 36 Jahren, 1979, hatten wir 50 000 Asylbewerber, im Jahr darauf über 100 Prozent mehr, nämlich mehr als 100 000. Vor 25 Jahren, im Jahr 1990, hatten wir in Deutschland 200 000 Asylbewerber, kurz darauf, 1992, 450 000. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine solche Entwicklung ist für diejenigen, die damit befasst sind, immer eine große Herausforderung. Das ist der Bund, das sind die Länder, und das sind die Kommunen. Axel Fischer hat darauf hingewiesen, dass hier natürlich die Länder in der Pflicht sind – selbstverständlich –, dass aber auch der Bund seine Verantwortung wahrnimmt.

Herr Kollege Karl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

Kollege Dehm? Ja, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Bitte schön.

Ich will versuchen, diesen kameradschaftlichen Ton beizubehalten. – Kollege Karl, wären Sie bereit, über den Begriff „explosionsartig“ noch einmal nachzudenken?

Ja. – „ Explosionsartig“ bedeutet: sich in ganz ungewöhnlichem Maße vermehrend. Wenn eine Zahl von einem zum nächsten Jahr von 50 000 auf 100 000 steigt, ist das eine geradezu extreme Steigerung. Das ist im Deutschen die ungefähre Bedeutung dieses Ausdrucks. Normalerweise sind Sie des Deutschen ja durchaus mächtig.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstverständlich hat sich die Situation in den letzten 25 oder 15 Jahren verändert, wie ich vorhin gesagt habe. Wir haben heute eine ganz andere Willkommenskultur in Deutschland; Herr Schulz, Sie haben darüber gesprochen, und das ist in der Tat richtig. In den letzten Monaten habe auch ich eine außerordentlich positive Veränderung festgestellt. Es wurden viele private Initiativen gegründet, und Organisationen im karitativen Bereich haben sich engagiert. Ich erwähne allerdings auch die Kirchen und die Klöster, die ihre Tore geöffnet und viele Asylanten und Flüchtlinge untergebracht haben. Ihnen möchte ich an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion für diesen außerordentlichen Akt der Nächstenliebe – so haben wir das früher bezeichnet –, die in unserem Lande in den letzten Monaten um sich gegriffen hat, ganz herzlich und ausdrücklich danken. Auch das gehört zur Realität und zur Wahrheit in diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es ist völlig selbstverständlich – da lassen wir kein Jota daran rühren –, dass wir jenen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, wegen ihrer Glaubensüberzeugung, wegen der anderen Tatbestandsmerkmale, die wir in Artikel 16 a des Grundgesetzes finden, Asyl beantragen können, unsere helfende Hand reichen müssen; das ist gar keine Frage. Das kostet auch Geld; Sie haben das gesagt. Was uns aber ein wenig unterscheidet – Frau Haßelmann, ich gehe noch mal auf Ihre Rede ein –: All jenen, die aus anderen Gründen – aus wirtschaftlichen Gründen – unsere Gastfreundschaft suchen, muss ich sagen, dass wir einen Unterschied machen zwischen rechtmäßig beantragtem Asyl und unrechtmäßig beantragtem Asyl. Da unterscheiden wir uns von Ihnen, und da, meine ich, sollten Sie noch einmal überlegen, ob Sie nicht auch unsere Position einnehmen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass wir Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien jetzt endlich zu sicheren Herkunftsländern definiert haben. Sie wissen, dass ungefähr 25 Prozent der Asylbewerber aus diesen Ländern kommen und 99 Prozent dieser Anträge abgelehnt werden, es aber Monate dauert und viel Geld kostet, Asylbewerber aus diesen Ländern rechtmäßig abzuschieben. Wir hätten viel mehr Kapazitäten zur Verfügung für jene, die aus Syrien, aus dem Irak und aus vielen anderen Ländern unter Einsatz ihres Lebens über das Mittelmeer oder sonst woher kommen, um bei uns Asyl zu suchen; auf diese Menschen könnten wir uns dann zu Recht konzentrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie ausdrücklich darum, dass Sie, wenn wir wieder eine Initiative starten, sichere Herkunftsländer zu definieren, berücksichtigen: Falls tatsächlich in Ländern wie Albanien und Montenegro, Ländern, die ja alle in die EU wollen, die Menschenrechte mit Füßen getreten werden – Sie unterstützen diese Haltung offensichtlich auch noch –, dann hätten diese Länder in der EU nichts zu suchen und ihre Anträge müssten von vornherein mit einem Federstrich abgewiesen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bund macht viel; das haben wir schon gehört, das muss ich nicht alles noch einmal aufzählen. Wir haben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, 650 Stellen zur Verfügung gestellt, damit es die große Zahl von Asylanträgen schneller bearbeiten kann. Auch die zweimal 500 Millionen Euro, die der Bund den Städten und Gemeinden 2015 und noch einmal 2016 für die Unterbringung von Asylbewerbern zur Verfügung stellt, sind genannt worden. Ich rufe auch noch einmal in Erinnerung, dass der Bund auch Bundesliegenschaften kostenfrei zur Verfügung stellt.

Für die Gemeinden, meine sehr geehrten Damen und Herren – auch an Sie als erste Rednerin der Linken noch mal gesprochen, Frau Karawanskij –, tun wir unendlich viel – mehr als in den Jahrzehnten zuvor.

(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)

Wenn man den Beitrag des Bundes, der zwischen 2010 und 2020 an die Gemeinden fließt, aufaddiert, wird man auf etwa 170 Milliarden Euro Bundesleistung kommen. Das ist schon etwas. Ich meine auch, dass wir manches gemeinschaftlich tun müssen. Wir müssen auf der einen Seite einen ausgeglichenen Haushalt zustande bringen, aber auch viel Unterstützung leisten im Lande und weit darüber hinaus.

Ich bin dem Freistaat Bayern ausdrücklich dankbar, dass er bereits vorweggenommen hat, was die Linken jetzt in ihrem Antrag fordern: Der Freistaat Bayern stellt all seine Kommunen frei von den ungedeckten Kosten der Unterbringung und der Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die jetzt in die Städte und Gemeinden Bayerns gekommen sind. Das ist der Nachahmung wert. Hier dürften Sie durchaus, legitimerweise Plagiateur sein. Eine Wallfahrt nach Bayern diesbezüglich, liebe Frau Karawanskij – Frau Jelpke, die jetzt nach mir reden wird, können Sie gleich mitnehmen –, würde niemandem schaden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich lade ausdrücklich dazu ein.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wenn schon, dann nach Altötting!)

– Ja, das kann man auch sagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unseren Städten und Gemeinden geht es – das ist auch schon gesagt worden – unterschiedlich gut. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass in Deutschland mittlerweile mehr als 1 000 Kommunen eine Pro-Kopf-Verschuldung von null haben; das ist gut so. Alle anderen müssten auch danach streben, das zu erreichen. Es gibt auch manche – Sie haben das gesagt –, die hohe Kassenkredite unterhalten; sie umfassen insgesamt 47 Milliarden Euro. Aber da, meine Damen und Herren, müssen wir auch zu unterscheiden wissen: Die Hälfte von diesen 47 Milliarden Euro, 24 Milliarden Euro, entfallen auf lediglich 27 Kommunen, davon 16 aus Nordrhein-Westfalen. Ein Viertel dieser Kassenkredite, 12 Milliarden Euro, werden von lediglich 8 Kommunen beansprucht, davon 7 aus Nordrhein-Westfalen. Das sollte dem einen oder anderen vielleicht ein wenig zu denken geben. Mir steht es nicht an, jetzt Ursachenforschung zu betreiben.

Ich sage, dass wir unseren Aufgaben in der Tat nachkommen und dass wir unsere Verpflichtungen auch in Zukunft erfüllen werden. Sie reden uns hier kein schlechtes Gewissen ein; denn das haben wir gar nicht nötig.

Herr Kollege Karl.

In der Vergangenheit ist schon unendlich viel getan worden, und wenn mehr Flüchtlinge kommen, dann werden wir darauf entsprechend reagieren.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])

Nächste Rednerin ist Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4435464
Wahlperiode 18
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern
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