Florian HahnCDU/CSU - Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten uns die Situation der Türkei und ihrer Bevölkerung noch einmal deutlich vor Augen führen. Der überwiegende Teil der Außengrenzen der Türkei ist nicht gerade von Sicherheit und Stabilität gekennzeichnet. 900 Kilometer Grenze zu Syrien und 350 Kilometer Grenze zum Irak zeigen das. Hunderttausende Flüchtlinge sind inzwischen über diese Grenzen in die Türkei geflohen, geflüchtet vor dem Bürgerkrieg und der barbarischen Daesh, die auf bestialische Weise mordet und vergewaltigt; wir alle kennen die Bilder. Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass die Türkei und vor allem ihre Bevölkerung ein riesiges Sicherheitsbedürfnis haben, das sich die meisten von uns nicht vorstellen können. Vielleicht hilft uns die Erinnerung an die Zeit vor 1990, als gerade wir Deutsche ein solch großes Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität hatten.
Wir müssen und wollen als verlässlicher Partner in der NATO der Türkei in dieser Situation weiterhin zur Seite stehen und sie unterstützen. Wir haben deswegen vor zwei Jahren das Mandat Active Fence zum ersten Mal auf den Weg gebracht. Hintergrund war die mögliche Bedrohung der Türkei durch Kurzstrecken- und Mittelstreckenwaffen sowie durch chemische Waffen aus dem Bürgerkriegsgebiet Syrien. Deshalb haben wir gemeinsam mit unseren Freunden aus den Niederlanden und den Vereinigten Staaten mit dem Patriot-System einen Schutzschild aufgebaut. Wir waren uns schon damals einig, dass das Risiko eines syrischen Angriffs nicht sehr hoch ist. Inzwischen hat sich dieses Bedrohungsszenario verändert. Nach meiner Einschätzung hat sich das Risiko verringert. In den letzten zwei Jahren wurden keinerlei ballistische Angriffe auf die Türkei unternommen. Die chemischen Waffen konnten wir inzwischen gemeinsam weitestgehend vernichten.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Gerade mit Blick auf das vorhin skizzierte Sicherheitsbedürfnis der türkischen Bevölkerung halte ich einen plötzlichen und überstürzten Abzug der Patriot-Systeme für nicht richtig; das wäre ein falsches Zeichen. Allerdings sollten wir das kommende Jahr nutzen, um in enger Abstimmung mit unserem Bündnispartner Türkei zu klären, ob man wirklich noch von einer Bedrohung durch Raketen ausgehen kann oder ob wir nicht auf andere Weise eine viel nützlichere Unterstützung anbieten können. Schließlich bedeutet ein solcher Einsatz, der uns pro Jahr 20 Millionen Euro kostet, gerade für unsere Soldatinnen und Soldaten eine nicht zu unterschätzende Belastung. Die meisten der auf dem Patriot-System ausgebildeten Soldaten müssen jedes Jahr – der Kollege Lindner hat das schon dargelegt – für mehrere Monate in die Türkei in den Einsatz, weg von zu Hause, weg von der Familie. Wenn dieser Einsatz dann sicherheitspolitisch kaum noch einen Nutzen hat, ist er langfristig nicht mehr darstellbar. Zudem werden erhebliche Fähigkeiten im Bereich der Luftverteidigung durch diesen Einsatz gebunden. Die Möglichkeit der NATO, auf andere Szenarien zu reagieren, ist damit stark eingeschränkt. Für die Türkei als wirtschaftlich aufstrebende und erfolgreiche Nation in einer unruhigen Region wäre vielleicht mittelfristig der Aufbau eigener Kapazitäten im Bereich der bodengebundenen Luftabwehr ratsam.
Inzwischen haben 1,7 Millionen Menschen Zuflucht in der Türkei gesucht. Ihre Unterbringung und Versorgung ist für den türkischen Staat eine unglaubliche Herausforderung. Ich kann mir vorstellen, dass wir als Partner bei der Bewältigung dieser Herausforderung vor Ort in der Türkei noch viel hilfreicher sind als mit unseren Patriot-Systemen in Kahramanmaras.
Herzlichen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4436978 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 79 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei) |