Gerhard SchickDIE GRÜNEN - Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sachverhalt klingt technisch kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach. Das Finanzamt ist zehn Jahre lang umfunktioniert worden. Anstatt Gelder dafür zu sammeln, dass wir alle öffentliche Leistungen bekommen, ist das Finanzamt zu einer Geldsammelmaschine für Multimillionäre und Banken geworden, und zwar dadurch, dass die Betreffenden Steuererstattungen bekommen haben, die sie nicht verdient haben. Damit verhält es sich in etwa so, als ob man für ein Kind zweimal Kindergeld bekäme.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sauerei!)
Da sich deutlich nachweisen lässt, dass die Fonds, die eingerichtet wurden, nur an Multimillionäre vertrieben wurden, handelt es sich in der Wirkung um eine Umverteilung von unten nach oben in einem eklatanten Ausmaß. Dieser Fehler hätte nie passieren dürfen. Er ist aber leider zehn Jahre lang vorgekommen. Wir wissen nicht genau, wie groß das Volumen des Schadens ist. Laut unserem Antrag gehen Schätzungen aus Branchenkreisen von 12 Milliarden Euro aus. Da sich nach unserem Kenntnisstand das Volumen bestimmter Teilgeschäfte einzelner Banken im dreistelligen Millionenbereich bewegt, halten wir diese Schätzung für durchaus realistisch.
Nun stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren? Diese Frage geht uns alle an; denn das hat in der Zeit begonnen, als das Finanzministerium von Minister Eichel geleitet wurde, hat sich in der Regierungszeit der Großen Koalition fortgesetzt – damals wurde ein falscher, fast schädlicher Korrekturversuch unternommen – und wurde erst unter Finanzminister Schäuble beendet, allerdings relativ spät. Zudem haben wir das damals im Finanzausschuss nicht wirklich erfasst. Daher tragen alle Verantwortung. Dieser müssen wir gerecht werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])
Es stellen sich viele Fragen: Warum hat die Finanzaufsicht nicht mitbekommen, was die Banken dort machen? Warum hat der Fiskus nicht früher etwas unternommen, obwohl es bereits 2002 entsprechende Hinweise vom Bankenverband gab? Warum wurde nicht rechtzeitig gegengesteuert? Ist der Staat dazu nicht in der Lage gewesen, weil er es nicht verstanden hat, und müssen wir deswegen seine Kompetenzen stärken, oder ist hier bewusst falsch gehandelt worden? Dann ist die Verantwortung zu klären. Wir meinen, dass man hier nicht zur Tagesordnung übergehen kann, wenn der Staat in solch eklatantem Maße das Gegenteil von dem tut, was die Bürger von ihm erwarten, nämlich das Steuergeld für die Befriedigung ihrer Interessen einzusetzen und nicht für die Erreichung der Renditeziele weniger Investoren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nun machen wir einen Vorschlag, wie man darangehen könnte. Mit diesem Vorschlag spielen wir als Opposition Ihnen den Ball zu. Wir schlagen vor, einen Sonderermittler einzusetzen, der dieser Sache auf den Grund geht, sodass wir im Parlament die notwendigen Konsequenzen ziehen können. Er oder sie soll die Frage beantworten, wie es dazu kommen konnte, wo die Verantwortlichkeiten sind, ob die jetzt getroffenen Maßnahmen, um den Schaden zu reduzieren – es laufen jetzt Gerichtsverfahren, der Fiskus versucht, das zu korrigieren; inwieweit das erfolgreich sein wird, wird man sehen –, adäquat sind und ob für die Zukunft Vorkehrungen getroffen sind, dass sich so ein Skandal, wahrscheinlich der größte Steuerskandal unseres Landes, nicht noch einmal wiederholen kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Jetzt gibt es Argumente, die ich gehört habe, warum dieser Vorschlag vonseiten der Koalition nicht mitgetragen werden könne. Ich höre, ein Sonderermittler sei nicht vorgesehen. Es gibt aber viele Beispiele von Fällen, in denen Sonderermittler eingesetzt worden sind. Das kann ein Untersuchungsausschuss machen, das Parlamentarische Kontrollgremium hat es gemacht, Joschka Fischer hat eine Historikerkommission eingesetzt, der Innenminister Friedrich hat damals einen Sonderermittler im Zusammenhang mit den NSU-Akten eingesetzt. Es gibt also eine Reihe von Vorbildern, wo das gemacht worden ist. In diesem Fall würde es sich auf jeden Fall lohnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie uns unserer gemeinsamen Verantwortung hier gerecht werden! Wenn ich Bürgerinnen und Bürgern erzähle, was hier passiert ist, ist das Entsetzen sehr groß. Ich glaube, die einzige Antwort, die man auf Fehler in dieser Größenordnung in einer Demokratie geben kann, ist, nun wirklich alles da-ranzusetzen, dass sich so etwas nicht noch einmal wiederholt, es wirklich aufzuarbeiten und nicht parteipolitische Interessen an einer Vertuschung in den Vordergrund zu stellen. Es geht vielmehr darum, unsere Verantwortung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern wahrzunehmen, die erwarten, dass der Staat mit ihrem Geld das tut, was wir ihnen sagen, nämlich Leistungen für Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zur Verfügung zu stellen.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Vielen Dank, Gerhard Schick. – Nächster Redner in der Debatte ist Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4437868 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 79 |
Tagesordnungspunkt | Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte |