15.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 79 / Tagesordnungspunkt 16

Lothar BindingSPD - Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte

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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mich irritiert ein wenig die Aufregung über eine Regelungslücke, die man schließen musste, im Verhältnis zu der Aufregung über die Tatsache, dass es Steuerbetrug gibt. Ich meine, dass der Steuerbetrug eine größere Aufregung verdient als das Bestehen einer Regelungslücke.

Wenn ich mich richtig erinnere, wurde eben vorgetragen, dass diese Cum-Ex-Geschäfte eigentlich schon weit zurückreichen, möglicherweise – ich glaube, Gerhard Schick hat es gesagt – bis ins Jahr 2002.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hans Eichel!)

Denken wir einmal zurück: Damals war Christine Scheel Vorsitzende des Finanzausschusses und verantwortlich. Wenn ich mich richtig erinnere, hat damals auch die Linke diese komplexen Gestaltungen entlang der Börsenstichtage bzw. Hauptversammlungen nicht so durchdrungen, dass sie einen Antrag gestellt hätte, diese Lücke zu schließen. Es gab mehrere Anläufe, das zu tun; es war hochkomplex.

Ich rege mich über das auf, was da tatsächlich passiert ist. Das war nur mit den Banken möglich. Da glaubte man, es sei ein legales Geschäft, einmal eine Steuer zu bezahlen und dann, weil wir eigentlich faire Regelungen der Rückerstattung haben, eine Gestaltung zu wählen, bei der man den Betrag zweimal zurückbekommt. Man vergriff sich gewissermaßen am Staatsschatz, betrog die Gemeinschaft. Das ist, finde ich, ein Verhalten, bei dem sich von selbst verstehen muss, dass es nicht in Ordnung ist. Dahin gehört die Aufregung eigentlich. Da müssen wir sehr viel schärfer zugreifen. Ich würde sagen: Das ist strafwürdiges Unrecht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

In Juristenkreisen wird das gelegentlich ein bisschen bestritten. Man sagt: Das war ja rechtsförmlich zulässig. – Ich muss sagen: Es gibt Dinge, die sich von selbst verbieten. – Professor Seher hat den Begriff des Erfolgsunrechts benutzt. Das verstehe ich so: Wenn man im Unrecht angekommen ist, hatte man Erfolg. – Das ist eine wunderbare Definition dafür, wie man sich im Unrecht bereichern kann und das dann rechtsförmlich rechtfertigt. Da mache ich nicht mit. Das ist für mich nicht einzusehen.

(Beifall bei der SPD)

Selbst wenn der Gesetzgeber zu spät etwas verboten hat – das stimmt –, was sich eigentlich von selbst verbietet, selbst wenn die Finanzverwaltung zu spät erkannt hat, wie diese komplexen Vorgänge funktionieren, selbst wenn das alles wahr ist: Ein privater Investor muss sich von einem leistungslosen Parasiten unterscheiden, und das ist hier nicht mehr der Fall. Deshalb wollen wir dagegen vorgehen.

Ich bin Minister Schäuble dankbar, dass er es geschafft hat, jetzt in einem dritten Schritt diese Lücke wirklich zu schließen. Wie hat er das gemacht? Durch ein vollständiges Umstellen des Erstattungssystems in der Körperschaftsteuer! Das war ein sehr großes Rad. Bisher war es so, dass die die Kapitalertragsteuer an den Fiskus abführende Stelle eine andere war als die Stelle, die die Kapitalertragsteuerzahlung bescheinigte. Wenn zwei Funktionen so auseinanderfallen, kann es sein, dass die Beteiligten nicht genug voneinander wissen und dass Menschen das ausnutzen. Für mich ist die eigentliche Kritik auf die zu richten, die es ausgenutzt haben in dem Wissen, dass es rechtswidrig ist.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum soll man das nicht aufarbeiten?)

– Das brauchen wir nicht aufzuarbeiten, weil alles aufgearbeitet ist. Es gibt hinreichend Transparenz. Es gibt sogar eine Personalaufstockung beim Bundesamt für Steuern. Es gibt hinsichtlich Cum-Ex-Geschäften eine Unterstützung der Länder seitens des Bundes. Es ist eigentlich alles transparent. Wir waren in den drei gesetzgeberischen Verfahren hinreichend beteiligt wie auch bei der Erarbeitung der jüngsten Lösungsvorschläge.

Der Blick zurück hilft hier überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lasst uns doch nach vorne schauen. Was passiert denn gegenwärtig? Ich frage einmal die Grünen, insbesondere Gerhard Schick: Passiert denn gegenwärtig in ähnlicher Weise irgendetwas wie vor zwölf Jahren, das wir jetzt nicht erkennen? Lasst uns doch danach suchen, was jetzt passiert und was es an zukünftigen Aufgaben gibt.

Herr Kollege Binding, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick zu oder nicht?

Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen,

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schwach!)

weil ich denke, dass es schon sehr spät ist. Wir werden das hier ja noch mehrfach behandeln, weil es ein sehr großes und wichtiges Thema ist.

Ich glaube auch, dass es hilft, wenn wir schauen, wer sich rechtfertigen müsste. Keiner kann sich davon freisprechen, es nicht rechtzeitig reguliert zu haben.

(Beifall des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD])

Weder ihr von den Linken noch wir noch ihr von den Grünen oder ihr von der CDU/CSU. Niemand. Insofern tragen wir alle die gleiche Verantwortung.

Aufzuklären gibt es nichts. Was ist denn offen? Die technischen Fragen zu klären, ist eine relativ einfache Angelegenheit. Wenn wir aber heute die technischen Fragestellungen klären – manche Leute fragen sich ja, warum das Cum-Ex-Geschäfte heißt; das kann ich gerne noch erklären –, dann entdecken solch skrupellose Leute, die es bisher schon ausgenutzt haben, morgen eine neue Technik, weil es uns in einer unmoralischen Gesellschaft nie gelingen wird, alles so zu regulieren, dass kein Gauner mehr eine Chance hat, das auszunutzen.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür muss man nicht zehn Jahre brauchen!)

Auch wenn es rechtsförmlich oder legal ist, ist das nicht in Ordnung.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Worte, aber kein Argument zu unserem Antrag! Schwach! Schwach!)

Es heißt eben deshalb Cum-Ex-Trade bzw. Cum-Ex- Geschäft, weil es darum geht, dass Leute unmittelbar vor einer Hauptversammlung Aktien verkaufen, mitunter kombiniert mit Auslandsgeschäften und Leerverkäufen, und zwar mit Dividende, also cum Dividende, die dann einen Tag nach der Hauptversammlung – das ist der sogenannte Ex-Tag – beim Käufer Dividendenansprüche generieren, um auf diese Weise durch unterschiedliche Besitzer der gleichen Aktie doppelte Ansprüche zu erzeugen. Damit wird ein ungerechtfertigter Vorteil erschlichen.

Wenn wir die jetzt vorhandenen Instrumente und die jetzt gültige Regelung betrachten, dann stellen wir fest – ich bin mir gar nicht sicher, dass die Grünen dem nicht folgen können –, dass es jetzt sehr gut geregelt ist. Es ist ja auch nicht so, dass im vorliegenden Antrag gesagt würde, es sei jetzt nicht gut geregelt. Jetzt ist es sehr gut geregelt, und ich glaube, dass wir damit sehr gut leben können.

Die Frage ist nun: Was soll eigentlich so ein Sonderermittler machen? Er könnte uns erklären, was in der Vergangenheit war. Er schreibt einen Aufsatz bzw. ein Gutachten über die Vergangenheit. Das hilft uns aber für die Zukunft gar nichts. Das kann uns für zukünftige Fragestellungen nicht helfen, weil das, was da untersucht würde, ja untersucht ist.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber wir würden Fehler im Ministerium vielleicht erkennen!)

Ich habe mich nun gefragt, warum das Instrument des Sonderermittlers beantragt wurde und nicht ein Untersuchungsausschuss. Wir haben doch ein Instrument, das sehr scharf ist. Man könnte doch einen Untersuchungsausschuss beantragen. Wenn einem diese Sachverhalte so wichtig sind und so wesentlich erscheinen, könnte man doch einen Untersuchungsausschuss anstrengen. Ich fände es spannend, zu sehen, welche Aufgaben dieser sich geben würde. Ich glaube aber, dass auch dieses Instrument nicht zielführend ist.

Deshalb sollten wir jetzt keinen vordergründigen Aktionismus an den Tag legen, sondern sensibel schauen, was gegenwärtig passiert. Wir haben ja den festen Vorsatz, dass uns das nicht wieder passiert.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Danke, Herr Kollege Binding. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Schick.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4437931
Wahlperiode 18
Sitzung 79
Tagesordnungspunkt Sonderermittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte
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