Rosemarie HeinDIE LINKE - Nationaler Bildungsbericht 2014
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der fünfte nationale Bildungsbericht gibt erneut Anlass, den Zustand des Bildungssystems in Deutschland kritisch zu beleuchten. Das will ich tun. Vor allen Dingen müssen wir die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht finde ich ausgesprochen enttäuschend. Sie macht vor allem das, was sie in Sachen Bildung seit Jahren tut: Sie lobt sich
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Zu Recht! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Allerdings, und zwar zu Recht!)
– das finde ich nicht –, und sie setzt auf ein „Weiter so“. Doch mit einem „Weiter so“ werden wir die gravierenden Defizite, die es im deutschen Bildungssystem auf allen Ebenen nach wie vor gibt, nicht beheben können.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie wissen ja nicht, worüber Sie reden!)
Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen. Das Bildungssystem in Deutschland ist insgesamt nach wie vor von einer großen sozialen Ungleichheit geprägt. Kinder von Eltern, die keinen akademischen Abschluss haben, besuchen um ein Vielfaches seltener ein Gymnasium als Kinder aus Akademikerelternhäuser. Das Ziel der Hochschulreife erreichen sie häufiger als andere – auch wenn das besser geworden ist – erst über den längeren Weg der berufsbildenden Schulen. Ein deutlich geringerer Anteil von ihnen nimmt ein Hochschulstudium auf. Sechsmal häufiger landen sie an Hauptschulen. Ich finde, das ist ein Ausweis, dass es, was das Bildungssystem in Deutschland betrifft, so nicht weitergehen kann.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie reden die berufliche Bildung schlecht! Das ist nicht gut, Frau Hein! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Es gibt nicht nur die akademische Bildung, Frau Kollegin!)
Probleme gibt es nach wie vor auch im Bereich der beruflichen Bildung. Ende des vergangenen Jahres – inzwischen liegen auch neuere Zahlen vor – wurde festgestellt, dass wieder weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden als im Jahr zuvor, in dem schon ein Tiefststand zu verzeichnen war. Das ist nicht mit Passungsproblemen zu erklären, wie es die Bundesregierung und Sie, Frau Ministerin, immer wieder tun. Es fehlt eindeutig ein Ausbildungsangebot. Es gibt genügend Bewerberinnen und Bewerber, die einen Beruf erlernen wollen. Sie bekommen aber keinen Ausbildungsplatz; das ist das Problem. 81 000 Bewerberinnen und Bewerber sind im vergangenen Jahr ohne Ausbildungsvertrag geblieben. Das sind zwar 2 400 weniger als im Jahr zuvor; aber wenn das Abbautempo so weitergeht, werden wir nicht 10 oder 15, sondern 34 Jahre brauchen, um dieses Defizit auszugleichen.
Vor allem fehlt Geld, viel Geld. Sie haben zum wiederholten Male auf die 1,2 Milliarden Euro verwiesen, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt. Ich frage mich, was von diesem Betrag noch alles finanziert werden soll.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bildung!)
Sie haben angekündigt, dass Sie in den nächsten vier Jahren insgesamt 6 Milliarden Euro mehr in die Bildung geben werden.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und?)
Es gibt aber Studien, die belegen, dass jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro zusätzlich nötig wären, um die Defizite im Bildungsbereich insgesamt auszugleichen.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung bestimmt!)
Sie können nicht immer nur auf die Länder verweisen,
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Natürlich! – Sybille Benning [CDU/CSU]: Die Länder müssen das Geld nur richtig verwenden!)
Sie müssen die Länder auch entsprechend ausstatten; anders funktioniert das nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe 15 Jahre Bildungspolitik in den Ländern gemacht. Ich weiß, was dort in den Bildungshaushalten steht. Ich weiß, was das für ein Kampf ist,
(Sybille Benning [CDU/CSU]: Ja, wir sind so!)
und ich weiß, wo dann das Ende der Fahnenstange erreicht ist.
Wir wollen nicht verhehlen, dass es auch positive Entwicklungen gibt.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!)
Aber wie das so ist: Auch bei den positiven Entwicklungen gibt es Defizite. Obwohl die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige stark gestiegen ist, wurden vor allen Dingen in den westlichen Bundesländern die Zielzahlen gar nicht erreicht.
Sie haben uns zitiert, weil wir die WiFF-Initiative loben. Wir loben sie, weil diese Weiterbildungsinitiative geeignet ist, bei ausgebildeten Fachkräften sonderpädagogische Sachkompetenz zu entwickeln. Was diese Initiative jedoch nicht leisten kann, ist die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Man darf nicht verkennen, dass die WiFF-Initiative ein Weiterbildungsprogramm ist. Ihre Arbeit ist aller Ehren wert, reicht aber nicht aus für eine vernünftige Versorgung mit ausgebildetem Erziehungspersonal.
(Beifall bei der LINKEN)
Zu den positiven Trends gehört auch der Wunsch nach höheren Bildungsabschlüssen. Der Realschulabschluss – das steht auch im Bildungsbericht – wird zum neuen Regelabschluss; das ist sehr schön. Bei Lernförderung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes der Bundesregierung ist das Ziel, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen, jedoch nicht vorgesehen. Dies sei kein Grund, Lernförderung zu beantragen, hat uns die Bundesregierung schriftlich erklärt. Wenn der Realschulabschluss aber ein solch anerkannter und erstrebenswerter Abschluss wird – wir wissen, dass man dadurch deutlich besser einen Ausbildungsplatz bekommt –, dann muss auch er Ziel von Lernförderung sein. Ich kann Ihnen versichern: Die Schulen könnten mit dem Geld, was man in die Lernförderung steckt, etwas Besseres anfangen. Aber die Schulen bekommen das Geld nicht und das gehört zu den Grundstrickfehlern in unserem Bildungssystem.
Gut ist auch, dass immer mehr junge Leute ein Studium aufnehmen; hier wurden die Zielzahlen des Bildungsgipfels in der Tat überboten. Doch die Lehre an den öffentlichen Hochschulen wird vor allem durch befristet eingestelltes Lehrpersonal abgesichert.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das liegt doch an den Ländern! Die können das doch ändern! 1,2 Milliarden Euro! Ich hoffe, Sie können rechnen!)
– 1,2 Milliarden Euro; ich hoffe, Sie können rechnen.
(Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Judex non calculat! Juristen können nicht rechnen!)
Es ist keine zukunftsfähige Entwicklung, wenn man durch prekär Beschäftigte die Lehre absichern will. Da muss etwas passieren! Das können Sie jetzt im Übrigen auch leisten.
(Beifall bei der LINKEN)
Besondere Probleme weist der Bildungsbericht bei der schulischen Bildung aus. Es wurde schon gesagt: 2012 haben immer noch 5,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. An den Förderschulen besteht in den Ländern sehr oft nicht einmal die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss zu erwerben; auch das gehört zu den Defiziten.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist Sache der Länder, Frau Hein!)
Problematisch ist, dass die Entwicklung neuer Schulformen – die es gibt in den Ländern, und zwar zuhauf – von den Autoren des Bildungsberichtes so eingeschätzt wird, dass dies die Übersichtlichkeit im Bildungssystem nicht erhöht, im Gegenteil, es wird unübersichtlicher. Familien werden immer mehr verunsichert und sind dadurch auch in ihrer Mobilität eingeschränkt.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Früher war alles besser!)
Besonders nachdenklich gemacht hat mich die Feststellung, dass die Zahl der allgemeinbildenden Schulen in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen ist und dass es nicht mehr möglich ist, überall ein wohnortnahes Angebot zu machen. Die Schulwege werden länger. Darüber verliert die Bundesregierung leider kein Wort. Das sei nicht ihr Bier, dafür sei der Bund nicht zuständig, nicht für die Schulsanierung, nicht für die Schulsozialarbeit, nicht für die Ausstattung mit Lehrkräften usf. – alles Ländersache.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Für was sind denn die Länder noch zuständig! Für gar nichts mehr? – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn niemand für irgendetwas zuständig ist, brauchen wir auch keinen Bildungsbericht mehr! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
– Wissen Sie, ich bin Lehrerin. Ich weiß, was es heißt, jeden Schultag fünf bis sechs Stunden das Interesse von Schülerinnen und Schülern wachzuhalten. Es steht im Bildungsbericht, wir sind heute bei diesem Thema. Dann lassen Sie mich auch darüber reden! Sie können sich dort nicht einfach rausmogeln!
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn die Länder für die Kultur nicht mehr zuständig sind, werden sie abgeschafft! Polizeiminister allein brauchen wir nicht!)
– Herr Kauder, ich mache mal einfach weiter, ja?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie ruhig! Ist sowieso Unsinn, was Sie da erzählen!)
– Das kennen Sie noch nicht. – Seit meiner Schulzeit hat sich die Lebenswelt von Kindern gravierend verändert. Ich habe große Hochachtung vor dem, was die Lehrenden zurzeit leisten.
(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir auch!)
Die Bundespolitik erfindet in ihrer Unzuständigkeit Programme, mit denen sie an der Schule vorbei versucht, die Defizite, die es im schulischen Bereich gibt, zu beseitigen. Das sind durchaus vernünftige Programme, wie „Kultur macht stark“, die als Ergänzung von uns sehr wohl durchaus anerkannt werden.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben dagegen gestimmt!)
– Wir haben nicht wegen des Programms dagegen gestimmt, sondern weil es einen Ersatz leisten soll, was nicht möglich ist.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gucken Sie doch einmal nach! Dagegen gestimmt! Immer nur dagegen und fordern!)
Das können diese Programme einfach nicht leisten – auch nicht die Berufseinstiegsbegleitung. Das alles kann die Situation an Schulen nicht verbessern.
Über die inklusive Bildung wird meine Kollegin nachher reden; ein paar Minuten Redezeit wird sie noch haben. Wir haben uns entschlossen, einen entsprechenden Antrag einzureichen, weil die Bundesregierung eben nicht die Konsequenzen zieht, von denen wir glauben, dass sie gezogen werden müssen.
Wir fordern deshalb erneut die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“, damit wir hier nicht immer darüber debattieren müssen, wer zuständig ist;
(Beifall bei der LINKEN)
denn die Bildung unterliegt laut Grundgesetz der staatlichen Aufsicht, und Staat sind wir bitte schön auch.
Zu dieser Gemeinschaftsaufgabe gehören eine bessere Ausfinanzierung des Bildungssystems und ein Rechtsanspruch auf Ausbildung.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben, glaube ich, ein anderes Staatsverständnis als wir!)
Die hohe Betreuungsqualität im frühkindlichen Bereich und die hohen Betreuungszahlen haben auch etwas damit zu tun, dass es hier einen Rechtsanspruch gibt. Das darf man nicht vergessen.
Daneben ist auch eine inhaltliche und strukturelle Debatte notwendig. Hier könnte ein Bildungsrat helfen, den wir schon 2012 vorgeschlagen haben. Ich freue mich, dass die SPD dem jetzt zustimmt. Vielleicht finden wir ja noch mehr Gemeinsamkeiten. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4439470 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 80 |
Tagesordnungspunkt | Nationaler Bildungsbericht 2014 |