16.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 18

Uwe SchummerCDU/CSU - Nationaler Bildungsbericht 2014

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Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegin Werner, welchen Stellenwert die Frage der Behindertenpolitik und der Inklusion bei den Linken hat, sieht man daran, dass der profilierteste Sprecher, den Sie in dem Bereich haben, Herr Ilja Seifert, nicht mehr dem Parlament und Ihrer Fraktion angehört. Sie haben ihn nicht ausreichend abgesichert; er war Ihnen nicht mehr wichtig.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nennt man Basisdemokratie!)

Insofern ist es eine ganz politische Frage, ob man letztendlich bereit ist, in der eigenen Truppe Konsequenzen zu ziehen, oder man sie immer nur von anderen einfordert, aber selber versagt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

40 Prozent derer, die in einer Förderschule unterrichtet werden, gelten als lernbehindert. Ich denke, dass wir uns mit Blick auf unsere Bildungslandschaft angesichts der offenkundig steigenden Zahl der Menschen mit Lernbehinderung selber einmal fragen müssen, ob nicht manchmal auch die Bildungsmethoden und -systeme falsch sind. Der Nürnberger Trichter und die Schwerpunktsetzung auf eine rein theoretische Herangehensweise können nach meiner Überzeugung vermeintliche Lernbehinderungen produzieren. Denn es ist nicht immer ein Kind lernbehindert, sondern es sind oftmals die Methoden, die Systeme, die das Lernen behindern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Begreifen kommt auch von greifen.

Der Weg aus der praktischen Erfahrung zum Verständnis wurde in der allgemeinen Bildung weitgehend verbaut. Praxis und Theorie in der dualen Berufsausbildung zeigen auch der allgemeinen Bildung, wie es besser gehen kann: wie man auf der einen Seite von der Theorie zur Praxis gelangt und auf der anderen Seite über die Praxis zum theoretischen Verständnis kommt. Beide Wege müssen möglich sein; beide Wege sind gleichberechtigt in der Bildung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Berufsschulen und überbetriebliche Werkstätten können im Verbund mit den allgemeinbildenden Schulen diese praktischen Wege wieder freilegen. Der Bildungsbericht empfiehlt auch, dass dort, wo sonderpädagogischer Förderbedarf vorhanden ist, dieser mit den Bildungsakteuren besser abgestimmt wird. Eine Assistenz sollte in der Schule, in den Bildungseinrichtungen nicht isoliert mitlaufen, sondern Assistenz und Bildungspersonal sollten eng miteinander verzahnt sein.

Jährlich verlassen etwa 50 000 Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Schule. Nur wenige finden eine Berufsausbildung. Nur 10 Prozent der Betriebe im dualen System bieten auch für behinderte Jugendliche Ausbildungsplätze an. In meinem Bundestagsbüro war ein Vertreter des Verbandes der Floristen zu Besuch, der sich darüber beklagte, dass die Floristen keine Auszubildenden mehr finden. Ich habe ihn gefragt: Haben Sie es denn auch einmal mit behinderten Jugendlichen versucht? – Man konnte schon an seinen Augen sehen, dass das nicht so richtig sein Thema war. Schließlich kam die Antwort: Die Kunden, die zu uns kommen und Blumen kaufen, haben nie Zeit, sie müssen sofort weiter. – In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht einmal über Entschleunigung nachdenken.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wir sollten uns mit der Frage beschäftigen, ob man nicht Arbeitsprozesse und -strukturen so organisieren kann, dass sie menschengerecht sind und dass dadurch auch behinderte junge Menschen ein Stück weit die Chance bekommen, mitzuarbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da kann einiges im Hintergrund geschaffen werden. Man hat auch entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten für den Umbau von Arbeitsplätzen. Es gibt auch Kunden, die Zeit haben und die froh sind, wenn sie ein Käffchen bekommen und mit dem Floristen ein Gespräch führen können. Entschleunigung ist etwas, was uns allen guttut. Deshalb ist das ein Thema, das wir sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Politik aufgreifen sollten.

Ich war am Montag in einer katholischen Grundschule in Neuzelle in Brandenburg. Ich fand es spannend, zu sehen, wie hier eine Regelgrundschule aus einer Förderschule entwickelt worden ist, eine Regelgrundschule in Vielfalt, wie sie sich selber nennt. Zwei Drittel der Kinder sind ohne Förderbedarf, ein Drittel benötigt Sonderförderung. Die Klassengröße liegt bei 16. Von der ersten Klasse an lernen Kinder, behindert oder nicht, gemeinsam. Es gibt ausreichend finanziertes geschultes Personal und Räume für den Fall, dass sich Schüler mit ihrer Assistenz zurückziehen wollen.

Wir wissen, dass die Zahl der Schüler mit besonderem Förderbedarf seit vielen Jahren konstant bei 500 000 liegt, bei einer allerdings insgesamt sinkenden Schülerzahl. Wir wissen auch, dass im Grundschulbereich die inklusive Beschulung bei etwa 44 Prozent liegt, im Sekundarbereich sinkt sie auf 23 Prozent.

Deshalb ist es wichtig, auf der einen Seite Zielsetzungen für die Inklusion zu entwickeln. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Die wunderbare, fabelhafte grüne Bildungspolitik von Frau Löhrmann in Nordrhein-Westfalen hingegen sorgt erstens dafür, dass ein Unterrichtsstundenausfall überhaupt nicht erfasst werden kann.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nicht das Niveau, Herr Kollege!)

Man hat sich für 700 000 Euro ein Gutachten erstellen lassen, in dem festgestellt wird, weshalb man Ausfallstunden nicht addieren kann. Zweitens wird jeder Schüler in Nordrhein-Westfalen mit 2 800 Euro weniger im Jahr gefördert, als das beispielsweise in Thüringen der Fall ist. Damit wird im Grunde die Zielsetzung erkennbar: Wir schaffen die Förderschulen ab und übertragen die Mittel auf die Regelschulen; das wird schon irgendwie klappen. – Auf diese Weise fährt man Inklusion krachend gegen die Wand!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Eltern und Lehrer in Nordrhein-Westfalen sind dann bedauerlicherweise sauer und regen sich auf über Inklusion, obwohl die Auswirkungen offenkundig auf eine falsche, alles über Bord werfende Bildungspolitik von Frau Löhrmann zurückzuführen sind.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch, was Sie sagen! Sie haben keine Ahnung!)

Das beschädigt die Inklusion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb kann ich nur empfehlen, die katholische Regelschule in Neuzelle in Brandenburg als Vorbild zu sehen, sie einmal zu besuchen und davon zu lernen.

Es ist gut, dass wir in diesem Bildungsbericht gemeinsam – Bund und Bundesländer – Konsequenzen entwickelt haben. Das ist auch ein gutes Zeichen, dass wir als Bund mit den Ländern diese Aufgabe bewältigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Rossmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4439614
Wahlperiode 18
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Nationaler Bildungsbericht 2014
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