16.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 19

Klaus BarthelSPD - Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir gerade beim Veräppeln sind, Herr Kollege Ernst, müssen wir doch erst einmal schauen, was für einen Antrag die Linke in diese Debatte eingebracht hat. Dazu haben Sie nur ganz zum Schluss etwas gesagt. Ich will auf diesen Antrag eingehen, aber vorher noch sagen: Soweit Sie hier Argumente vorgebracht haben, haben Sie Richter, den Beirat und Sozialdemokraten zitiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insoweit kann man Ihnen nur recht geben: Das waren Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen muss.

Was Sie hier beantragen, ist aber etwas ganz anderes. Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem Gefälligkeitsgutachten, von nicht gegebener Neutralität und fordern dann, kein Geld „für tendenziöse Gutachten zu verschwenden“.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)

Dann frage ich Sie einmal: Wo auf dieser Welt gibt es absolute Neutralität? Warum sollte man einer Bundesregierung, einer Bundestagsfraktion oder wem auch immer das Recht nehmen, Gutachten in Auftrag zu geben, bei denen man damit rechnet, dass die eigene Position unterstützt wird, wenn man doch weiß, dass es – gerade bei dieser Frage – keine absolute Wahrheit, keine absolute Neutralität und Interessenfreiheit gibt? Herr Kollege Ernst, warum geben Sie von der Fraktion Die Linke bei Herrn Professor Däubler ein Gutachten zum Tarifeinheitsgesetz in Auftrag, übrigens auch mit Steuergeldern finanziert, das Ihre Position bei der Tarifeinheit stützt? Das ist doch in Ordnung. Entscheidend ist nur, dass man sich mit diesen Gutachten auseinandersetzen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn einem nichts Besseres einfällt, als andere wegen ihres Interessenhintergrunds anzupissen, dann zeigt das nur, dass man selber keine Argumente hat und deshalb versuchen muss, mit Lobbyismus zu kommen.

Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Gleich. Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. – Es geht hier um Transparenz, darum, sichtbar zu machen: Welche Argumente werden von wem vorgebracht? Dann ist es völlig legitim, diese Leute zu Anhörungen einzuladen und sich von ihnen Gutachten erstellen zu lassen. Sie haben ja in der Anhörung Gelegenheit gehabt, Herrn Schill zu befragen, und er hat Ihre Fragen ganz offen beantwortet. Dann gibt es aber kein Problem mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ansonsten müssten wir alle uns nämlich fragen, was wir hier eigentlich machen. Sie, Kollege Ernst, und ich, wir kommen aus den Gewerkschaften. Wir machen auch kein Geheimnis daraus: Natürlich haben wir einen Interessenhintergrund. Dementsprechend argumentieren wir und holen wir Gutachten ein. Das ist völlig legitim. Sich aber nicht mit den Inhalten auseinanderzusetzen, spricht für geistige Armut, und das haben Sie heute hier mit Ihrem Antrag geliefert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Herr Kollege Barthel, ich habe Sie so verstanden, dass der Kollege Ernst jetzt eine Zwischenfrage stellen darf. Deshalb erteile ich ihm dazu das Wort.

Herzlichen Dank. – Die Behauptung, dass wir uns hier nicht mit Inhalten auseinandersetzen, muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen. Wir haben uns mit diesem Thema schon auseinandergesetzt, als der Großteil der SPD mit diesem Thema noch gar nicht vertraut war, als Sie noch gar nicht wussten, was da überhaupt laufen soll. Die Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird, ärgert mich.

Um was geht es eigentlich? Es geht um die Frage: Welche Art von Gutachten lassen Sie erstellen? Ich habe nichts dagegen, dass man mit Interesse ein Gutachten erwartet; das macht jeder. Aber das Wirtschaftsministerium ist nicht einmal in der Lage, einen neutralen Gutachter zu benennen. Wissen Sie denn, was Herr Schill gemacht hat, wo er gearbeitet hat? Wissen Sie, dass er indirekt über seinen früheren Chef selber an Verfahren beteiligt war? Können Sie sich vorstellen, dass jemand, der auf einer Schlichterliste eines internationalen Schiedsgerichts steht, keinesfalls der Auffassung sein wird, dass ein Schiedsgericht überflüssig ist? Er lebt doch davon. Er verdient sein Geld damit, und wie Sie wissen, verdienen Schiedsrichter ausgezeichnet. Angesichts dieser Tatsache, Herr Barthel, können Sie doch nicht behaupten, das sei seriös.

Natürlich versucht man, auf der wissenschaftlichen Ebene Experten zu finden, die alle Aspekte berücksichtigen. Aber wenn jemand selber an diesem Verfahren beteiligt ist, dann ist er doch nicht neutral. Das ist die Kritik, die wir in unserem Antrag formuliert haben. Herr Barthel, wir sagen klipp und klar: Neutral ist Ihr Gutachten nicht. Nehmen Sie andere, wirklich neutrale Gutachter! Dann werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Lobbyismus pur!)

Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo es absolute Neutralität gibt. Da bin ich gespannt. Sie sagen, das sei unseriös. Setzen Sie sich doch einmal mit den Argumenten von Professor Schill auseinander! Sein Interessenhintergrund ist bekannt. Aber das ist doch kein Grund, uns nicht mit den Argumenten von jemandem auseinanderzusetzen, der Erfahrung mit solchen Verfahren hat. Man muss mit Fakten argumentieren, und genau hier liegt das Problem. In Ihrer Rede haben Sie sich zu 99 Prozent nicht mit Ihrem Antrag beschäftigt. Aber darüber müssen wir eine Debatte führen. Ich bin gespannt, wann die Linken einen Antrag vorlegen, so wie es die Grünen gemacht haben, in dem sie sich ernsthaft mit der Sache auseinandersetzen und die Frage klären, wie die Linken in Zukunft Welthandel und Weltwirtschaft gestalten wollen. Aber Sie wollen sich auf Debatten über Handelsverträge nicht einlassen. Stattdessen bringen Sie konfuse Kritik vor.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ernst, ich muss schon sagen: Sie betreiben platte Stimmungsmache, und das können wir überhaupt nicht brauchen.

Schauen wir uns doch die Kampagnen der letzten Wochen an. Erst wird gezetert, der Konventsbeschluss der SPD sei Verrat, weil er Tür und Tor öffne und keine Ablehnung von TTIP und CETA beinhalte. Ein paar Tage später ziehen Sie den Konventsbeschluss der SPD aus der Tasche als Bestätigung für Ihre Position; denn darin steht: Wir wollen keine Schiedsgerichte. – Wieder ein paar Tage später wird Sigmar Gabriel kritisiert, weil er den Konventsbeschluss angeblich aufgegeben habe. Das wird daran festgemacht, dass er hier darauf hingewiesen hat, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene eine breitere Diskussion brauchen, wenn wir in Bezug auf TTIP, CETA und Investorenschutz noch etwas verändern wollen.

(Beifall bei der SPD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Gabriel nicht gesagt! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ist er doch nicht alleine!)

Genau deswegen ist Sigmar Gabriel zurzeit in Europa unterwegs: Er will anderen Ländern unsere Position deutlich machen. Er macht deutlich, was wir wollen,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagt doch, was Ihr wollt!)

nämlich Bewegung in die Verhandlungen über TTIP und CETA bringen. Das ist schon ein Stück weit gelungen.

Dann gibt es Kampagnen – hier komme ich auf die Grünen zu sprechen –, mit denen die Bürgerinnen und Bürger durch Informationen, die einfach nicht stimmen, auf die Palme gebracht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was will die SPD?)

Es wurde zum Beispiel behauptet, dass die SPD-Fraktion am letzten Dienstag vor Weihnachten gezwungen werde, irgendeine Entscheidung über TTIP oder CETA zu treffen. Die Folge war, dass Hunderte von Bürgerinnen und Bürgern bei uns Abgeordneten der SPD anrufen und uns bewegen wollen, das nicht zu tun.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben wir doch nichts zu tun!)

Es ist richtig: Am Ende kommt es auf die Sozialdemokratie an. Es ist schon klar, dass sich die Blicke auf uns richten. Aber die Bürgerinnen und Bürger durch unwahre Behauptungen auf die Palme zu bringen, das ist nicht in Ordnung. Ich frage Sie alle:Wem nützt das eigentlich? Wem hilft das?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hilft das den Grünen? Hilft das Campact? Hilft das der Linken? – Nein, es bewirkt nichts anderes, als die Politikverdrossenheit zu erhöhen, Misstrauen zu säen und die Politikferne zu unterstützen.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über die Sache!)

Deswegen haben auch Sie von den Grünen heute in der weiteren Debatte die Gelegenheit, sich von solchen Kampagnen zu distanzieren, anstatt sie draußen in der Öffentlichkeit zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar nichts damit zu tun! Was haben wir denn mit dieser Kampagne zu tun?)

Ich bin gespannt, wie die Grünen die heutige Debatte kommentieren werden,

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal irgendwas sagen, damit wir es kommentieren können!)

weil ich gehört habe, dass Sie ursprünglich gefordert haben, dass wir heute über Ihren Antrag abstimmen. Wir haben das ja schon einige Male erlebt: Wenn wir einen Antrag zum Investorenschutz ablehnen, wird im Umkehrschluss behauptet, wir seien für den Investorenschutz und für Schiedsgerichte.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür sind Sie denn?)

Wir sind dafür, dass wir Ihren durchaus seriösen Antrag überweisen, in den Ausschüssen behandeln und weiter diskutieren, weil wir ihn nicht einfach ablehnen, sondern in der Sache darüber diskutieren wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wofür Sie sind!)

Zur Sache komme ich jetzt; es besteht ja leider immer das Problem, dass man sich zuerst mit anderen Dingen auseinandersetzen muss. Es ist doch klar, dass das Bundeswirtschaftsministerium, die SPD und im Übrigen schon die alte Bundesregierung der Auffassung waren, dass wir keine Schiedsgerichtsverfahren und keinen Investorenschutz brauchen. Das ist zu TTIP zu Protokoll gegeben worden. Im Übrigen gilt der alte Spruch – weil es ein ordoliberaler Spruch ist, dachte ich immer, dass er von Ludwig Erhard ist; ich habe aber gelesen, dass er von Montesquieu ist –: Wenn ein Gesetz nicht nötig ist, ist es nötig, kein Gesetz zu machen. – Das heißt für mich: Wenn ISDS nicht nötig ist, dann ist es nötig, kein ISDS zu machen. Das ist die Position des Wirtschaftsministeriums, das ist die Position der Sozialdemokraten, und das war auch schon die Position von Schwarz-Gelb. Das Konsultationsverfahren hatte das gleiche Ergebnis:

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht der Kollege Pfeiffer anders!)

Es gibt ein neues Nachdenken in der Kommission. Dazu wird mein Kollege Dirk Wiese, der heute hier als neues Mitglied des Wirtschaftsausschusses reden wird, sicher noch etwas sagen.

Ich will zum Schluss noch einmal sagen: Es geht bei dieser Debatte um mehr als nur die Abwehr von Schiedsgerichtsverfahren.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Es geht um mehr als die Frage, wer die Verträge zum internationalen Handel und zum Investorenschutz aushandelt. Vorrangig geht es um die Frage, welche Abkommen mit welcher Qualität und welchen Inhalten wir international aushandeln.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Unsere Kriterien sind: Können wir die Daseinsvorsorge sichern? Können wir die Standards auf der Welt verbessern? Können wir einklagbare Rechte für Verbraucher, für Umweltschutzverbände, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaffen? Können wir Datenschutz- und Verbraucherrechte verankern? Können wir die Finanzmärkte regulieren? Können wir Steuerdumping unterbinden?

Lieber Kollege Barthel, leider ist die Redezeit begrenzt. Deshalb bitte ich Sie, zum Schluss zu kommen.

Jawohl. – Es geht also nicht nur um einen Abwehrkampf, sondern auch um Gestaltung. Derjenige, der an dieser Auseinandersetzung um die Gestaltung solcher Handelsabkommen teilnimmt, ist nicht ängstlich, sondern mutig.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben Sie aber nichts gesagt!)

Der Mut besteht darin, so etwas vernünftig auszuarbeiten und nach vorne zu treiben. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten dabei weiterkommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Max Straubinger.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4441618
Wahlperiode 18
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada
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