16.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 19

Jürgen HardtCDU/CSU - Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegen Ende der Debatte möchte ich nicht all das vortragen, was hier schon gesagt wurde,

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber nicht!)

sondern möchte auf die Argumente eingehen, die im Einzelnen hier vorgetragen wurden und vielleicht den einen oder anderen neuen Gedanken zusätzlich hereinbringen.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Die Frage der Handelsabkommen mit Kanada und mit den USA ist für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und der Europäischen Union von essenzieller Bedeutung. Selbstverständlich sind schlechte Handelsabkommen eine schlechte Hilfe hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und gute Abkommen eine gute Hilfe. Deswegen sollten wir über Parteigrenzen hinweg gemeinsam daran arbeiten, dass wir gute und zuverlässige Handelsabkommen bekommen, so wie Deutschland auch jetzt schon viele Handelsabkommen hat, von denen es profitiert.

Jenseits der Polemik der Debatte hier im Haus, aber überwiegend außerhalb dieses Hauses habe ich doch das Gefühl – ich habe mit Frau Künast darüber beim Tagesspiegel diskutiert –: Die Grünen halten sich die Hintertür, dass sie vielleicht eines Tages doch für dieses Abkommen sein könnten, sperrangelweit offen. Ich finde, das ist ein positives Zeichen. Deswegen lohnt es sich auch, mit Ihnen zu reden. Auch das, was Frau Höhn gerade gesagt hat, war ja ein Schritt in diese Richtung.

Warum sind Handelsabkommen wichtig für uns? Ich sage es einmal ganz konkret: Hinsichtlich der wirtschaftlichen Wirkungen von Handelsabkommen, CETA mit Kanada oder TTIP mit den USA, haben wir natürlich die Situation, dass wir nur schwer einschätzen können, wie viel das konkret an mehr Arbeitsplätzen und in Euro bzw. Dollar ausmacht. Ich will mich auch nicht auf Prognosen stützen. Da geht die eine in die eine Richtung und die andere in die andere Richtung. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die strategische Bedeutung dieser Abkommen nicht zu überschätzen ist.

(Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Genau!)

Angesichts der Tatsache, dass in dieser Welt China, Indien, südamerikanische und afrikanische Staaten, Indonesien, Korea, auch Russland ganz stark darum buhlen, wer den Ton bei der Frage angibt, was fairer Welthandel ist, haben wir hier die Chance, für 50 Prozent der Weltwertschöpfung, für 50 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, nämlich Europäische Union plus Nordamerika, unsere Vorstellungen von fairen Standards im Welthandel und von fairen Bedingungen bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durchzusetzen. Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir uns auf dem Wege dahin verzetteln und scheitern, dann werden die anderen sagen: Ihr Europäer, ihr Amerikaner wollt uns sagen, was fairer Welthandel ist? Ihr seid ja nicht einmal in der Lage, Standards für euren relativ vergleichbaren Wirtschaftsraum herzustellen. Jetzt geben wir den Ton an und sagen, wohin die Reise geht. – Dann müssen wir auf deren Zug mitfahren, und nicht umgekehrt.

Umgekehrt ist es natürlich so, dass wir dann, wenn wir für einen Wirtschaftsraum, der etwa 50 Prozent der Weltwertschöpfung ausmacht, Regeln setzen, zwar keinen in China oder Indien zwingen können, sich bei der Produktion an diese Regeln zu halten; aber wenn er in unseren Wirtschaftsraum hinein will, muss er sie erfüllen. Den Unternehmer in Fernost, der das ignorieren kann, der sozusagen 50 Prozent des Marktes einfach vernachlässigt, indem er sich nicht daran hält, möchte ich sehen. Das ist für mich eine riesige Herausforderung, das bietet für mich eine riesige Chance, die wir unbedingt wahrnehmen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Da werden, wie ich finde, gewisse Polemiken und auch Übertreibungen dem Ernst der Sache nicht gerecht. Ich möchte auch den Kollegen Landwirtschaftsminister da noch ein bisschen in Schutz nehmen. Sie wissen ja, dass das Wiener Schnitzel bekanntermaßen nicht Wiener Schnitzel heißt, weil es aus Wien kommt, sondern weil es aus Kalbsfleisch besteht. Warum ist es aus Kalb? Weil es ja eigentlich ein Cotoletta Milanese ist. – Ich will damit nur deutlich machen: Die Frage, wie die Bezeichnungen nach regionaler Herkunft in der Europäischen Union geregelt sind, ist ja durchaus bedenkenswert.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir wollen das auch ändern!)

Wenn wir auf dem Wege eines Handelsabkommens dazu kommen, dass im Zuge einer entsprechenden Diskussion dafür gesorgt wird, dass der Verbraucher erkennen kann, ob in dem Parmesankäse holländische oder polnische Milch drin ist oder ob die Milch tatsächlich aus Oberitalien stammt, dann würde das einen Fortschritt darstellen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

In diesem Sinne habe ich unseren Landwirtschaftsminister verstanden. Deswegen auch seine plakativen Beispiele.

Frau Dröge, ganz kurz zum Thema Kölsch, weil es mir ein persönliches Anliegen ist. Kölsch wird an der Stadtgrenze von Düsseldorf und in Bonn gebraut. Deshalb kann es nicht regional geschützt werden.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)

Daraufhin haben sich alle 22 Kölsch brauenden Brauereien im Rheinland zusammengeschlossen und das Wort „Kölsch“ als Markennamen schützen lassen. Damit haben sie das Problem, dass sie keine Bezeichnung nach regionaler Herkunft anwenden können, umgangen.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!)

– Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln. Der Mann, der das gemacht hat, war vor 25 Jahren mein Nachbar in Köln.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte ganz konkret etwas zu dem Thema der Schiedsverfahren sagen. Den von der Staatssekretärin verwendeten Begriff „problematisch“ würde ich so nicht verwenden. Es ist aber eine der großen Herausforderungen im Rahmen dieser Abkommen, für diese Schiedsverfahren vernünftige Regeln zu entwickeln. Ich sage Ihnen auch: Ich halte es für völlig unrealistisch, dass wir die Kanadier davon überzeugen würden, dass sie darauf verzichten. Die Gespräche, die ich geführt habe, geben dazu keinen Anlass. Auch wenn Sie mit US-Amerikanern darüber reden – ich habe mit einer Person, die daran maßgeblich beteiligt ist, gesprochen –, halte ich es für unrealistisch, dass es aufgegeben wird, nachdem vereinbart wurde, dass wir so etwas machen. Ich bin aber der Meinung, wir sollten die Chance wahrnehmen, daraus Schiedsverfahren neuen Typs zu machen, und zwar konkret bei CETA, das dann ein Role Model, also ein Vorbild, für TTIP sein kann, was wir mit den Amerikanern verhandeln. Ich finde ein paar Aspekte ganz entscheidend bei dem CETA-Verfahren.

Erstens. Transparenz. Das CETA-Verfahren wird sich, anders als bisherige Schiedsverfahren, nach diesen neuen UN-Transparenzrichtlinien richten. Wir haben bisher nur den vorläufigen englischen Text, 1 600 Seiten, des Handelsabkommens vorliegen. Wir werden das alles sorgfältig auch in deutscher Sprache prüfen müssen. Ich habe den Eindruck, dass dies ein qualitativer Sprung ist mit Blick auf die Transparenz dieses Verfahrens.

Zweitens. Ganz wichtig ist, dass derjenige, der nach einem Schiedsverfahren in CETA ein Schiedsgericht anruft, ein relevantes Geschäft haben muss. Die Diskussion, dass man irgendwo eine Briefkastenfirma gründet, um in den Genuss der Vorteile eines Schiedsverfahrens im Handelsabkommen zu kommen, fällt nach CETA weg. Er wird konkret ausgeschlossen. Sie müssen substanziell betroffen sein, und zwar schwerwiegend im Sinne von Enteignung oder ähnlichen schwerwiegenden Eingriffen, damit Sie überhaupt das Recht haben, einzuschreiten. Und Sie müssen geltend machen, dass Sie als Teilnehmer des jeweils anderen Teils des Handelsabkommens – also als Amerikaner in Europa oder umgekehrt – gegenüber denen diskriminiert sind, die aus dem anderen Teil des Marktes kommen. Die Frage, ob die Veränderung eines Umweltstandards in Deutschland zu Schiedsgerichtsverfahren führt, ist natürlich mit Nein zu beantworten. Das würde für ein deutsches Unternehmen, für ein italienisches Unternehmen, für ein englisches Unternehmen in Deutschland genauso wie für ein amerikanisches Unternehmen gelten. Somit wäre das gar kein Gegenstand, wo die Diskriminierung des Teilnehmers aus dem jeweils anderen Wirtschaftsteil stattfindet. In diesem Sinne möchte ich nur deutlich machen, dass es eine massive Weiterentwicklung der Schiedsverfahren gibt. Wir werden uns das genau ansehen. Wir werden auch als Parlament Einfluss nehmen. Das Parlament wird sowieso ein ganz entscheidendes Wort bei diesen Handelsabkommen sprechen. Wir werden sowohl bei CETA als auch bei TTIP darüber im Deutschen Bundestag abstimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die deutsche Bundesregierung wird, wenn sie im Rat ihre Stimme abgibt, mit Sicherheit dem Deutschen Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, wie sie im Rat abzustimmen gedenkt. Sie kennen alle die Regeln, die wir hier im Deutschen Bundestag haben: Theoretisch könnten wir die Regierung förmlich binden in ihrem Abstimmungsverhalten im Rat. Also die Vorstellung, dass etwas an den demokratisch gewählten Vertretern vorbeiläuft, ist unbegründet. Es hat, wie ich finde, massive Versäumnisse in der Informationspolitik in den letzten Jahren gegeben. Ich finde, sie sind im Jahr 2014 zu wesentlichen Teilen auch aufgelöst und aufgehoben worden. Die neue Kommission – Juncker, Timmermans, als erster Vizepräsident dafür zuständig, und Frau Malmström, die neue Handelskommissarin – hat in der Öffentlichkeitsarbeit einen gänzlich anderen Stil gewählt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Am 7. Januar ist ein ganzer Stapel von Dokumenten ins Netz gestellt worden, mit denen wir uns auseinandersetzen können. Ich finde, dass der Bundeswirtschaftsminister, der es in dieser Frage mit seiner Doppelrolle wirklich nicht einfach hat – das muss ich einmal sagen –, einen guten Job und eine gute Öffentlichkeitsarbeit macht. Ich bitte nur ganz herzlich darum: Lassen Sie uns das Thema mit dem notwendigen Ernst und in dem Bewusstsein um das, was auf dem Spiel steht, sorgfältig und sauber beraten. Lassen wir uns von Menschen, die aus anderen – bei dem einen oder anderen vielleicht auch dumpf antiamerikanistischen – Motivationen dagegen vorgehen, nicht beirren. Lassen Sie uns gemeinsam Unklarheiten auflösen!

Ich möchte, weil ich noch 50 Sekunden Redezeit habe, eine Unklarheit nennen. Dass die kommunale Selbstverwaltung oder die Frage der kommunalen Daseinsvorsorge betroffen ist, kann man weder bei CETA noch bei TTIP sagen. In den Leitlinien für die Verhandlungen über TTIP steht unter Ziffer 20: Das wird nicht angerührt. – Das steht außer Frage; es wird auch nicht bestritten. Dennoch beschließen jetzt die Räte im ganzen Land entsprechende Resolutionen auf der Basis von Textentwürfen, die sie von einzelnen Fraktionen oder vom Städtetag bekommen. Für mich hat das den Charakter der folgenden Entscheidung: Der Rat der Stadt Köln beschließt, der Kölner Dom soll nicht abgerissen werden. Dafür wird man im Rat der Stadt Köln immer eine Mehrheit finden; nur hat keiner den Plan, den Kölner Dom abzureißen. – Es hat auch keiner den Plan, die kommunale Daseinsvorsorge, so wie wir sie in der Europäischen Union und im Rahmen der WTO geschützt haben, infrage zu stellen.

Ich bin guten Mutes, dass wir die Zweifler, die Skeptiker überzeugen werden. Ich bin guten Mutes, dass die Antiamerikaner in Deutschland nicht so stark sind, dass sie uns da wirklich reingrätschen können. Ich möchte Sie ermutigen, die heutige Debatte als Auftakt zu nehmen, zukünftig sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst mit diesem Thema umzugehen, auf allen Seiten des Hauses.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4441819
Wahlperiode 18
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada
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