16.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 19

Matthias MierschSPD - Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hardt, vielen Dank für diesen Beitrag. Ich glaube, er war am Ende wohltuend, weil er eines gezeigt hat: Viele, die sich augenblicklich äußern, sind verunsichert; sie stellen Fragen. Die Mindestverpflichtung des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland ist die sachliche Auseinandersetzung mit den Ängsten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da hilft es nicht, von einer „Empörungsindustrie“ zu sprechen. Da hilft es aber auch nicht, Herr Kollege Ernst, so zu tun, als ob der deutsche Rechtsstaat die Lösung wäre; denn wir sind schon viel weiter. Es gibt nicht nur den deutschen Rechtsstaat, und viele Probleme, die wir hier heute zu lösen haben, sind allein nationalstaatlich nicht mehr in Gänze zu lösen. Auch das muss man den Menschen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als Umweltpolitiker sage ich Ihnen, dass wir beim internationalen Klimaschutz das Spannungsfeld zwischen notwendigen internationalen Verträgen und deren Umsetzung hautnah erleben. Aber gleichzeitig erleben wir beim Thema Grüne Gentechnik, dass wir es nicht einmal schaffen, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Haltung zu erreichen, sodass es jetzt mit der Opt-out-Klausel eine – ich sage es mal so – Renaissance des nationalstaatlichen Handelns gibt.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Bundesregierung dafür gestimmt hat!)

Insofern müssen wir überlegen, wie es bei diesen sensiblen Themen, bei CETA und bei TTIP, aussieht. Ich bin froh, dass wir mit Bernd Lange einen Sozialdemokraten haben, der als zuständiger Berichterstatter im Europäischen Parlament genau die Fragen, die Sie von den Grünen in Ihrem Antrag gestellt haben, gerade in Ihrem Sinne klärt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was mir aber zu kurz kommt – deswegen werde ich ein bisschen hellhörig, wenn Sie eine sofortige Abstimmung wollen –, ist die Tatsache, dass es um viel mehr geht als nur Schiedsgerichte – ja oder nein –; es geht vor allen Dingen auch um die zugrundeliegenden Anspruchsgrundlagen. Da haben wir bei CETA beispielsweise augenblicklich 500 Seiten englischsprachigen Text vor uns liegen, mit einem Verweis auf ein Anlagenkonvolut von rund 1 000 Seiten. Ich weiß nicht, ob sich jemand in diesem Haus zutraut, auf alle Fragen zu antworten. Ich finde es jedenfalls legitim, dass sich Leute an uns wenden und sagen: Guckt da genau nach!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte gerade als Umweltpolitiker ein Thema herauspicken, das mich ganz besonders berührt und bei dem ich befürchte, dass wir in Verbindung mit der Konstruktion der Schiedsgerichtsbarkeit ein ganz ungutes Gebräu bekommen: Wir haben zwei unterschiedliche fundamentale Rechtsgrundsätze im europäischen bzw. im kanadischen und amerikanischen System: Wir haben in Europa den sogenannten Vorsorgegrundsatz. Den gibt es in Kanada und in den USA in dieser Form nicht. Die Frage ist, inwieweit wir in diesen Abkommen – zumindest bei CETA; darauf komme ich gleich noch zu sprechen – die Unterminierung dieses Grundsatzes ermöglichen. Ich finde, wir müssen dieser Fragestellung nicht nur in einer Debatte, wie wir sie heute führen, sondern in einer Vielzahl von Unterredungen nachgehen.

Die von mir angesprochenen 500 Seiten enthalten eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen. Aber wer hat die Hoheit der Auslegung?

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)

Es ist heute in keiner Weise angesprochen worden, dass neben den Schiedsgerichten auch im CETA-Verfahren andere Gremien geschaffen werden, sogenannte Regulierungsräte, die – soweit ich es verstehe – zumindest Auslegungskompetenzen erhalten können; ich sage das ganz vorsichtig. Ich finde, wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen.

(Beifall der Abg. Klaus Barthel [SPD] und Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Denn wenn intransparente Gremien, die nicht demokratisch legitimiert sind, die Auslegungshoheit bekommen, dann geben wir – und das sage ich auch mit Blick auf die Parlamentarier im Europäischen Parlament; das betrifft nicht nur die Parlamentarier der nationalen Parlamente – demokratische Legitimität ab. Das könnte ich nicht verantworten. Deswegen möchte ich um diese Frage ringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen auf zahlreichen Seiten Fragezeichen machen. Ich finde – da teile ich die Meinung der Kollegin Höhn –, wir sollten den Bereich Grüne Gentechnik ruhig ansprechen. CETA enthält ein Kapitel, das die Überschrift „Dialog und bilaterale Zusammenarbeit“ trägt. In diesem Kapitel geht es um den Informationsaustausch gerade im Bereich der GVO, also der gentechnisch veränderten Organismen.

Es gibt eine gemeinsame Zielerklärung, in der es heißt – wenn meine Übersetzung stimmt –, dass das gemeinsame Ziel die Förderung wissenschaftsbasierter Zulassungsprozesse sei. Genau das haben wir im Vorsorgeprinzip im europäischen Kontext eben nicht. Wir müssen nicht beweisen, dass etwas gefährlich ist, sondern wir können auch etwas verbieten, weil wir uns unsicher sind, ob es gefährlich ist. Das sind fundamentale Unterschiede. Wenn diese durch die entsprechenden Klauseln unterminiert werden, dann stehen Rechtspositionen zur Disposition, die wir nicht aus der Hand geben dürfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Aus dieser Debatte ergeben sich fünf ganz konkrete Forderungen. Erstens. Das Versäumnis, von Anfang an Transparenz herzustellen – das Sie, Herr Hardt, zu Recht angesprochen haben –, können wir nur wettmachen, indem wir uns die Zeit nehmen, die wir für eine sorgfältige Beratung brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Wir müssen überdenken, ob die Beratungsformen, also wie wir hier im Parlament beraten, diesen Abkommen gerecht werden. Wir müssen überdenken, ob wir nur im Wirtschaftsausschuss oder nur im Umweltausschuss Anhörungen durchführen oder ob wir – der Wirtschaftsausschuss hat das an der einen oder anderen Stelle schon gemacht – uns hier öffnen, um die großen Abkommen interdisziplinär zu besprechen.

Drittens. Die Anspruchsgrundlagen sind mindestens genauso wichtig wie die Systematik der Schiedsgerichtsbarkeiten oder der Regulierungsräte.

Viertens. Wenn die Kommission aufgrund des Konsultationsverfahrens Änderungen bei TTIP anmahnt, dann muss das auch für CETA gelten; sonst geht das nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Fünftens. Wir sollten darüber nachdenken, ob das System sogenannter Positivlisten dazu führen kann, Rechtsunsicherheiten in vielen Bereichen der Abkommen zu beseitigen. Ich weiß, es ist ganz schwer, das jetzt noch bei CETA durchzusetzen. Viele Punkte offenzulassen, birgt die Gefahr, dass andere die Auslegung übernehmen. Insofern wäre das Positivlistensystem – Sie haben gerade die Daseinsvorsorge angesprochen – eine Möglichkeit, Rechtsunsicherheit zu beseitigen.

Vor uns liegt viel Arbeit. Ich freue mich auf eine sachliche Diskussion. Ich bin mir sicher, dass diese Themen eine Tragweite haben, die wir gar nicht hoch genug einschätzen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4441820
Wahlperiode 18
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen mit USA, Kanada
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