16.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 80 / Tagesordnungspunkt 20

Michael RothSPD - EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und meine Herren! Die Debatte, die wir heute führen, findet in Zeiten einer schweren Krise im Osten Europas statt. Wir alle, insbesondere die Bundesregierung, bemühen uns seit vielen Monaten um die Abwendung dieser Krise, und wir arbeiten an einer politischen Lösung. Wir alle wissen: Wir sind noch sehr weit davon entfernt.

Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine die Fundamente der europäischen Friedensordnung infrage gestellt. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs drohen neue Trennlinien auf unserem Kontinent. Von neuen Mauern und neuer Entfremdung wären die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien unmittelbar betroffen, nicht nur wegen ihrer geografischen Lage. In allen drei Ländern gibt es, wenn auch in ganz unterschiedlicher Ausprägung, Bestrebungen in beide Richtungen: einerseits die traditionell engen Beziehungen zu Russland, andererseits den Wunsch nach einer stärkeren Anbindung an Europa. Angesichts der derzeitigen Krise ist es umso bemerkenswerter, dass diese drei Länder gerade jetzt die Zusammenarbeit mit der EU abermals vertiefen wollen. Der Abschluss der Assoziierungsabkommen mit der EU am 27. Juni des vergangenen Jahres hat dies eindrucksvoll gezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Assoziierungsabkommen wollen wir die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien auf ihrem schwierigen Weg der Reformen begleiten: mit Rat und mit Tat, aber eben auch mit finanzieller Unterstützung. Die Abkommen setzen einen klaren, verbindlichen Rahmen für weitere tiefgreifende Reformen in diesen Ländern, die bitter nötig sind.

Unsere östlichen Nachbarn modernisieren, öffnen und demokratisieren Schritt für Schritt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich freue mich über die bisherigen Erfolge und Fortschritte. Doch die eigentlichen Bewährungsproben liegen noch vor uns. Denn nun gilt es, über 1 000 Seiten Regelungswerk umzusetzen. Das wird ein ziemlicher Kraftakt, der die Länder grundlegend verändern dürfte. Ein solch radikaler Wandel vollzieht sich nicht ohne Spannungen. Er kennt eben nicht nur Gewinner, sondern er bringt, zumindest kurzfristig, immer auch Verlierer hervor.

Die Regierungen unserer Partnerländer wissen, was die Menschen in der Ukraine, in der Republik Moldau und in Georgien jetzt von ihnen erwarten und einfordern: Rechtstaatlichkeit, Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption, eine leistungsfähige Justiz und Verwaltung. Wenn das gelingt, dann rückt das in greifbare Nähe, was wir uns alle im Interesse dieser Menschen wünschen: stabile Demokratien, in denen das Recht geachtet und die Menschenrechte geschützt werden, erfolgreiche Wirtschaften und ein starker Sozialstaat.

Wir wissen aber eben auch: Die EU wird das Ziel einer stabilen, demokratischen und wirtschaftlich gedeihenden Nachbarschaft nur dann erreichen, wenn diese Länder auch gute Beziehungen zu ihrem großen Nachbarn im Osten pflegen. Es geht für die Ukraine, für die Republik Moldau und für Georgien eben nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung; denn die Östliche Partnerschaft will unsere Partnerländer eben nicht vor die Wahl stellen, und schon gar nicht ist dieses Projekt gegen Russland gerichtet. Ich möchte aber auch sagen: Russland hat kein Recht, in der Ukraine territoriale Fakten zu schaffen oder die Staaten der Östlichen Partnerschaft mit Strafen zu belegen. Hier steht die Europäische Union geschlossen an der Seite unserer östlichen Nachbarländer, die auf unsere Solidarität zählen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Fähigkeit zur Selbstkritik wird von der Europäischen Union immer wieder eingefordert. Wir haben uns natürlich auch gefragt: Was ist da möglicherweise falsch gelaufen? Mit Blick auf die Östliche Partnerschaft hat Russland erst nach jahrelangen Assoziierungsverhandlungen ernste Bedenken angemeldet, und leider hat Russland Mittel gewählt, die sich überhaupt nicht mit guter Nachbarschaft und internationalem Recht vereinbaren lassen. Diese von Russland gewählten Mittel sind inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich weiß aus sehr vielen persönlichen Gesprächen – das deckt sich sicherlich mit Ihren eigenen Erfahrungen, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Keines der östlichen Partnerländer möchte seine jahrhundertealten Verbindungen zu Russland abbrechen. Auch die Europäische Union misst den Beziehungen zu Russland weiterhin eine ganz hohe strategische Bedeutung bei.

Die Bundesregierung setzt sich nicht nur unermüdlich für eine politische Lösung der Ukraine-Krise ein. Wir nehmen natürlich auch die Sorgen Russlands über die Auswirkungen der Assoziierungsabkommen auf seine Wirtschaft ernst. Wir haben auch Bereitschaft gezeigt, die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens mit der Ukraine für 15 Monate auszusetzen, um zu überprüfen, wo es möglicherweise Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit dieser Staaten mit Russland gibt. Die Europäische Union ist also durchaus zu vernünftigen und praktikablen Lösungen bereit, die dem Frieden und der Sicherheit der ganzen Region dienen. Aber es ist eben auch klar – das haben wir Russland immer wieder deutlich gesagt –: Wenn die EU Verträge mit Drittstaaten schließt, dann gibt es für Russland kein Vetorecht.

Am Anfang dieses Gesetzgebungsverfahrens möchte ich einen kleinen Wunsch äußern, liebe Kolleginnen und Kollegen: Im Mai dieses Jahres findet in Riga das nächste Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft statt. Die große Mehrheit unserer Partner in der Europäischen Union wird bis dahin die Ratifizierung der drei Assoziierungsabkommen abgeschlossen haben. Ich fände es großartig, wenn auch wir, als Motor der europäischen Nachbarschaftspolitik, unsere Ratifizierungsverfahren bis dahin abgeschlossen hätten. Daher bitte ich Sie um eine intensive, aber auch um eine zügige Beratung. Wir stehen als Bundesregierung unterstützend bereit. – Ich darf heute diese Abkommen für die Bundesregierung hier einbringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner spricht Wolfgang Gehrcke, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Genosse Gehrcke, los!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4441842
Wahlperiode 18
Sitzung 80
Tagesordnungspunkt EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta