Franz ThönnesSPD - EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Staatsminister Roth hat die Rahmenbedingungen, unter denen wir heute die drei Assoziierungsabkommen beraten, treffend und umfassend beschrieben. Man muss aber auch sagen: Nicht zuletzt, weil auch die internationale Lage so schwierig ist, verdienen die ständigen Bemühungen von Außenminister Steinmeier und Bundeskanzlerin Merkel unsere vollste Unterstützung, damit es so schnell wie möglich wieder zu einem Treffen kommt, um einen erneuten Versuch zu unternehmen, Frieden in diese Region zu bringen und den Konflikt friedlich zu lösen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch wenn die Rahmenbedingungen so sind, wie sie von meinen Vorrednern beschrieben worden sind, ist heute ein Tag der Freude; denn wir haben heute ein wichtiges Etappenziel in der Östlichen Partnerschaft zu beraten. Mit dem Abschluss der Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 mit der EU ist ein ganz wichtiger Schritt vollbracht worden, und heute wollen wir einen nächsten Schritt gehen.
Es war ein großer historischer Moment, als am 16. September 2014 das Europäische Parlament auf der einen Seite und die Werchowna Rada auf der anderen Seite in Kiew, per Video miteinander verbunden, zeitgleich dem Vertragswerk zugestimmt haben, einem Vertragswerk, dem die zentrale Idee von Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand, dem Wegfall der Visapflicht, von Sicherheit, Demokratie und der Mitgliedschaft im demokratischen Haus zugrunde liegt. Deswegen freuen wir uns, dass wir jetzt an diesem Punkt sind.
Aber gleichzeitig muss uns klar sein: Wir stehen vor großen Herausforderungen, die teilweise schon skizziert worden sind. Zum Vertragen gehört auch Verantwortung, und zur Verantwortung gehört, auszusprechen, dass sowohl die EU als auch die Ukraine vor einem großen Aufgabenfeld stehen.
Wenn von sechs Ländern, mit denen man den Prozess der Östlichen Partnerschaft begonnen hat, am Ende mit dreien ein Assoziierungsabkommen geschlossen werden kann, müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, warum das nicht mit allen gelungen ist. Wir kennen die Druckmechanismen, aber wir wissen auch um die Befindlichkeiten in den Ländern. Letzten Endes gilt ihr Selbstbestimmungsrecht.
Zudem darf man die Frage stellen, ob immer alles richtig eingeschätzt und bewertet worden ist. Hat man beispielsweise berücksichtigt, dass 36 Prozent der Exporte der Ukraine in die Mitgliedstaaten der Zollunion, 24 Prozent nach Russland und 30 Prozent nach Europa gehen?
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 30 Prozent! Ein Drittel!)
Hat man berücksichtigt, dass ein Drittel der Exporte Georgiens nach Russland gehen? Hat man berücksichtigt, dass 500 000 bis 700 000 Gastarbeiter aus Moldawien in Russland sind? War es nicht doch ein Fehler – und ich bleibe dabei, weil auch Bundeskanzlerin Merkel das mittlerweile unterstützt –, dass EU-Kommissionspräsident Barroso gesagt hat: „Die Ukraine muss sich entscheiden, entweder oder“?
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist aber faktisch falsch!)
Das war keine gute Situation.
Bei dem ausgesetzten Teil des Freihandelsabkommens geht es jetzt darum, dass Russland liefern muss, wenn es um die Kriterien geht und darum, welche Beschwernisse aus russischer Sicht bestehen, wenn es umgesetzt wird. Seit dem 12. September 2014 hat es leider keine weiteren Zusammenkünfte gegeben.
Herr Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin?
Ja, selbstverständlich.
Vielen Dank. – Herr Kollege Thönnes, ich stimme Ihnen zu, was den Eindruck betrifft, die Ukraine müsse sich im Hinblick auf eine gute wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit, aber vor allem auch in der Handelszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Staaten der Zollunion, mit denen sie bilaterale Freihandelsabkommen hat, entscheiden. Ich lege aber Wert darauf, dass nach meinem Verständnis Herr Barroso zwar damals gesagt hat, die Ukraine müsse sich entscheiden und wissen, dass sie für den Fall, dass sie der Zollunion beitritt, nicht mehr mit einem Freihandel mit der Europäischen Union rechnen könne, weil die Vorgaben der Zollunion weder WTO-tauglich sind noch mit den Freihandelsbestimmungen der Europäischen Union übereinstimmen, dass dies aber nach den Aussagen von Barroso nicht für den Status quo galt. Das heißt, dass die bisherigen Freihandelsabkommen der Ukraine mit den Staaten der Zollunion weiterhin in Kraft bleiben können. Dieser Unterschied ist relativ wichtig. Denn niemand, weder in der Ukraine noch in der Europäischen Union, möchte diesen Pfad der Ukraine, die seit 1991 die Strategie verfolgt hat, mit allen Nachbarn gute Handelsbeziehungen zu haben, also mit Russland, Weißrussland, der Europäischen Union, aber auch mit Georgien und Moldau, die übrigens auch nicht gerade irrelevant sind, ändern. Stimmen Sie dem zu?
Herr Kollege Sarrazin, ich glaube, dass an dieser Stelle dennoch der Eindruck vermittelt worden ist, als müsste man sich langfristig für das eine oder das andere entscheiden. Es wäre hilfreicher gewesen, gemeinsam danach zu suchen, wie ein solcher Eindruck verhindert werden kann, und im Hinblick auf eine ökonomische Tätigkeit mit der Europäischen Union und der Eurasischen Union auszuloten, inwieweit es Kooperationsmöglichkeiten gibt. Das war zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben. Dass eine solche Situation entstanden ist, die uns bis heute verfolgt, war nicht gut.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)
Sonst würde man jetzt nicht einen Teil des Abkommens aussetzen. Das hätte man wesentlich früher anfangen können. Dann hätten wir uns das jetzt sparen können. Das ist sozusagen auch das Eingeständnis dafür.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die tiefe wirtschaftliche Kluft nicht so schnell überwunden sein wird und dass, wie Kollege Wellmann schon gesagt hat, so etwas wie ein Marshallplan notwendig ist. Der Chefanalyst für Osteuropa der Raiffeisen Bank International in Wien schätzt den Bedarf an privatwirtschaftlichen und öffentlichen Investitionen auf 200 Milliarden US-Dollar. Ich glaube, er liegt mit seiner Expertise nicht daneben. Das heißt, angesichts des Hintergrundes, vor dem die politisch Verantwortlichen in Kiew nun arbeiten müssen, wird es darauf ankommen – Staatsminister Roth hat darauf hingewiesen, dass es auch Verlierer geben wird –, bei diesem Prozess einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Ukraine zu organisieren. Als Ministerpräsident Jazenjuk in der letzten Woche über Reformen sprach, sprach er auch vom Kampf gegen Korruption, vom Abbau sozialer Leistungen, von Entlassungen im öffentlichen Dienst beschäftigter Menschen sowie von der Reduzierung von Einkommen und von Preiserhöhungen. Das alles sind keine guten Botschaften.
Es muss daher ein sozialer Dialog erfolgen, in den Gewerkschaften, Unternehmen und die Zivilgesellschaft eingebunden sind, um die schwierigen Folgen der Umgestaltung abzumildern und dazu beizutragen, dass der Prozess in gute Bahnen mündet. Dabei könnten unsere Erfahrungen mit den Transformationsprozessen in der Eisen- und Stahlindustrie, der Kohleindustrie und bei der deutschen Einheit hilfreich sein. Der Prozess wird nur dann gelingen, wenn auch der soziale Zusammenhalt in der Ukraine gewahrt wird.
(Beifall bei der SPD)
Ich will hinzufügen, dass es auch notwendig ist, offen darüber zu reden, dass wahrscheinlich die aktuellen ökonomischen Machthabenden gar kein Interesse an einer nachhaltigen Modernisierung des Landes haben, sondern nur am Erhalt der eigenen Machtressourcen interessiert sind. Deswegen wird es wichtig sein, das Oligarchentum infrage zu stellen und die Verteilung wirtschaftlicher Macht neu zu regeln. Es ist wichtig, an dem anzusetzen, was sich auf dem Maidan entwickelt hat, also die NGOs zu stärken und zu fördern sowie eine Verzahnung mit der Zivilgesellschaft in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland zu organisieren. Schließlich geht es darum, den Prozess, der nun stattfindet, in einem Monitoring zu überwachen und zu begleiten.
Notwendig ist ebenfalls, Schluss mit der Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Eliten zu machen. Die EU muss dabei helfen, dass die reformorientierten Kräfte in der Ukraine lokal, regional und national an neuer Stärke gewinnen. Schließlich geht es darum – auch deswegen ist dieses Assoziierungsabkommen so wichtig –, dass man sich kritisch mit den Menschenrechtsverletzungen durch die Freiwilligenbataillone auseinandersetzt. Insbesondere die Minderheitenrechte in der Ukraine sind deutlich zu wahren, wenn es um Sprache und Kultur geht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich will abschließend noch auf zwei, drei Punkte hinweisen.
Nein, Herr Kollege, ich muss Sie leider ermahnen, zum Schluss zu kommen.
Dann komme ich zum Schluss.
Wir haben bislang über die inneren Verhältnisse in der EU und der Ukraine geredet. Es wird notwendig sein, auch außenpolitisch ein Umfeld zu entwickeln, das eine friedliche Entwicklung in Europa gewährleistet; denn nur dann wird der Prozess der Transformation, der Assoziierung und des Weges nach Europa auch für die Ukraine friedlich verlaufen. Das bedeutet, die russische Perspektive zu berücksichtigen; denn die Landkarte ist nun einmal so, wie sie ist. Frieden in Europa wird sich nur mit Russland und nicht gegen Russland organisieren lassen. Russland muss aber wissen: Frieden in Europa und seine eigene Sicherheit werden nur gemeinsam mit Europa organisiert werden können. Dazu gehört neues Vertrauen, das durch nachweislich friedliches Handeln untermauert werden muss.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Bernd Fabritius von der CDU/CSU das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4441938 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 80 |
Tagesordnungspunkt | EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau |