Joachim PoßSPD - Regierungserklärung – Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man kann, ohne in Schwarzmalerei zu verfallen, feststellen, dass die Lage in Europa in dieser Woche komplizierter geworden ist, nicht weil wir das Wahlergebnis bedauerten; ich jedenfalls tue das nicht. Die Abwahl der beiden Parteien, die die Regierung gestellt haben, ist aus Sicht der griechischen Bevölkerung nachvollziehbar. Aber was uns dieses Wahlergebnis beschert hat, wirkt sich in verschiedene Richtungen aus – das sieht man ja auch in der Debatte über Sanktionen –, und das in einer Situation, in der die Europäische Union im Interesse der Arbeitslosen und insbesondere der jugendlichen Arbeitslosen eine größere Handlungsfähigkeit braucht, um mehr Investitionen und Strukturreformen in Bildung und Ausbildung und zugunsten einer funktionierenden Verwaltung durchzuführen; in einer Situation, in der wir vorangekommen sind und die neue Kommission die Aufgaben mit einem gewissen neuen Schwung in Angriff nimmt. Wir führen die Diskussion auch auf europäischer Ebene – nicht nur in Griechenland –, um den Widerspruch zwischen Austerity, also einer übertriebenen Sparsamkeit, auf der einen Seite und Investitionen auf der anderen Seite aufzulösen.
Wir führen zurzeit diese Debatte. Europa braucht die Auflösung dieses Widerspruchs. Wir müssen im Interesse der europäischen Bürger an einem Strang ziehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen macht diese Komplikation so, wie sie sich derzeit abzeichnet, die Lage schwierig.
Es ist auch nicht in Ordnung, dass wir – nicht nur in Griechenland, auch in anderen europäischen Ländern erlebt man das – in eine Sündenbockfunktion gebracht werden: Deutschland, die EU oder die Troika.
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Sie sind ja Täter!)
Das ist kontraproduktiv. So ist zum Beispiel die Behauptung des neuen griechischen Finanzministers, dass die EU für den Klientelismus und die Vetternwirtschaft in Griechenland verantwortlich ist,
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber für die Sparmaßnahmen!)
schlicht absurd.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wenn man solche absurden Analysen trifft, dann kann man auch keine vernünftigen Schlussfolgerungen mit Blick auf das ziehen, was jetzt erforderlich ist. Auf der Grundlage solcher Analysen kann man keinen Staat, keine Gesellschaft und keine Wirtschaft aufbauen. Das heißt, linker und rechter Populismus helfen den oft verzweifelten Menschen in Griechenland oder auch anderswo in der Europäischen Union nicht.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber die Pasok auch nicht! Und andere gibt es ja nimmer!)
Unsere konkrete Antwort auf diese Situation ist: Wir reden nicht nur über Investitionen in Deutschland und Europa, sondern wir sorgen in den nächsten Monaten dafür, dass in Deutschland und Europa tatsächlich mehr investiert wird.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das ist unsere Antwort, und darauf kommt es an.
Im Übrigen sind wir keine Illusionisten. Nur so können wir auch der schwindenden politischen Akzeptanz, die die Europäische Union in der europäischen Bevölkerung hat, entgegenwirken. Denn wir sehen ja die Wahlergebnisse; ich denke dabei nicht nur an Griechenland, sondern auch an andere Trends.
Erfolge – zum Beispiel im Kampf gegen Steuerdumping, und zwar nicht nur in Luxemburg – brauchen wir in Europa aus Gerechtigkeitsgründen und aus finanziellen Gründen. Schließlich brauchen wir auch eine vernünftige Finanztransaktionsteuer.
Das sind drei wichtige Punkte, in denen sich die Kommission, das Europaparlament und auch die nationalen Parlamente, auch wir, beweisen müssen, indem sie sagen: Das ist unser europäisches Projekt; daran arbeiten wir, und wir erreichen Fortschritte. – Diese messbaren Fortschritte müssen wir in diesem Jahr schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar mit deutscher Unterstützung und einer breiten Mehrheit.
(Beifall bei der SPD)
Es muss in Deutschland auch verstanden werden: Die wirtschaftliche und die soziale Stabilität der Euro-Zone wird nur dann zu erreichen sein, wenn die Länder mit den größten Problemen wieder auf die Beine kommen. Das liegt in unserem ureigensten Interesse. Es ist gesunder Egoismus, wenn wir vielleicht mehr als bisher investieren, um für Stabilität in ganz Europa zu sorgen. Das versteht man hier in Deutschland noch nicht ausreichend.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dazu gehört auch, dass wir in Europa und Deutschland erkennen müssen, dass wachsende Ungleichheit nicht nur ein soziales Problem ist, sondern zunehmend auch zum wirtschaftlichen Problem wird. Deshalb ist Verteilungsgerechtigkeit – Kollege Fuchs musste schon gehen; ich hatte ihm das angekündigt – auch für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig; das gehört inzwischen zum Standardrepertoire der wichtigsten Ökonomen der Welt.
(Beifall bei der SPD)
Das ist kein Gegensatz. Verteilungsgerechtigkeit ist auch für die ökonomische Entwicklung wichtig. In diesem Sinne wollen wir jedenfalls Europa gestalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Bernd Westphal, SPD-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4511027 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung – Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft |