Niels AnnenSPD - Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag befasst sich heute zum dritten Mal mit der Verlängerung des Mandats Active Fence, in dem es um einen Beitrag der NATO zur integrierten Luftverteidigung in der Türkei geht.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Lage in Syrien ist die NATO der Bitte ihres Bündnispartners Türkei nachgekommen, eine Lücke in der türkischen Luftverteidigung zu schließen. Es geht hier also um die Solidarität im Bündnis. Es geht aber auch um die Sicherheit der Türkei. Die Stationierung der Patriot-Raketen dient dabei weder der Bekämpfung des Assad-Regimes noch der Vorbereitung oder Durchsetzung einer Flugverbotszone. Die Kommandogewalt – darüber werden wir Sie in dieser Debatte vermutlich wieder reden hören – liegt bei der NATO und nicht bei der Türkei. Es geht also nicht um eine militärische Einmischung in den Bürgerkrieg, sondern um den Schutz für einen Bündnispartner, einen Schutz – das darf man an dieser Stelle erwähnen –, der übrigens auch den vielen Flüchtlingen dient, die wegen der mörderischen Kriegsauseinandersetzung in der syrischen Republik in die Türkei geflohen sind.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Zahl der Flüchtlinge, die von Syrien in die Türkei geflohen sind, beläuft sich mittlerweile auf über 1,5 Millionen Menschen. Die Türkei leistet hier Außergewöhnliches. Die Hilfsbereitschaft und die Großzügigkeit der türkischen Regierung, der türkischen Zivilgesellschaft und der türkischen Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen verdienen unsere Anerkennung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Solidarität mit der Türkei innerhalb des NATO- Bündnisses bedeutet jedoch nicht – auch das will ich sagen –, dass wir uns mit allen Aspekten der türkischen Syrien-Politik identifizieren. Es gibt gute Gründe, die Politik der türkischen Regierung kritisch zu betrachten. Es gibt leider zahlreiche Hinweise, Vorfälle und Zeugenaussagen, die besagen, dass die türkischen Behörden ein ziemlich nachlässiges, wenn nicht gar zum Teil auch wohlwollendes Verhalten gegenüber ausländischen Kämpfern an den Tag legen. Offenbar gelingt es ausländischen Kämpfern weiterhin, aus Europa nach Syrien einzureisen. Offensichtlich ist auch der umgekehrte Weg relativ problemlos möglich. Deswegen sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 24. September des vergangenen Jahres eine Resolution – die Foreign-Fighter-Resolution – verabschiedet hat, in der er bekräftigt – ich will daraus zitieren –: „… dass alle Staaten gehalten sind, Bewegungen von Terroristen oder terroristischen Gruppen zu verhindern, indem sie wirksame Grenzkontrollen durchführen …“. Wir erwarten von der Türkei die komplette Umsetzung dieser Resolution.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE])
So wie sich die Lage in Syrien derzeit darstellt – das muss man ganz nüchtern feststellen –, werden wir uns vermutlich auf einen langjährigen Konflikt mit weiteren unschuldigen Opfern einstellen müssen; denn bisher spricht nichts dafür, dass irgendjemand von dem Ziel abgerückt ist, diesen Krieg mit militärischen Mitteln für sich zu entscheiden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingen kann, ausgesprochen gering.
Außenminister Steinmeier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir nicht nur einen Anlauf für eine politische Lösung benötigen, sondern wir brauchen gerade jetzt neue Ideen und neue Ansätze. Wir müssen denjenigen ausdauernde politische Unterstützung zukommen lassen, die sich darum kümmern.
Wir wissen, dass Russland seit einigen Monaten versucht, mit der syrischen Opposition ins Gespräch zu kommen. Das ist erst einmal positiv. Die Verhandlungen verlaufen allerdings schleppend. Über die genauen Vorschläge wissen wir relativ wenig. Ein wenig mehr Transparenz, Kooperation und Kommunikation an dieser Stelle wären daher wünschenswert.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Kann mich ja fragen!)
Der neuernannte Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Staffan de Mistura, versucht – auch das wissen wir – etwas über eine neue Strategie zu erreichen. Er nennt das „incremental local freezes“, also ein lokales Einfrieren des Konfliktes. Sie wissen vielleicht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass es die Versuche gibt, in der Stadt Aleppo einen lokalen Waffenstillstand auszuhandeln. Das ist in gewisser Weise das Eingeständnis, dass mit den Genfer Verhandlungen nicht der große Wurf gelungen ist. Vielleicht ist das jetzt der richtige Ansatz. Ich bin jedenfalls froh darüber, dass diese Bundesregierung die Bemühungen von Herrn de Mistura nachhaltig unterstützt; dieses Parlament sollte das auch tun.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/CSU])
Staffan de Mistura hat den VN-Sicherheitsrat unterrichtet und entsprechende Empfehlungen vorgetragen, wie die Wiederaufnahme eines politischen Prozesses funktionieren könnte. Ich glaube, dass er recht hat, wenn er sagt – ich zitiere ihn –:
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Stimmt leider!)
Zur Wahrheit gehört auch, dass sich die Türkei in einer ausgesprochen schwierigen strategischen und auch geografischen Situation befindet. In der heutigen Debatte ist auf die Befreiung von Kobane hingewiesen worden. Auch wir in der SPD-Fraktion freuen uns darüber. Es hat zum ersten Mal Kooperationen vonseiten der türkischen Regierung gegeben, Kämpfern aus den kurdischen Gebieten die Möglichkeit zu geben, sich am Kampf in Kobane zu beteiligen. Jeder, der sich mit der Politik in der Türkei beschäftigt, weiß, dass das innenpolitisch hochbrisant und kompliziert ist, weil es einen ungelösten Konflikt mit der PKK und den Kurden gibt.
Lassen Sie mich zum Abschluss darauf hinweisen: Die Türkei ist und bleibt der zentrale Akteur in der Region. Ja, wir haben Kritik am Verhalten der türkischen Regierung, aber wir brauchen die Türkei zur Lösung des Syrien-Konfliktes. Deswegen brauchen wir die Bereitschaft zur Solidarität mit der Türkei.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn die rote Linie für Sie?)
Deswegen stimmen wir heute dem Antrag der Bundesregierung zu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Katrin Kunert.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4511807 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei) |