29.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 82 / Tagesordnungspunkt 8

Reinhard BrandlCDU/CSU - Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)

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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war vergangenen Sommer in Kilis in der Türkei.

Herr Kollege, darf ich eine Bemerkung machen, die vielen bekannt erscheint, weil sie regelmäßig beim letzten Redner vor einer namentlichen Abstimmung erfolgt. Ich bitte einfach die Kolleginnen und Kollegen, dem Kollegen Brandl als letztem Redner zuzuhören und die Gespräche, wenn sie notwendig sind, nach draußen zu verlegen. – Jetzt haben Sie wieder das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. – Ich war letzten Sommer in Kilis in der Türkei in einem Flüchtlingslager, in dem 14 000 Menschen untergebracht sind und das etwa 50 Kilometer Luftlinie von Aleppo entfernt ist. Die Menschen in diesem Lager können die Kämpfe und die Raketeneinschläge auf der syrischen Seite zum Teil hören. Ich habe die Flüchtlinge und die Mitarbeiter der Leitung des Lagers gefragt, ob sie denn keine Angst haben, so nah an dem Konfliktort untergebracht zu sein. Die Antwort war immer die gleiche. Die Menschen haben gesagt, sie haben keine Angst, weil es keine der Konfliktparteien wagen würde, einen NATO-Partner anzugreifen.

Wir reden hier viel über Beistandsverpflichtung, Artikel 5 des NATO-Vertrages, Abschreckung und Rückversicherung. Aber wenn man mit den Menschen vor Ort spricht und erlebt, wie beruhigend es für sie ist und welche Sicherheit sie daraus ziehen, in einem NATO-Land zu sein, dann merkt man erst, was das wirklich bedeutet.

Das Ganze funktioniert aber nur, wenn die NATO glaubwürdig ist, wenn kein Zweifel daran besteht, dass wir im Falle eines Angriffs zu Hilfe eilen würden. Meine Damen und Herren, das gilt sowohl für die baltischen Staaten, in denen wir im Moment auch Rückversicherung betreiben, als auch für die Türkei. Das gilt unabhängig davon, ob wir die türkische Regierung oder die aktuelle Politik der türkischen Regierung gut finden. Ich finde sie nicht gut. Aber das tut hier nichts zur Sache. Es geht darum, dass wir klarmachen, dass wir in einer Konfliktsituation oder Bedrohungssituation zu unseren Partnern in der NATO stehen.

Meine Damen und Herren, deswegen muss man den Einsatz der Patriot-Raketen unter zwei Gesichtspunkten beurteilen. Zum einen bieten die Raketen Schutz gegen ballistische Raketen, zum anderen sind sie aber auch ein Element der Rückversicherung mit Wirkung in die türkische Bevölkerung hinein. Dafür eignen sie sich gut. Wer vor Ort ist und die Raketen auf Hügeln vor großen Städten stehen sieht, dem wird klar sein, dass diese Raketen der Bevölkerung Tag für Tag demonstrieren: Wir, eure Partner in der NATO, sind hier, um euch zu schützen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Bevölkerung ist doch dagegen!)

Diese beruhigende Wirkung dürfen wir nicht unterschätzen.

Diese Wirkung kommt aber nur dann zustande, wenn der erste Punkt, den ich vorhin angesprochen habe, nämlich das Vorliegen einer Bedrohung, glaubhaft ist. Das muss man immer wieder neu beurteilen, das kann man auch hinterfragen. Mein Kollege Florian Hahn hat das in der letzten Lesung ausgeführt. Die NATO beurteilt die Bedrohungssituation alle 90 Tage. Sie kam bei ihrem letzten Review zu dem Ergebnis: low but credible; niedrig, aber dennoch glaubhaft. Ich halte diese Bewertung für nachvollziehbar. Wir haben im letzten halben Jahr erlebt, dass etwa 50 Raketen aus Damaskus in Richtung türkische Grenze abgeschossen wurden. Keine dieser Raketen ist auf türkischem Gebiet eingeschlagen, alle sind in Syrien niedergegangen. Aber jede dieser Raketen hätte theoretisch in der Türkei einschlagen können.

Wir haben viel über die Chemiewaffen debattiert. Es ist in der Debatte angesprochen worden: Es gibt natürlich noch ein Restrisiko, dass die Chemiewaffen nicht vollständig vernichtet worden sind. Uns liegen zwar im Moment keinerlei Anzeichen vor, dass ein Konfliktpartner die Türkei angreifen will. Aber auch das müssen wir immer wieder neu beurteilen.

Wir verfolgen diese Entwicklung sehr aufmerksam, weil wir das auch unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig sind. In der Bundeswehr gibt es nur noch ein Flugabwehrraketengeschwader Patriot. Die Soldaten bleiben in der Regel in diesem Einsatz. Das heißt, bei 70 Prozent der Soldaten halten wir es ein, dass sie in einem Zeitraum von zwei Jahren nur vier Monate im Einsatz sind. Bei 30 Prozent halten wir das nicht ein, weil es Spezialisten sind, die länger gebraucht werden; denn ohne sie ist das System nicht durchhaltefähig bzw. betreibbar.

Uns ist das sehr wohl bewusst. Wir haben vor allem mit Blick auf die Soldatinnen und Soldaten auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion sehr um unsere Zustimmung zu diesem Mandat gerungen. Wir halten gegenwärtig den Einsatz für notwendig und gerechtfertigt. Wir werden ihm auch zustimmen. Wir werden das aber auch in Zukunft aufmerksam verfolgen. Die Soldatinnen und Soldaten können sich sicher sein, dass wir sie nicht in einem Einsatz belassen, den wir nicht für sinnvoll und notwendig halten.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4511915
Wahlperiode 18
Sitzung 82
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz Operation Active Fence (Türkei)
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