Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich nach dreieinhalb Jahren hier zum ersten Mal wieder sprechen darf. Es ist ein wichtiges Thema: Es geht nicht nur, wie angekündigt, um Länderinteressen, sondern es geht um die Zukunft des Schienenpersonennahverkehrs – um nicht mehr und auch nicht weniger. Es geht auch nicht darum, ob die Länder mehr Geld haben wollen, sondern es geht darum, wie viel Geld wir zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs einsetzen.
Mein Kollege hat es soeben angesprochen: Die Bahnreform war insgesamt ein Erfolgsprojekt. Aber das größte Erfolgsprojekt der Bahnreform war die Regionalisierung, die Übertragung der Zuständigkeit für den Nahverkehr auf die Länder. Die Länder haben mit dem Geld, das über Jahre sehr auskömmlich vom Bund gekommen ist, ein gutes Angebot im Nahverkehr gemacht. Das hat dazu geführt, dass zunehmend mehr Menschen mit dem Zug zur Arbeit fahren, dass man also den ÖPNV wirklich nutzt. Wir haben bessere Züge, wir haben bessere Takte, es ist wirklich ein deutlich besseres Angebot als vor zwanzig Jahren.
Deswegen können wir auch sagen: Wir haben einen großen Erfolg zu vermelden. Beispielsweise Baden- Württemberg hat 60 Prozent mehr Fahrgäste als noch vor 15 Jahren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Rheinland-Pfalz ist noch besser!)
Alle Länder – Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, wo auch immer – können diese Belege vorweisen. Aber das ist natürlich nicht aus dem Nichts gekommen, sondern kommt daher, dass wir investiert und auskömmliche Mittel bekommen haben, um Züge zu bestellen.
Genau das ist jetzt gefährdet. Das betrifft nicht nur den Bestand, sondern auch die Chance auf Ausbau. Auch der Bund bzw. auch diese Koalition will ja etwas für den Klimaschutz und zur Staubekämpfung tun. Wenn man dies will, dann muss man auch den öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere den Schienenpersonennahverkehr, ausbauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, die Große Koalition, insbesondere der Finanzminister, verweist dieses Projekt immer in die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Das ist, mit Verlaub, grottenfalsch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)
In den 90er-Jahren ist die Bahnreform durchgeführt und zugleich das Grundgesetz geändert worden, und zwar unabhängig von den Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Man hat eine neue Zuständigkeit und eine neue Finanzierungsgrundlage geschaffen; ich verweise auf Artikel 106 a Grundgesetz. In diesem Zusammenhang ist der Bund verpflichtet, den Ländern eine auskömmliche Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Das ist die Wahrheit, das ist der Punkt, um den es geht, und eben nicht um die Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Zuruf des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU])
Ich erspare mir jetzt verfassungsrechtliche Texte, die das noch einmal untermauern; aber ganz eindeutig ist der Bund verpflichtet, die Länder auskömmlich auszustatten. Dessen sind Sie sich ja durchaus bewusst. Nur, Sie pokern. Aber Sie pokern nicht gegenüber den Ländern, sondern Sie pokern gegenüber den Kunden des Nahverkehrs, gegenüber den Menschen, die im Alltag pendeln müssen. Die Züge sind übervoll oder müssen abbestellt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Das, was der Bund jetzt den Ländern anbietet – eine Verlängerung der bisherigen Regelung um ein Jahr bei gleichen Bedingungen –, das ist für manche der Spatz in der Hand. Ich sage Ihnen aber: Das ist Spatzendreck in der Hand. Denn die Situation für die Länder ist ja völlig anders. Wir sind in einer ganz prekären Situation.
Nur damit Sie sich das einmal klarmachen, beschreibe ich Ihnen die Situation in Baden-Württemberg – andere Länder haben vergleichbare Situationen –: Wir müssen im Laufe des nächsten Jahres im Volumen von etwa 10 Milliarden Euro Nahverkehrsnetze ausschreiben – 10 Milliarden Euro! Wir müssen Verträge machen, die mindestens 8, 10, 15 Jahre laufen; denn Kurzverträge sind extrem teuer, sie würden uns und den Bund sehr teuer zu stehen kommen. Wir können doch jetzt nicht einfach die Ausschreibung abbrechen. Übrigens: Die CDU im Land treibt mich, dass ich noch schneller mache. Eigentlich müsste ich sagen: Stillhalten. Ich weiß gar nicht, ob ich Geld bekomme. Welche prekäre Situation haben Sie geschaffen, obwohl Sie seit 15 Jahren wissen, dass dieses Gesetz rechtzeitig hätte novelliert werden müssen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Der Bund selbst ist sich offenbar gar nicht bewusst, was er tut. Denn auf der einen Seite sagen Sie, es ist rechtlich alles in Ordnung. Wir haben aber diese Woche vom Finanzministerium den Hinweis bekommen: Sie bekommen Geld, aber wir zahlen nur unter Vorbehalt. – Stellen Sie sich einmal vor, wir würden als Länder die DB unter Vorbehalt bezahlen. Dann würde die sagen: Pfeifendeckel, dann fahren wir nicht mehr!
Also, welche Situation haben Sie geschaffen – das ist doch völlig absurd –, nur weil Sie pokern wollen, weil Sie glauben, wenn Sie alles in einen Topf schmeißen, werden Sie am Ende weniger bezahlen müssen! Aber das können die Länder nicht akzeptieren. Wir können das nicht puffern. Die Länder haben nicht die Möglichkeit, das auszufinanzieren, was Aufgabe des Bundes ist. Dazu sind wir nicht in der Lage.
Das hat übrigens auch etwas mit den Kosten zu tun.
(Zuruf des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU])
Beim Bund haben manche noch das Bewusstsein, es herrschten bei den Regionalisierungsmitteln die Zustände wie vor Jahren. Da war es so: Man hatte phasenweise auskömmlich viel Mittel. Aber dann sind im Rahmen der Koch/Steinbrück-Liste die Mittel über fünf Jahre gekürzt worden. Darunter leiden wir heute noch. Die Mittel sind schon lange nicht mehr auskömmlich. Wir haben Preissteigerungen beim DB-Infrastrukturunternehmen von fast 40 Prozent. Das, was wir zusätzlich bekommen haben, war deutlich weniger.
Wir zahlen heute – das müssen Sie sich einmal vorstellen – 55 Prozent der Regionalisierungsmittel direkt an das DB-Unternehmen für Infrastruktur. Mit anderen Worten: Nicht die Länder greifen dem Bund in die Tasche, sondern die Länder finanzieren die Infrastruktur des Bundes.
(Lachen bei der CDU – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Quatsch!)
Daraus nimmt der Bund übrigens in den letzten Jahren noch die Rendite für seinen Haushalt. Das ist die Wahrheit; so ist die Situation.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir als Länder mit einem eigenen Gutachten belegen, was wir brauchen, dann tun wir das nicht, weil wir einfach mehr Geld wollen, sondern dann tun wir das, weil wir meinen, der Verkehr muss zukunftsfähig ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Züge, bessere Züge, bessere Qualität, wenn wir in der Konkurrenz mit dem Auto mithalten wollen.
Insofern haben die Länder einen guten und gut begründeten Gesetzentwurf vorgelegt, der übrigens nicht über die Maßen ausgestaltet ist. Übrigens: Der Vorschlag des Bundes wird noch nicht einmal mit dem eigenen Gutachten begründet. In dem eigenen Gutachten werden ja mehr Ausgaben gefordert, als der Bund uns vorschlägt.
Meine Damen und Herren, Sie haben hier also noch einiges zu tun. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Länder können Ihr Angebot nicht annehmen. Wenn Sie wollen, dann werden wir das Vermittlungsverfahren suchen. Wir können aber auch gerne zusammen eine bessere Lösung finden.
Ich sage Ihnen: Die Forderung von 8,5 Milliarden Euro nach 15 Jahren ist kein übergriffiger Wunsch, sondern gut begründet. Dass wir uns zusammengeschlossen und gesagt haben: „Wir verteilen unter den Ländern neu“, war solidarisch. Sie müssen wissen: Wir wollten nicht, dass Länder im Osten Züge abbestellen müssen. Das wäre die Konsequenz, wenn wir hierfür nicht mehr Mittel bekommen würden. Das ist eben so!
Das Land Baden-Württemberg zahlt schon in diesem Jahr 100 Millionen Euro drauf, damit wir keine Züge abbestellen müssen. Verlangen Sie das einmal von armen ostdeutschen Ländern! Diese können dann nur Züge abbestellen.
Wer also Verantwortung hat, der muss jetzt springen und endlich etwas für den Schienenpersonennahverkehr tun. Sie hatten jahrelang Zeit dafür. Mindestens zwei Koalitionen haben dieses Thema verpennt. Jetzt wird es allerhöchste Zeit. Regeln Sie das!
Wir, die Länder, sind bereit. Wir wollen eine gute Lösung, und ich glaube, wir haben einen guten Vorschlag gemacht.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4512154 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 82 |
Tagesordnungspunkt | Regionalisierungsgesetz |