29.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 82 / Tagesordnungspunkt 12

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten

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Frau Präsidentin! Herr Gesandter! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine kleine Delegation der CSU-Landesgruppe war vor vier Monaten zu Gast in Polen – ich war auch dabei –, und in den Gesprächen mit dem deutschen Botschafter in Warschau, Rolf Nikel, und mit dem polnischen Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Marek Bucior, waren die Ghettorenten immer auch ein Thema. Es wurde sehr deutlich, wie sehr es der polnischen Regierung daran liegt, die Auszahlung der Ghettorenten an Polen möglich zu machen. Ich möchte mich deshalb auch ausdrücklich bei unserem Arbeits- und Sozialministerium dafür bedanken, dass die Sache angepackt und jetzt auch zu einem guten Abschluss gebracht wurde.

Das Warschauer Ghetto war gerade einmal 3 Quadratkilometer groß. Auf dieser Fläche wurden von 1940 an zeitweise mehr als 400 000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen eingepfercht – mehrheitlich deutsche und polnische Juden, aber auch Roma. Eine ganze Großstadtbevölkerung lebte also auf einer Fläche, die ungefähr so groß war wie der ehemalige Berliner Flugplatz Tempelhof. Der Alltag war von Unterversorgung, Diskriminierung und Gewalt geprägt.

Die Menschen waren im Ghetto eingesperrt. Ihren Lebensunterhalt mussten sie dennoch selbst bestreiten. Ihnen blieb also meist gar nichts anderes übrig, als unter unwürdigen Bedingungen für die örtlichen Firmen zu arbeiten.

Viele wurden ab 1942 in ein Vernichtungslager deportiert und dort umgebracht. Nur wenige Tausend überlebten. Einer von ihnen, den wir alle kennen, war Marcel Reich-Ranicki. Er war damals Anfang 20. Seine Eltern jedoch wurden ebenso ermordet wie sein Bruder. Vor drei Jahren hat Marcel Reich-Ranicki seine Erinnerungen an das Warschauer Ghetto ja auch in diesem Haus eindrucksvoll geschildert.

Erst am Dienstag haben wir hier in einer gemeinsamen Gedenkstunde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Auch 70 Jahre später bleibt das Leid, das von deutschem Boden ausging, unvorstellbar. Aber wir haben uns ebenso eindeutig zur historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Opfern bekannt – auch im Hinblick auf die Wiedergutmachung.

Das Leid kann natürlich nicht durch Geld- oder Sozialleistungen abgegolten und schon gar nicht im eigentlichen Sinne in irgendeiner Form wiedergutgemacht werden. Unsere Bemühungen gehen dahin, zumindest die Folgen des erlittenen Unrechts etwas zu mildern. Es sind insofern Gesten, und auch der vorliegende Gesetzentwurf ist eine solche Geste an die Arbeiter aus den Ghettos.

Die allermeisten, die die Schoa überlebten, wanderten danach nach Israel oder in die USA aus. Ghettorenten können an sie seit mehr als zehn Jahren grundsätzlich ausbezahlt werden. Einige aber blieben in Polen oder gingen dorthin zurück, und das Sozialversicherungsabkommen zwischen Polen und Deutschland von 1975 hat es bisher unmöglich gemacht, auch an sie eine Rente aus Deutschland zu zahlen. Der Rentenexport war also ausgerechnet in jenes Land unmöglich, in dem die deutschen Besatzer die größten Ghettos errichtet hatten.

Das jetzt vorliegende Abkommen zum Export besonderer Leistungen an Berechtigte in Polen macht es der Rentenversicherung möglich, Renten an Überlebende aus polnischen Ghettos zu exportieren. Das ist keine Entschädigung, sondern eine Rente für geleistete Arbeit.

Für viele – das wurde schon erwähnt – kommt dieser Schritt zu spät – für die allermeisten sogar. Es sind wohl nur noch wenige Hundert, die diese Rente nun beziehen können, und ich würde mir deswegen wünschen, dass die Auszahlung rasch erfolgen kann.

Herzlichen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4512367
Wahlperiode 18
Sitzung 82
Tagesordnungspunkt Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten
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