Michael LeutertDIE LINKE - Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben im Frühjahr letzten Jahres eine Attraktivitätsoffensive angekündigt und das Ziel formuliert, dass die Bundeswehr der attraktivste Arbeitgeber im Lande werden soll. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, durch den über zehn Gesetze und Verordnungen geändert werden sollen, Kostenpunkt: zwischen 250 und 300 Millionen Euro im Jahr im Durchschnitt, also die nächsten vier Jahre ungefähr 1 Milliarde Euro. Im Kern geht es – das ist hier schon gesagt worden – um Arbeitsbedingungen, höhere Vergütung bzw. Erschwerniszuschläge, soziale Absicherung.
All das – Frau Ministerin, Sie haben das selber gesagt – sind allerdings Dinge, bei denen sich in den letzten Jahren etwas angestaut hat und jetzt notwendigerweise Abhilfe geschaffen werden muss. Sie haben selber gesagt, Sie arbeiten sich auf Normalmaß vor. Die letzte Wehrsolderhöhung zum Beispiel gab es im Jahr 2008, damals um 2 Euro. Dieses Mal soll es wieder eine Wehrsolderhöhung geben, wieder um 2 Euro – pro Tag im Übrigen; das muss man dazusagen. Ich bin mir nicht sicher, ob das dazu beiträgt, die Bundeswehr attraktiver zu machen.
Auf die wirklich aktuellen Probleme gehen Sie nicht ein; die sind aber im Bericht des Wehrbeauftragten, der diese Woche vorgestellt wurde, klar benannt. Manches wurde hier angesprochen, ich möchte noch einmal einige Punkte herausgreifen:
Erstens. Die Bundeswehr hat massive Ausrüstungsprobleme, insbesondere was Großgeräte wie das Transportflugzeug A400M und den Hubschrauber NH90 betrifft.
(Zuruf von der CDU/CSU: Der wird im Gesetzentwurf gar nicht erwähnt!)
Es wird alles zu spät geliefert, es wird alles viel teurer als vereinbart wurde, und die Fähigkeiten, die bestellt wurden, sind in der Lieferung nicht enthalten. Hinzu kommen massive Fehler im Normalbetrieb. Sie hatten vorhin davon gesprochen, dass die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie heute einen Computer bestellen, nicht mehr die Katze im Sack kaufen – die Bundeswehr kauft immer noch die Katze im Sack.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Transportflugzeug A400M zum Beispiel – ein Exemplar ist geliefert; wann die nächsten kommen, weiß niemand – kann weder Personal noch Material aus der Luft absetzen, er kann auch nicht in die sogenannten heißen Zonen, also in Kampfgebiete, fliegen,
(Rainer Arnold [SPD]: Das soll er doch auch nicht aus Ihrer Sicht!)
weil er über Selbstverteidigungsfähigkeiten erst 2016/17 verfügen wird.
Der Transporthubschrauber NH90 rostet, es gibt Rauchentwicklung im Cockpit und er hat Triebwerksprobleme, was schon zum Absturz einer Maschine geführt hat. Ich habe mich im Zusammenhang mit den Erschwerniszuschlägen gefragt, ob diese Mängel vielleicht der Grund sind, warum Hubschrauberpiloten 210 Euro mehr bekommen als Fallschirmjäger. Fakt ist: Die Nachrüstung dieser Hubschrauber – das wurde diese Woche im Verteidigungsausschuss mitgeteilt – übernimmt natürlich nicht die Industrie, sondern auch das muss wieder vom Steuerzahler bezahlt werden, obwohl in der Industrie bei der Konstruktion geschlampt wurde.
Selbst bei Standardausrüstungsgegenständen wie dem G36 gibt es Probleme; da warten wir noch auf einen Bericht, in dem geklärt wird, warum dieses Standardgewehr, wenn es heiß ist, nicht mehr zuverlässig trifft.
(Rainer Arnold [SPD]: Interessant, dass Sie jetzt über diese Waffe reden und nicht über die Menschen!)
Auf der anderen Seite ist das Personal völlig überlastet: Die Regelung, dass nach einer Auslandsverwendung von 4 Monaten eine Pause von 20 Monaten folgen soll, kann bei vielen Soldatinnen und Soldaten nicht eingehalten werden.
Auf die maroden Kasernen ist hier auch schon eingegangen worden: 38 Prozent der Unterkünfte haben größere Mängel, 269 Gebäude sind eigentlich nicht nutzbar, aber trotzdem bewohnt. Es wird von Rost- und Schimmelbefall, von nicht funktionierenden Heizkörpern, von Kloakengeruch berichtet.
Fakt ist: Sie haben diese Zustände erkannt und gesagt: Es werden neue Mittel bereitgestellt. Aber wenn solche Zustände herrschen, dann ist es völlig unbegreiflich, warum man nicht auch ohne Mittel notwendige Maßnahmen ergreift, zum Beispiel indem man sagt: Sanierte Kasernen werden nicht geschlossen – wenn Kasernen geschlossen werden müssen, dann kann man auch die maroden Kasernen schließen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, was in der Öffentlichkeit derzeit das Bild der Bundeswehr bestimmt: eine ziemlich desolate Truppe. Diese Truppe wird auch nicht attraktiver, wenn man 2 Euro mehr Sold am Tag zahlt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ihr Ziel ist – so wurde das formuliert –: Jeder Soldat soll in der Kaserne ein Einzelzimmer mit Bad bekommen, es soll eine ordentliche soziale Absicherung und Aufstiegschancen geben, Familie und Dienst sollen miteinander vereinbar sein, zum Beispiel durch Teilzeitarbeit usw. usf.
Das sind aber nur die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Arbeitsplatz. Entscheidend ist ja letztlich, ob auch die Aufgabe attraktiv ist. Darüber, Frau Ministerin, haben Sie hier aber überhaupt nicht gesprochen.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für Frieden und Freiheit zu kämpfen, ist doch attraktiv!)
Ich kann mir zumindest vorstellen, dass die Soldatinnen und Soldaten, die an dem Einsatz zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen beteiligt gewesen sind, in dieser Aufgabe einen gewissen Sinn gesehen haben und auch davon überzeugt gewesen sind, dass das richtig ist.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hoffentlich auch!)
Bei den gestern hier im Bundestag beschlossenen Einsätzen zum Irak und zur Türkei bin ich mir da aber nicht mehr so sicher; denn im Kern sieht die ganze Sache doch so aus: Wir schicken Ausbilder in den Irak, die die Kurdinnen und Kurden befähigen sollen, nachdem die Waffen geliefert wurden, sich gegen die Islamisten und gegen den „Islamischen Staat“ zu verteidigen. Auf der anderen Seite schickt der NATO-Partner Türkei logistisches Material und Waffenlieferungen genau an diese Islamisten, die mit unserer Unterstützung bekämpft werden sollen. Wir aber schicken Soldatinnen und Soldaten in die Türkei, die die Türkei vor den Folgen der Situation bewahren sollen, die sie dort schafft.
Ich glaube schon, dass vor diesem Hintergrund bei einigen Soldatinnen und Soldaten die Frage nach dem Sinn dieser Einsätze aufkommt. Wenn eine Aufgabe aber als sinnlos empfunden wird, dann ist sie auch nicht mehr attraktiv. Sie hätten meines Erachtens der Attraktivität der Bundeswehr einen viel größeren Gefallen getan, wenn gestern der Einsatz in der Türkei nicht verlängert worden wäre.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine absolute Minderheitsmeinung!)
Das Hauptziel, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber zu machen, werden Sie damit nicht erreichen. Das Hauptziel muss darin bestehen, die Aufgabe der Bundeswehr zu verändern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Kollege Felgentreu hat nun für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4514461 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz |