Fritz FelgentreuSPD - Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Programmatische Äußerungen zur Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr sind so alt wie die Truppe selbst. Ich denke da an Sätze, wie ich sie als aktiver Soldat vor 25 Jahren in der Truppe öfter gehört habe, zum Beispiel den Klassiker „Klagt nicht! Kämpft!“ oder auch solche Sätze wie „Ein Offizier beschwert sich nicht!“
(Lachen bei der LINKEN)
oder so etwas wie „Schreiben Sie doch einen Brief: Lieber Herr Wehrbeauftragter...“
Zusammengefasst wurde das alles in einem durchaus ernstgemeinten Grundsatz, dem ich seine allgemeine Berechtigung auch gar nicht absprechen will: „Der Soldat ist immer im Dienst.“ „ Der Soldat ist immer im Dienst“ – das galt für eine Bundeswehr, die als große Wehrpflichtigenarmee mit hoher Bereitschaft in der Zeit der Blockkonfrontation oft eher damit Probleme hatte, ihre vielen Soldaten sinnvoll zu beschäftigen, als mit der Frage, woher sie gute Leute bekommen sollte. Denn unter den vielen fanden sich fast immer genug, die feststellten, dass ihnen der Soldatenberuf liegt, und aus deren Reihen kommen die erfahrenen Offiziere und Unteroffiziere der Generation um die 50, die heute in vorderster Verantwortung stehen.
Die Zeiten und die Bundeswehr haben sich aber gründlich geändert. Sie war damals eine große Armee, sie hatte den Auftrag, einen mächtigen Gegner abzuschrecken und so den Frieden in Europa zu sichern, schlimmstenfalls das Land zu verteidigen. Daraus ist heute eine für ein 80-Millionen-Volk in der Mitte Europas wirklich sagenhaft schlanke, kleine Truppe geworden. Heute konzentriert sich die Bundeswehr vor allem auf ihre Fähigkeit, gemeinsam mit Partnernationen internationale Einsätze durchzuführen.
Die Wehrpflicht, die das deutsche Militär seit den Befreiungskriegen geprägt hatte, ist praktisch abgeschafft. Schon die beiden ersten Worte des alten Grundsatzes „Der Soldat ist immer im Dienst“ passen nicht mehr. Heute muss es heißen: „Der Soldat und die Soldatin …“
Aber bisher haben wir als Gesellschaft, als Gesetzgeber, als Dienstherr aus diesen Veränderungen weder mental noch in der Ausgestaltung die notwendigen Konsequenzen gezogen, damit diese veränderte Armee in einer veränderten Welt ihren Auftrag auf Dauer zuverlässig erfüllen kann.
Wir haben eine Freiwilligenarmee. Das bedeutet – ich habe jetzt einfach einmal den Mut zur Banalität –: Wir brauchen Freiwillige. Die Freiwilligen stehen aber nicht allein vor unseren Karrierecentern Schlange.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Die kommen nicht freiwillig!)
Es gibt sicherlich junge Leute, die auch aus patriotischer Gesinnung und aus hoher Identifikation mit der Bundesrepublik Deutschland wenigstens eine Zeit lang Soldaten werden wollen. Aber es sind wohl kaum genug; und in einer Zeit, in der die Bevölkerung kontinuierlich schrumpft, werden es Jahr für Jahr weniger.
Das bedeutet, die Bundeswehr muss als Arbeitgeberin in Zukunft mit anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und mit der freien Wirtschaft um kluge Köpfe und starke Arme konkurrieren. Dafür muss sie etwas anzubieten haben; etwas anzubieten, das hinreichend viele junge Leute jedes Jahr wieder davon überzeugt, sich als Soldat oder als Soldatin zu verpflichten.
Deswegen rede ich heute einmal – anders als der Kollege Leutert eben – über den eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung; er ist ein wichtiger Baustein für den Aufbau einer modernen und attraktiven Freiwilligenarmee.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Ministerin hat ja auch nicht darüber gesprochen!)
Er ist ein Ergebnis des Nachdenkens, des Hinhörens bezogen auf die Bedürfnisse der Menschen – nicht nur der Soldatinnen und Soldaten, sondern auch ihres familiären Umfeldes, ihrer Angehörigen – und der Gespräche mit den Fachleuten und Organisationen, wie dem BundeswehrVerband oder dem Reservistenverband.
Nun ist ja so ein dienstrechtliches Artikelgesetz eine wirklich hocherotische Angelegenheit, die gerade von den Gemeinden sicherlich mit glühenden Ohren gelesen wird: reich an scheinbar zusammenhanglosen Einzelbestimmungen und Querverweisen und verfasst in schönstem Juristendeutsch, das gerne zugunsten der Eindeutigkeit auch mal auf Verständlichkeit verzichtet. Die Leitgedanken des Entwurfs sind klar und für alle nachvollziehbar: Es geht zum einen um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst und zum anderen um soziale Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten.
Meine Damen und Herren, vor allem der erste Punkt ist eine kleine Revolution. Die Koalition wird mit diesem Gesetz zum ersten Mal die 41-Stunden-Woche für Soldatinnen und Soldaten festschreiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hier ist der falsche Ort, um auf Details einzelner Ausnahmen und Streitfragen einzugehen.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aber die Ausnahmen sind entscheidend!)
Entscheidend ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung und des Gesetzgebers, dass wir die 41-Stunden- Woche als den militärischen Normalfall durchsetzen wollen.
Das wird den Truppendienst verändern. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Bundeswehr ihren alten Grundsatz an den veränderten militärischen Alltag anpasst. Der Soldat und die Soldatin sind in Zukunft eben nicht immer im Dienst. Im Einsatz, wo unsere Soldatinnen und Soldaten das tun, wofür sie ausgebildet worden sind, wo sie sich schnell und aktiv auf eine veränderte Lage einzustellen haben, sind sie selbstverständlich immer im Dienst, auch dann, wenn sie schlafen. Aber an Standorten, wo die Voraussetzungen für erfolgreiche Einsätze geschaffen werden, haben sie einen Anspruch auf geregelte Arbeitszeiten und planbare Freizeit.
(Beifall bei der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum gibt es dann auch Ausnahmen?)
Gleichzeitig verbessern wir die Möglichkeit, in Teilzeit zu gehen, um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen. Die Soldatinnen und Soldaten sollen dabei in Zukunft nicht schlechtergestellt sein als Beamte. Uns allen muss klar sein – das ist heute ja auch schon problematisiert worden –, dass das eine für die Personalplanung denkbar unbequeme Lösung ist. Wer zwölf Jahre in Teilzeit geht, fällt zwölf Jahre lang für den Einsatz aus und muss dort durch andere ersetzt werden. Es ist aber die richtige, die für die Soldatinnen und Soldaten wichtige Lösung, die es ihnen leichter macht, Ja zur Familie und Ja zum Dienst, zum Beruf, zu sagen.
Meine Damen und Herren, knapp 70 Prozent unserer Dienstleistenden sind Soldaten auf Zeit. Für diese Männer und Frauen werden Rentenbeiträge für den Zeitraum nachträglich eingezahlt, in dem sie als Beamte auf Zeit keine Beiträge geleistet haben. Bei dieser Nachversicherung sind Soldatinnen und Soldaten bisher schlechtergestellt als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die zusätzlich zu ihrer Rente eine Zusatzversorgung des Bundes und der Länder bekommen. Wir werden hier Gerechtigkeit schaffen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, bei der Berechnung der Nachversicherung nicht nur von 100 Prozent, sondern von 115 Prozent der Soldatenbezüge auszugehen. Die SPD-Fraktion hat diese Zahlen einmal geprüft. Nach unserer Berechnung reichen 15 Prozent noch nicht aus, um die Soldatinnen und Soldaten wirklich gleichzustellen. Wir halten 21 Prozent für notwendig und angemessen. Über die Höhe der Anhebung der Berechnungsgrundlage werden wir im Ausschuss und bei der geplanten Anhörung deshalb noch einmal miteinander reden müssen.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Machen wir, Fritz!)
– Ja, das machen wir.
Es ist eine Besonderheit der Bundeswehr, dass viele Berufssoldatinnen und Berufssoldaten schon mit 53 Jahren, also relativ jung, in Pension gehen. Das liegt daran, dass viele Verwendungen einfach körperliche Anforderungen stellen, die der menschliche Körper ab einem bestimmten Alter nicht mehr erfüllen kann. Eine ausreichende Zahl von Anschlussverwendungen kann es aber nicht geben. Deshalb entlassen wir diese Soldatinnen und Soldaten qua Gesetz in einen frühen Ruhestand.
Nun handelt es sich bei den Betroffenen in der Masse um Unteroffiziere und die unteren Offiziersränge, die alle eine relativ niedrige Pension beziehen. Also gerade in einem Alter, in dem die Kinder ins Studium gehen, in dem das Haus oft noch gar nicht abbezahlt ist, müssen sie auf einmal mit 70 Prozent des bisherigen Einkommens auskommen. Wenn sie sich deshalb in einem zivilen Beruf etwas dazuverdienen, wird dieses Einkommen ab einer bestimmten Höhe von der Pension abgezogen. Bei ehemaligen NVA-Soldaten, die in die Bundeswehr übernommen worden sind, ist das sogar alles oberhalb von 450 Euro.
Das ist ungerecht, weil sich die Betroffenen gar nicht dafür entscheiden können, länger zu dienen und auf diese Weise mehr zu verdienen. Sie müssen die Bundeswehr verlassen und sind damit schlechtergestellt als andere Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die erst jenseits der 60 in den Ruhestand gehen.
Wir wollen deshalb die Obergrenze für zusätzlich verdientes Geld mindestens bis zu dem Alter aufheben, in dem auch Bundespolizisten in den Ruhestand entlassen werden. Bei den untersten Dienstgraden der Bundespolizei liegt dieses Alter bei knapp 61 Jahren. Das Alter steigt allmählich, und auch in der Bundeswehr wird das Alter entsprechend angepasst. Aber an dieser Zeitgrenze wollen wir uns für die Begrenzung der Zuverdienstmöglichkeiten orientieren.
Noch härter wirkt sich der frühe Ruhestand bisher bei Geschiedenen aus. Sie teilen sich ihren Pensionsanspruch mit dem geschiedenen Partner. Mit anderen Worten: Ihre Pension wird gekürzt. Um wie viel, legt das Familiengericht bei der Scheidung fest. Das bedeutet, Soldatinnen und Soldaten, die das von uns gemachte Dienstrecht in einen frühen Ruhestand zwingt, haben nicht nur früher ein niedrigeres Einkommen. Wenn sie geschieden sind, müssen sie auch acht bis zwölf Jahre länger als andere die Kürzung ihrer Versorgung hinnehmen.
Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben leider überdurchschnittlich oft das Scheitern ihrer Ehe, auch weil ihr Beruf durch seine Dienstzeiten, durch die Auslandseinsätze und die vielen Versetzungen das Familienleben bisher stark belastet hat. Es ist deshalb gerecht, auch den Versorgungsausgleich, oder auf Deutsch: die Kürzung der Pension, mindestens bis zu dem Zeitpunkt hinauszuschieben, zu dem das gleiche Schicksal auch unsere Polizistinnen und Polizisten ereilt.
Sie können nun fragen: Was haben Versorgungsregelungen für Ruheständler mit der Attraktivität der Bundeswehr beim Berufseinstieg zu tun? Fragen 19-Jährige wirklich danach, wie sie versorgt sind, wenn ihre Ehe scheitern sollte? Nein, meine Damen und Herren, das tun sie wahrscheinlich nicht. Aber die Unzufriedenheit der Älteren über die mangelnde Fürsorge bekommen sie sehr schnell mit. Wenn wir Soldaten auf Zeit als Berufssoldaten gewinnen wollen, dann tun wir gut daran, auch die Älteren gerecht und angemessen zu versorgen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
In jedem Fall ist unser Weg in eine moderne und attraktive Bundeswehr mit diesem Gesetz nicht zu Ende. Am Standort und im Einsatz können wir an vielen Stellen mehr für die Zufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten tun – mein Kollege Thomas Hitschler wird darauf gleich noch eingehen –: durch Gesetzgebung und Finanzierung, aber auch dadurch, wie der rechtliche Rahmen mit Leben erfüllt wird. Jeder Kommandeur sollte den Ehrgeiz haben, dass die Bundeswehr immer die attraktivste Arbeitgeberin an seinem Standort ist.
Die Anforderungen an Soldatinnen und Soldaten sind hoch, und sie werden hoch bleiben; das ist auch richtig so.
Herr Kollege, könnten Sie mit diesem wunderschönen Gedanken Ihre Rede allmählich beenden?
Letzter Satz. – Wenn es uns gelingt, Jahr für Jahr eine ausreichende Zahl tüchtiger junger Leute für den anspruchsvollen Dienst in einer modernen und attraktiven Bundeswehr zu gewinnen, dann ist mir um die Zukunft unserer Freiwilligenarmee und auch um die Sicherheit unseres Landes nicht bange. – Herr Präsident, ich danke für Ihre Geduld.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Geht doch.
(Heiterkeit)
Nun hat die Kollegin Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4514480 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz |