Manuela Schwesig - Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen
Aber Herr Lammert ist da. Das ist doch auch toll. Ein Präsident, der zuhört.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Chef!)
Er ist gelegentlich schon einmal hier. Ich bedanke mich ausdrücklich für die freundliche Erwähnung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!
So steht es im Grundgesetz, Artikel 3 Absatz 2 Satz 1. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Frauen haben im letzten Jahrzehnt den Arbeitsmarkt erobert, aber sie bekommen immer noch weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Sie kommen trotz bester Ausbildung weniger in Führungsetagen an. Sie tragen immer noch die Last für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das muss sich ändern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Im letzten Jahr haben wir drei Gesetze auf den Weg gebracht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen zu verbessern. In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit den Themen: Beseitigung von Lohnungerechtigkeit und mehr Frauen in Führungspositionen.
Gut die Hälfte der jungen Menschen, die die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife abschließen, sind Mädchen. Gut die Hälfte der jungen Menschen, die einen Hochschulabschluss machen, sind Frauen. Im Bildungssystem sind Männer und Frauen auf den ersten Blick gleichberechtigt: dem Ergebnis nach. Aber nicht in der Arbeitswelt. Der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen in Deutschland beträgt 18 Prozent, in den Vorständen nur 5 Prozent. Das sind die aktuellen Zahlen aus dem Managerinnen-Barometer des DIW.
In Artikel 3 unseres Grundgesetzes heißt es weiter:
In dieser Verantwortung stehen wir, sehr geehrte Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass die im Grundgesetz formulierte Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch tatsächlich in der Lebenswirklichkeit vorhanden ist.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In dieser Verantwortung legen der Bundesjustizminister Heiko Maas und ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen vor. Dieser Gesetzentwurf verpflichtet mehr als 100 Unternehmen zu einer festen Geschlechterquote. Über 3 000 Unternehmen müssen sich verbindliche Zielvorgaben geben und damit ihre Unternehmenskultur und die Chancen von Frauen in den Mittelpunkt rücken.
Darüber hinaus wird dieses Gesetz einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. Wenn es an der Spitze eines Unternehmens oder an der Spitze der öffentlichen Verwaltung keine Gleichberechtigung gibt, wer glaubt dann, dass es im Rest des Unternehmens oder der Verwaltung Gleichberechtigung gibt? Sobald es aber mehr Frauen in Führungspositionen gibt, werden gleiche Chancen in Unternehmen und Verwaltungen selbstverständlicher.
Es war immer so, dass sich Frauen Gleichberechtigung hart erkämpfen mussten. Es ist heute immer noch so. Es ist ein Kampf um Macht, Geld und Einfluss. Das gibt niemand freiwillig ab.
Schauen wir auf ein Unternehmen der DAX-Gruppe. Es ist in der Gesundheitswirtschaft tätig und hat im letzten Geschäftsbericht einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro angegeben. Auf die Anteilseigner entfiel ein Konzernergebnis von gut 1 Milliarde Euro. Erwirtschaftet wurde dieses Ergebnis von 178 000 Beschäftigten weltweit, davon 54 000 in Deutschland. Zwei Drittel davon sind Frauen. Das Unternehmen bekennt sich im Lagebericht zur Förderung der Frauen, aber im Vorstand arbeitet keine einzige Frau; auch im Aufsichtsrat: keine einzige Frau!
(Thomas Oppermann [SPD]: Zu wenig!)
Obwohl Frauen dieses brillante Ergebnis erarbeitet, diese Umsätze erwirtschaftet und diese Gewinne erzielt haben, sind sie nicht dort vertreten, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird. Das ist ungerecht! Das muss sich ändern!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ende November hat eine Frau auf Facebook Folgendes gepostet: „Der Denkfehler der Quoten-Gegner besteht darin, dass sie annehmen, ohne Regelung würden sich die Qualifiziertesten durchsetzen. Egal ob Mann oder Frau.“ Das ist auch das Argument des eben beschriebenen Unternehmens, warum es keine Frauenquote will. Die Frau auf Facebook schreibt weiter: „In der idealen Welt wäre das auch so, aber nachgewiesenermaßen ist das nicht der Fall. Solange die Welt nicht ideal ist, hilft die Quote.“ Ich finde, die Frau hat recht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Solange Gleichberechtigung nicht verwirklicht ist, brauchen wir Gesetze, die sie voranbringen.
Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen ist auch ein Innovationsgesetz. Wer auch heute noch davon spricht, dass wir damit die Wirtschaft belasten, der sollte sich die Studien von Unternehmensberatungen angucken, zum Beispiel die von McKinsey oder dem Karlsruher Institut für Technologie. Beide sind sich einig: Unternehmen mit gemischten Führungsteams sind erfolgreicher. Eine Schweizer Bank hat errechnet, dass sich die Aktienkurse von Unternehmen mit Frauen im Aufsichtsrat zwischen 2005 und 2011 um 26 Prozent besser entwickelt haben. Anders gesagt – hier zitiere ich gerne eine Abgeordnete der CSU, die ihre Zustimmung zur Quote anlässlich der Berliner Erklärung so begründet hat –: „Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen.“
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Situation in der Privatwirtschaft unterscheidet sich nicht groß vom öffentlichen Dienst. Ja, wir haben im öffentlichen Bereich mehr Frauen in Führungspositionen; das ist angesichts der Zahlen der Wirtschaft aber nicht wirklich schwierig. Deshalb muss sich auch hier etwas ändern. Wir werden die Vorschriften, die für die Wirtschaft gelten, eins zu eins im öffentlichen Bereich umsetzen. Das, was wir der Wirtschaft vorgeben, müssen wir auch selbst einhalten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, 1982 war ich sechs Jahre alt und dieses Gebäude lag für mich hinter einer scheinbar unüberwindbaren Mauer. Ich wusste damals nichts von meinem Glück, dass ich ein solches Gesetz einmal durchkämpfen darf. Ich wusste auch nichts von dem Glück, dass ich einen toughen Mann, und zwar unseren Justizminister, an der Seite haben würde, der mir dabei hilft.
1982 hat die damalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Antje Huber, in Bonn eine Sachverständigenanhörung zur Situation von Frauen in der Arbeitswelt organisiert. Diskutiert wurde unter anderem, ob eine Quotierung helfen würde. Seitdem ist viel passiert: Die Mauer ist niedergerissen worden. Aber die Teilhabe von Frauen in Führungspositionen hat sich nicht wirklich verbessert.
Jetzt kommt Bewegung rein. Allein die Diskussion über den Gesetzentwurf hat dazu geführt, dass sich die Unternehmen darüber Gedanken machen, wo die Hemmnisse in der Arbeitswelt liegen. Sie fragen sich: Was können wir dafür tun, dass die qualifizierten Frauen, die wir haben, auch tatsächlich in den Führungsetagen ankommen? – Wer Sorge hat, dass wir diese Frauen nicht haben, dem sage ich: Es geht ganz konkret um 174 Führungspositionen in Unternehmen. Wir haben 40 Millionen Frauen in Deutschland, und man darf sich auch international umschauen. Ich glaube, das wird zu schaffen sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Der Kulturwandel, den dieses Gesetz befördern wird, geht weit über den Geltungsbereich des Gesetzes hinaus. Das zeigt zum Beispiel der Deutsche Caritasverband, der nicht direkt von diesem Gesetz betroffen ist, der aber für sich selbst feststellt: 80 Prozent der Beschäftigten bei der Caritas sind Frauen – klar, da wird die soziale Arbeit gemacht; von der Kita bis zum Pflegeheim: Wer macht den Job? Die Frauen (!) –, aber nur 20 Prozent sind in den Führungsetagen vertreten. Dort, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird, sind wenig Frauen vertreten, obwohl sie die Arbeit machen; genau wie in der Wirtschaft. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes sagt dazu: Das muss sich ändern; wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. – Sie sehen also: Dieses Gesetz wirkt, bevor es da ist; dieses Gesetz bewirkt einen Kulturwandel, weit über die Grenzen des Gesetzes hinaus.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich möchte mich ganz herzlich bei den Frauen und den Männern bedanken, die über alle Fraktionsgrenzen hinweg in der letzten Legislaturperiode die Berliner Erklärung formuliert haben. Sie haben sich aufeinander zubewegt und gesagt: Wir wollen etwas bewegen für die Frauen. – Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, ist von diesem Geist getragen. Wir haben verschiedene Positionen zusammengebracht, um etwas für die Frauen, für die Gleichberechtigung in unserem Land zu tun. Ich hoffe, dass wir in diesem Geist die parlamentarischen Beratungen durchführen werden. Es wurde viele Jahre darüber diskutiert. Seit 30 Jahren wurde viel gestritten. Jetzt müssen wir uns auf den Weg machen. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über ein Jahr wird nun schon lauthals und öffentlich über die Frauenquote für die Privatwirtschaft diskutiert. Es wurde zäh verhandelt, und es gab sage und schreibe sechs verschiedene Referentenentwürfe. Die Wirtschaftsvertreter warnten vor unzumutbaren Belastungen für die deutsche Wirtschaft, und Herr Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion, machte sich auch noch einen Namen als Obermacho des Deutschen Bundestages, als er Frau Schwesig als weinerlich beschimpfte; dabei hatte Herr Kauder – ich sehe ihn gerade nicht – wirklich harte Konkurrenz.
(Beifall bei der LINKEN)
Warum das ganze Geschrei? Warum, um im Bild von Herrn Kauder zu bleiben, die ganze Heulerei? Ich könnte auch fragen: Wovor eigentlich die ganze Angst? Ja, es geht um schätzungsweise 180 Frauen, die von dieser festen Quote profitieren sollen. Sie hören richtig: Es geht um gerade einmal 180 Frauen in 108 Unternehmen. Wegen dieser kleinen Zahl von Frauen gehen die Union und die deutsche Wirtschaft seit Monaten auf die Barrikaden. Ich finde, das ist ein völlig lächerlicher Vorgang.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was Sie hier heute vorlegen, Frau Schwesig, das ist leider keine effektive Frauenquote. Das ist maximal ein kleines Frauenquötchen, über das sich die Aufregung und der Widerstand gar nicht gelohnt haben. Mal abgesehen davon, dass diese Frauenquote gar nicht für alle Unternehmen gelten soll, legen Sie nicht eine Quote von 50 Prozent fest, sondern von gerade einmal 30 Prozent. Sie soll auch nicht für die Vorstände gelten, sondern lediglich für die Aufsichtsräte. Eine 30-Prozent-Quote, das ist maximal eine Herausforderung für die CDU/CSU-Fraktion, die hier im Haus mit 25 Prozent die geringste Frauenquote hat; aber an diesem niedrigen Niveau dürfen wir uns doch nun wirklich nicht messen lassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist jede Selbstbeweihräucherung bei diesem Gesetzentwurf völlig fehl angebracht. Das ist kein großer Durchbruch für die Frauen. Das ist bestenfalls ein Stillstand. Dieser ganze Vorgang belegt für mich, ehrlich gesagt, nur, dass die Männerbündelei in Deutschlands Vorstandsetagen und auch in der CDU/CSU-Fraktion leider immer noch ziemlich gut funktioniert. Das müssen wir endlich einmal ändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Was soll denn in den anderen 3 500 Unternehmen passieren? Ja, sie sollen sich Zielgrößen geben, die sie selbst definieren. Was passiert eigentlich, wenn sie sie nicht einhalten? Oh, dann passiert gar nichts. Das ist doch im Kern nichts anderes als eine freiwillige Selbstverpflichtung, die schon in der Vergangenheit nichts, aber auch gar nichts gebracht hat. Wir können das nicht akzeptieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbst die kleinen Fortschritte, die wir für Frauen in der Privatwirtschaft erreichen, erkaufen wir uns mit Verschlechterungen für Frauen im öffentlichen Dienst. Hier gilt jetzt eine 50-Prozent-Quote. Das Problem ist ja nicht die Quote, sondern die schlechte Umsetzung in der Praxis. Anstatt sich zu überlegen, wie wir das ändern können, wie wir das verbessern können – dazu gibt es kluge Vorschläge –, hängen Sie einfach die Latte niedriger. Statt einer Quote von 50 Prozent soll jetzt eine Quote von nur noch 30 Prozent gelten, um sie in ein paar Jahren wieder auf 45 Prozent anzuheben. Da lobt man sich eigentlich Frau Merkel, die vor 20 Jahren die 50-Prozent-Quote eingeführt hat. Jetzt wollen wir es wieder abschwächen. Das ist doch völlig absurd. Ich finde, hier könnte die Kanzlerin ein Machtwort sprechen.
(Beifall bei der LINKEN)
In der Kritik steht ja auch das Bundesgleichstellungsgesetz, das jetzt – ich finde, ohne Not – in einem Aufwasch mit geändert werden soll, übrigens zum Schlechteren. Bislang galt das Prinzip der Frauenförderung, jetzt soll es geschlechtsneutral gestaltet werden. Das soll sicherlich schön modern daherkommen: Man ist jetzt nicht für mehr Frauen, sondern vielleicht für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Man ist vielleicht zur Einschätzung gekommen, dass Feminismus out ist, und hat einen neuen Begriff erfunden: die Geschlechteransprache. Was sich für mich wie eine Wortneuschöpfung aus einem Satiremagazin anhört, soll jetzt offiziell in einem Gesetz des Deutschen Bundestages enthalten sein. Das kann ich einfach nicht glauben.
Wissen Sie: Mehr männliche Grundschullehrer, mehr Kitaerzieher, das fände ich wirklich richtig gut. Das Problem ist aber nicht, dass Männer bei der Einstellung diskriminiert werden, das Problem ist doch, dass dieser Beruf für Männer offenbar viel zu wenig attraktiv ist. Deswegen sagen wir als Linke: Verbessern Sie endlich die Bezahlung in diesen Berufen – dann werden diese Berufe vielleicht auch für Männer attraktiver –, aber lassen Sie die Finger von der Frauenquote.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Aufstiegschancen für Grundschullehrer sind übrigens ziemlich gut. Denn in den Schulleitungen sind Männer ja deutlich überrepräsentiert.
Wir fragen uns nach der Notwendigkeit dieser Neuregelung: Frauenquote weg, dafür aber die Geschlechteransprache einführen. Das ist doch wirklich eine Verkennung der Tatsache, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch strukturell benachteiligt werden: 20 Prozent verbeamtete Staatssekretärinnen in den Bundesministerien, 23 Prozent Abteilungsleiterinnen, nur jede fünfte Professur ist mit einer Frau besetzt. Da fragt Kristin Rose-Möhring, die Gleichstellungsbeauftragte in Ihrem Ministerium, Frau Schwesig, völlig zu Recht in einem Schreiben an uns: Es erschließt sich nicht, warum ein grundsätzlich gutes Gesetz einem schlechteren weichen soll. – Mir erschließt es sich auch nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Um zum Abschluss den Blick von den Führungsetagen wegzulenken, schauen wir uns einmal an, wie es bei den normalen Beschäftigten aussieht. Seit vielen Jahren und noch immer verdienen Frauen für die gleiche Arbeit im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf dem drittletzten Platz. Ich finde, in Sachen Gleichstellung ist Deutschland ein Entwicklungsland. Es wird höchste Zeit, dass wir das ändern. Mit diesem Gesetzentwurf wird es nicht gelingen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir könnten es in diesem Hohen Hause ändern. Die SPD hat mehr gewollt. Die Grünen wollen mehr. Wir als Linke wollen sowieso mehr.
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wie Gysi! O-Ton Gysi: Wir wollen immer mehr!)
Ich hoffe, ehrlich gesagt, auf ein paar mutige Frauen in der CDU/CSU-Fraktion. Machen Sie mit! Helfen Sie uns, diesen Murks zu verändern und zu verbessern, damit am Ende doch noch ein gutes Gesetz dabei herauskommt. Die Frauen in diesem Land hätten es verdient.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Marcus Weinberg.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christina Jantz [SPD] und Dr. Carola Reimann [SPD])
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das kennen wir von den Linken: mehr, mehr, mehr.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Besser! Besser!)
Man fragt sich nur, woher. Diese Frage sollten Sie auch mal beantworten.
(Caren Lay [DIE LINKE]: Millionärssteuer! Vermögensabgabe! Die Vorschläge liegen doch auf dem Tisch!)
Ich will am Anfang ein Thema aufgreifen, das die Ministerin skizziert hat: die Idealwelt. Ich mache kein Geheimnis daraus – ich glaube, das gilt für viele Kolleginnen und Kollegen hier –: Von unserer Überzeugung her wäre es natürlich das Beste, wir müssten diese Diskussion gar nicht führen,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Position sind wir schon lange!)
weil wir eine Gesellschaft hätten, in der das Geschlecht, die Herkunft, Frau Künast, und andere Dinge keine Rolle spielen, eine Gesellschaft, in der das Individuum mit seinen Kompetenzen, mit seinen Fähigkeiten das Entscheidende ist
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie ja zu, dass das so nicht ist bei den Männern!)
und in der auch bei der Auswahl in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nur diese Eigenschaften zählen und nicht das Geschlecht. Es wird das Ziel des Kulturwandels sein, den wir herbeiführen wollen, dass wir diese Diskussion in 10, 15 Jahren nicht mehr führen müssen, weil wir mit Blick auf die Führungspositionen in der Wirtschaft und anderswo eine Situation erreicht haben werden, in der wir strukturell bedingte Benachteiligungen nicht mehr erleben.
Das Grundgesetz gibt uns eine klare Anweisung. Es ist unser Auftrag, Artikel 3 des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. Das heißt, der Staat bzw. die Politik hat den Auftrag, die Gleichberechtigung und ihre Durchsetzung zu fördern und insbesondere Benachteiligungen zu beseitigen. Dieser Gedanke muss uns in den nächsten Jahren leiten, wenn es um die Individualität des Menschen und um die Beantwortung der Geschlechterfrage geht.
Dazu zwei Vorbemerkungen:
Erstens. Diese Diskussion führen wir seit vielen Jahren. Es war übrigens die Union, die diese Diskussion 2005 noch einmal angeschoben hat,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „noch einmal“? – Caren Lay [DIE LINKE]: Das war mit der Selbstverpflichtung!)
zunächst einmal in dem klaren Verständnis, dass es immer darum gehen muss, dieses Thema gemeinsam mit den betroffenen Akteuren anzugehen: im Rahmen von Freiwilligkeit, Appellen und Aufforderungen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen! – Einer? Hunderte!)
– Frau Künast, das Prinzip des Dazwischenquatschens mag bei Ihnen Gültigkeit haben. Wir aber denken, man sollte erst einmal zuhören, bevor man sich äußert. Daran sollten auch Sie sich halten.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Junger Mann, das ist der parlamentarische Zwischenruf! Sagen Sie das mit dem „Dazwischenquatschen“ doch mal dem Kauder! Dann werden Sie gegendert! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so gereizt, Herr Weinberg! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Dazwischenquatschen“ – das ist typisch Mann gegenüber Frauen! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach was! Das würde er auch zu einem Mann sagen! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das würde er eben nicht! Das ist wie mit dem „weinerlich“ von Kauder!)
Frau Lay, Sie haben zwei Aspekte, die ich gerne aufgreifen möchte, angesprochen. Sie haben die Anzahl der Abteilungsleiterinnen erwähnt. Da stimme ich Ihnen zu: Das ist nicht in Ordnung. Sie haben die Anzahl von Frauen in der mittleren Führungsebene angesprochen, auch und gerade im Apparat der Verwaltung. Es stimmt: Da gibt es zu wenige Frauen. Aber ich sage Ihnen auch eines: 40 Prozent der Regierung – ich verweise nur auf die Kanzlerin und die Ministerinnen – sind weiblich. Das heißt, diese Regierung setzt das, was sie fordert, bereits um, und das ist auch gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Frau Lay, Sie haben uns wieder einmal vorgeworfen – das sage ich ganz deutlich, weil das Schimpfen auf die Union nicht nur bei Frau Künast Konjunktur hat –, dass wir Frauen nicht fördern. Ich will nur daran erinnern: Die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wird von der CDU gestellt, die erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland wird von der CDU gestellt, und die Landesgruppe der ach so konservativen CSU wird von einer Frau geführt. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, da sind wir auch Vorbild.
(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist Merkel das denn geworden? Spendenskandal! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Frau Künast, nun beruhigen Sie sich doch mal! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen schon die ganze Wahrheit sagen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Frau Künast, jetzt bleiben Sie doch mal beim Thema!)
– Frau Künast, es geht auch um Haltung und Stil in diesem Haus.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das will ich ja gerade von Ihnen! Das wollen wir ja gerade bewahren!)
In einer neueren Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kam man zu dem Ergebnis – die Ministerin hat das angesprochen –, dass nach vielen Jahren der Appelle und der Freiwilligkeit in den 200 größten deutschen Unternehmen die Vorstände gerade einmal zu 5 Prozent und die Aufsichtsräte nur zu 18 Prozent mit Frauen besetzt sind. Offensichtlich gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft, dass Frauen in Toppositionen nicht genauso gut sein müssen wie Männer, sondern dass sie wesentlich besser sein müssen. Das entspricht nicht dem Grundgesetz. Dieses Problem müssen wir angehen. Diese gläserne Decke müssen wir endlich durchbrechen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie es doch endlich!)
An zwei Dingen kann das nicht liegen. Das kann erstens nicht an den Kompetenzen und an der Bildung liegen. Denn wir wissen, dass die Frauen in den letzten Jahren gerade im Bildungs- und im Hochschulbereich nicht nur aufgeholt, sondern die Männer in weiten Teilen sogar überholt haben. Wir werden uns mit Blick auf das Schulsystem mehr Gedanken darüber machen müssen, wie wir uns um Jungen, die abgehängt sind, kümmern können.
Wenn Frauenmangel gerade in MINT-Berufen der Grund dafür wäre, dass in den obersten Etagen von MINT-Unternehmen keine Frauen vertreten sind, dann müssten ja wenigstens in den Vorständen und Aufsichtsräten anderer Unternehmen wie Banken oder Versicherungen mehr Frauen vertreten sein. Tatsache ist aber, dass die Posten in den Chefetagen zu 95 Prozent von Männern besetzt werden. Wenn man sich die Aufsichtsräte sogenannter MINT-Unternehmen anschaut, dann stellt man fest, dass die Anzahl der Männer, die eine naturwissenschaftliche Ausbildung haben, sehr überschaubar ist. Es sind auch hier in erster Linie Juristen und Kaufleute, die diese Positionen besetzen. Was nicht gegen Männer spricht, darf auch nicht als Argument gegen Frauen missbraucht werden; ich glaube, dieser Grundsatz muss gelten.
Zweitens – auch dies wurde von der Ministerin bereits angesprochen – kann man das Erklärungsmuster bzw. die Behauptung, dass Frauen aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen nicht in Führungspositionen kommen können, relativ schnell empirisch widerlegen. Allein die Tatsache, dass weder Frauen mit Kindern noch Frauen ohne Kinder in relevanter Zahl in Aufsichtsräten oder Vorständen vertreten sind, zeigt: An Kindern und an Zeiten der Kindererziehung kann es nicht liegen.
Schon in den ersten Berufsjahren, in denen viele Beschäftigte noch keine Familie gegründet haben, werden Männer schneller befördert als Frauen. Nach einer Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems HIS steigen 40 Prozent der Männer, aber nur 24 Prozent der Frauen schon in den ersten fünf Jahren nach ihrem Universitätsabschluss auf. Fazit: Es gibt keine Benachteiligung, die individuell zu erklären ist. Es gibt aber ein Erklärungsmuster, das auf strukturelle Defizite verweist. Hier muss die Politik ansetzen. Wir sagen: Nach der Zeit der Appelle, der Freiwilligkeit und der Flexi-Quote müssen wir nun einen Schritt weiter gehen. Wir nutzen die Quote, um sie irgendwann überflüssig zu machen.
Worum geht es uns? Ich möchte eines noch einmal klarstellen: Es geht uns nicht darum, dass schlechter qualifizierte Frauen gut qualifizierten Männern vorgezogen werden sollten, sondern es geht uns darum, dass gute, geeignete Frauen die gleichen Chancen bekommen; das ist das Mindeste, was wir garantieren müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dafür müssen gute Frauen aber erst einmal sichtbar werden, sie müssen in der Hierarchie von Unternehmen nach oben kommen, sie müssen ermutigt und aufgefordert werden. Genau diesen Kulturwandel soll der vorliegende Gesetzentwurf bewirken.
Bei „Mehr Frauen in Führungspositionen“ geht es nicht nur um die Umsetzung des Auftrages des Grundgesetzes und um Gerechtigkeit, sondern auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen selbst. Es hat sich nämlich gezeigt – Studien haben das festgestellt –, dass gemischte Teams – mit Männern und Frauen – ein höheres Potenzial an Kreativität haben, dass sie erfolgreicher sind, Unternehmen eher zum Erfolg führen als ausschließlich mit Personen ein und desselben Geschlechts besetzte Teams.
Wir müssen uns vor Augen führen – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels –, dass es angesichts der immer besseren, bereits heute exzellenten Ausbildung, Qualifikation von Frauen eine nahezu unglaubliche Ressourcenverschwendung ist, wenn topausgebildete Frauen, die für den Arbeitsmarkt bereitstehen, nicht auch Topverantwortung übernehmen können; das widerspricht doch allen Grundsätzen guten Unternehmertums. Da müssen wir rangehen!
Mehr als dreizehn Jahre haben wir darüber diskutiert. Es gab immer wieder Appelle an die Wirtschaft, auf freiwilliger Basis Frauen zu fördern. Ich glaube, die jetzt vorliegenden Maßnahmen im Bereich der Privatwirtschaft sind gut und richtig, wobei wir aber auch immer eines feststellen: Wir werden darauf achten, dass wir beim Thema Bürokratie nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sagen ganz klar: Es muss für die Wirtschaft auch machbar und vertretbar sein. Bei der festen Quote geht es um börsennotierte und mitstimmungspflichtige Unternehmen und bei der flexiblen Zielquote um börsennotierte oder mitstimmungspflichtige Unternehmen, also um Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Ich glaube, dass die gefundenen Regelungen für diese Unternehmen machbar und tragbar sind, zumal – das wurde im Koalitionsvertrag beschrieben – Unternehmen in dem Lagebericht nach dem HGB sowieso angeben müssen, wie sie es mit der Frauenförderung halten. In diesem Teil sind wir mit dem Koalitionspartner einig.
Aber – auch das muss eine Zielfunktion sein – Frauenförderung betrifft nicht nur die Privatwirtschaft. Was wir der Privatwirtschaft vorschreiben wollen, müssen wir in der öffentlichen Verwaltung selbst erfüllen; sonst werden wir unglaubwürdig, sonst nimmt man unsere Ziele nicht ernst. Das heißt, es gibt noch den öffentlich- rechtlichen Teil, einmal im Hinblick auf das Bundesgremienbesetzungsgesetz und einmal im Hinblick auf das Bundesgleichstellungsgesetz. Da sehen wir in der Union bei der konkreten Ausformulierung noch Bedarf, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, in den schönen Farben Schwarz-Rot sozusagen, genauer darüber nachzudenken, ob das, was im momentanen Entwurf für das Bundesgleichstellungsgesetz steht, das Richtige ist; denn Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes fordert die Beseitigung von Nachteilen für ein Geschlecht. Wenn Frauen benachteiligt werden, ist Frauenförderung also verfassungsrechtlich gefordert und gerechtfertigt.
Gleiches gilt übrigens auch für Männer, wenn sie in gewissen Bereichen, nämlich auf Leitungsebene, unterrepräsentiert sind. Dies ist uns eine Verpflichtung.
Der Entwurf des Bundesgleichstellungsgesetzes sieht für die Bundesverwaltung aber das Ziel der Parität nicht nur auf Leitungsebene vor, sondern auf allen Ebenen. Da müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen, wie das in der Umsetzung funktionieren soll. Parität in der Leitungsebene heißt: Nachteile müssen abgebaut werden. Aber es kann nicht das Ziel sein, vom Grundsatz der Parität auf allen Ebenen auszugehen. Mit Verlaub, der Sinn von Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes ist unseres Erachtens die Beseitigung bestehender Nachteile.
Wir halten den Gesetzentwurf, der vorliegt, für richtig. Wir werden nach den Anhörungen in den Ausschüssen die letzten Debatten mit dem Koalitionspartner führen. Wir bleiben hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben für die Privatwirtschaft insgesamt maßvoll, verlassen uns aber nicht mehr nur auf reine Freiwilligkeit; nach vielen Jahren ist diese Zeit jetzt vorbei. Wir sorgen dafür, dass die Bundesgremien und die Bundesverwaltung mit gutem Beispiel vorangehen; denn diese Regelung ist tatsächlich an der Zeit.
Ich schließe mit dem, was ich am Anfang gesagt habe: Es ist unser Idealbild, dass wir über Quoten, Quoren und Sonstiges in dieser Gesellschaft nicht mehr reden müssen, weil alle verstanden haben, dass weder das Geschlecht noch die Herkunft noch die Rasse, sondern nur das Individuum zählt. Wenn wir das erreicht haben, ist das Ziel dieses Gesetzes erfüllt.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4516163 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 83 |
Tagesordnungspunkt | Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen |