30.01.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 83 / Tagesordnungspunkt 17

Sabine ZimmermannDIE LINKE - Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute wieder einmal über die gleichberechtige Teilhabe von Frauen und Männern in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Meine Damen und Herren, wie lange wollen wir noch darüber reden? Es sind schon Jahrzehnte, und im Wesentlichen werden die Frauen immer wieder auf die Zukunft vertröstet. Das darf doch nicht wahr sein. Wir müssen endlich einmal zu Potte kommen. Wie lange soll das noch gehen?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte die Herren in diesem Hause, einen Moment zu überlegen, ob sie sich eine solche Benachteiligung über so eine Ewigkeit hätten bieten lassen. Ich glaube, nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich bin es auch leid, immer und immer wieder klarzumachen, dass Frauen genauso an Führungspositionen teilhaben wollen wie Männer, am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Ich denke, das ist wichtig und richtig. Deshalb sagen wir als Linke: Wir brauchen eine Frauenquote von 50 Prozent, und zwar im gesamten öffentlichen Dienst und in der gesamten Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist die Kollegin von Gysi? Ich habe den Namen vergessen! Das ist doch eine offene Stelle!)

Wir Frauen stellen 51 Prozent der Bevölkerung; aber wir sind bescheiden und fordern nur eine Quote von 50 Prozent.

Wir sagen zugleich: Die Gleichstellung der Geschlechter braucht mehr als eine Quote. Es muss darum gehen, die systematische Benachteiligung der Frauen in allen Bereichen der Arbeitswelt und der Gesellschaft abzubauen. Antworten dazu sucht man bei der Regierung vergeblich; denn ihr Gesetzentwurf trifft so wenige Frauen. Deshalb frage ich mich: Was tun Sie für die Frauen in Pflegeberufen, die Erzieherinnen, Krankenschwestern und die anderen Frauen, die in der Arbeitswelt unterwegs sind? Ihr Gesetzentwurf ist nichts anderes als ein Schaufensterentwurf.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Traurige ist: Selbst die Quote bekommt diese Regierung nicht hin. Zu Recht hagelt es breite Kritik: von den Gleichstellungsbeauftragten über den Deutschen Gewerkschaftsbund bis zur Vereinigung der deutschen Juristinnen. Die Ziele für die Privatwirtschaft sind mehr als bescheiden. Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für die Aufsichtsräte von etwa 100 Großunternehmen geben. Für den Rest der 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen sind es nur Glaubensregelungen. Glauben Sie daran, dass diese Unternehmen einmal die Frauenquote einführen werden? Ich glaube es nicht. Im öffentlichen Dienst des Bundes wird sogar ein Schritt zurück gemacht. Die Quote soll hier nur noch für wenige Aufsichtsgremien gelten.

Aber damit nicht genug. Die Regierung will es politisch besonders korrekt machen. Sie will beide Geschlechter ansprechen und in Berufen mit einem geringen Anteil von Männern diese fördern. Hier wird die Frauenquote auf den Kopf gestellt. Nur weil Männer in einem Bereich unterrepräsentiert sind, sind sie noch lange nicht diskriminiert. In der Grundschule zum Beispiel sind die Lehrenden in der Mehrheit Frauen; trotzdem treffen wir oft auf Schulleiter, nicht auf Schulleiterinnen. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie betreiben eine Politik aus dem Elfenbeinturm. Sie nehmen die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Themen nicht ernst und auch nicht zur Kenntnis; Sie verdrängen sie anscheinend. Wenn die Bundesregierung mehr Männer in typisch weibliche Berufsbilder bringen will, muss sie dafür sorgen, dass dort die Arbeitsbedingungen und die Löhne verbessert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier denke ich an die Gastronomie, an den Handel und an weite Teile des Sozial- und Gesundheitswesens. Das wäre für die Frauen dort ein großer Schritt vorwärts und würde die Berufe auch für Männer attraktiver machen.

Das bringt mich zum zweiten Punkt. Anders als die Bundesregierung sagen wir: Zur Gleichstellung gehört mehr als nur die Frauenquote. Warum wird zum Beispiel die Arbeit einer ausgebildeten Erzieherin schlechter bezahlt als die Arbeit einer Fachkraft in der Automobilindustrie? Sind Erziehung und Bildung unserer Kinder weniger wert als das Bauen von Autos? Gibt es dazu Initiativen der Regierung? Fehlanzeige!

Wir wissen: Frauen sind fast doppelt so stark von Niedriglöhnen betroffen wie Männer. Nun gibt es endlich einen Mindestlohn, auch wenn er sehr mager ist. Aber die Koalition arbeitet daran, diesen noch weiter auszuhöhlen. Die Union will die Umsetzung des Mindestlohns bei den Minijobs einschränken, wohl wissend, dass mehrheitlich Frauen in Minijobs arbeiten und Anzeigen vorliegen, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt schon, in diesem Monat, um ihren Mindestlohn geprellt werden. Gleichstellungspolitik sieht anders aus. Ich frage Sie wirklich, Frau Ministerin Schwesig: Wo bleibt hier Ihr Anspruch als Vorkämpferin für die Rechte der Frauen? Ich kann nichts erkennen.

Es wurde heute schon mehrfach gesagt: Wir haben eine Frau als Kanzlerin. Ich frage Sie: Ist es in ihrer Regierungszeit für Millionen Frauen einfacher geworden, Arbeit und Familie zu vereinbaren?

(Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Ja, so ist es! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, eindeutig!)

Stecken weniger Frauen in der Minijobfalle? Sind frauentypische Berufe aufgewertet worden? Ich denke da vor allen Dingen an die Pflege- und Sozialberufe. Die Antwort lautet: nein.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Falsch!)

Es ist offensichtlich: Von dieser Regierung sind keine Initiativen für mehr Gleichstellung zu erwarten. Deshalb steht die Linke gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi an der Seite der Beschäftigten in sozialen Berufen. Denn das, was hier überwiegend Frauen leisten, ist harte Arbeit und richtig wichtig, richtig gut und richtig was wert. Wer dafür kämpft und streikt, tut tausendmal mehr für die Gleichberechtigung als die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Carola, sitzt der in der Straßenbahn? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht jeder in der Straßenbahn hat einen Aufsichtsrat!)

Mit diesem Appell hat die erste Präsidentin des heutigen Verbandes deutscher Unternehmerinnen die gleiche Teilhabe von Frauen in Führungspositionen eingefordert. Sie heißt Käte Ahlmann, und das war vor mehr als 50 Jahren.

Seitdem hat sich unsere Welt spürbar verändert. Menschen sind zum Mond geflogen. Die Berliner Mauer ist eingerissen, und das Internet hat unser Leben erheblich verändert. Unverändert ist, dass Frauen in den Chefetagen deutscher Unternehmen eine sehr seltene Spezies sind, und das, obwohl Frauen selbst durch beste Studienabschlüsse und enorme Leistungsbereitschaft auf sich aufmerksam gemacht haben, und das, obwohl Studien belegen – das ist schon angeklungen –, dass gemischte Teams besser sind, und das, obwohl die Politik seit nahezu 14 Jahren den Unternehmen die Chance eingeräumt hat, mit freiwilligen Selbstverpflichtungen selber für faire Chancen für Frauen zu sorgen.

Bis heute herrscht in den Führungszirkeln renommierter deutscher Unternehmen eine männliche Monokultur, mit fatalen Auswirkungen. Wenn Frauen es bis nach ganz oben schaffen, sind sie nach wie vor mit Vorurteilen, Ressentiments und Hürden konfrontiert, die allein für Frauen gelten. Das beginnt beim firmeneigenen Fahrer, der die Vorstandsfrau nicht fährt, weil er sich nicht vorstellen kann, dass eine Frau im Vorstand ist. Da sind vor allem die vielen Führungsfrauen, die im krassen Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen ihre steile Karriere mit dem Verzicht auf Mann und Kinder bezahlen.

Mit all diesen Relikten aus den 50er-Jahren räumen wir nun auf. Mit dem Gesetz von Manuela Schwesig und Heiko Maas werden Frauen zu dem, was sie nach ihrer Eignung und nach ihrer Qualifikation längst sein sollten: eine Selbstverständlichkeit in Toppositionen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Gesetz machen wir den Weg frei für einen Modernisierungsschub bei Volkswagen, Thyssen und Co. Das ist auch gut so, auch für die Unternehmen selbst; denn all das Gerede von Frauen als Belastung ist auf empörende und beleidigende Art und Weise unverschämt, aber auch dumm. Von der gesetzlichen Verpflichtung, Frauen bei der Besetzung von Aufsichtsräten und Vorständen in verstärktem Maße zu berücksichtigen, werden zuallererst die Unternehmen selbst profitieren. Die Unternehmen werden ihre Nachwuchs- und Führungskräfte künftig aus allen Talenten auswählen können und nicht mehr nur aus einer Hälfte. Sie werden sich bemühen, für Frauen und auch für viele moderne Männer attraktiver zu werden, indem sie verstärkt familientaugliche Arrangements und Karrierewege anbieten. Die Unternehmen werden dabei feststellen, dass die Arbeitsproduktivität wächst, dass sie sich im Wettbewerb um die so begehrten Fachkräfte besser behaupten können und dass sie durch Produkt- und Prozessinnovationen noch stärker und konkurrenzfähiger werden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])

Darum geht es aber heute in erster Linie nicht. Dass die Quote auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht Sinn macht, ist schön. Entscheidend ist allerdings, dass sie für mehr Gerechtigkeit sorgt. Für Frauen stehen die Wege in höchste Positionen jetzt deutlich weiter offen. Damit erfüllen wir ein Versprechen unseres Grundgesetzes ein wenig mehr, nämlich das Versprechen, dass Chancen nicht nach dem Geschlecht verteilt werden, das Versprechen unseres Grundgesetzes, dass alle Menschen unabhängig davon, ob sie als Frauen oder Männer geboren werden, in unserem Land aus dem gleichen Pool von Lebensmöglichkeiten wählen können.

Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen ist nicht irgendein Gesetz. Es stellt eine historische Zäsur dar. Geschafft haben das die Parteien nicht allein, erst recht nicht eine einzelne Partei. Geholfen haben dabei Frauen und Männer aus allen politischen Lagern. Geholfen haben Frauen und Männer aus unzähligen Verbänden und Gewerkschaften; die Kollegin hat sie vorhin genannt. Geholfen haben aber auch Tausende Bürgerinnen und Bürger aus der Zivilgesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nur im gemeinsamen Schulterschluss und deshalb, weil wir uns trotz parteipolitischer Unterschiede nicht haben auseinanderdividieren lassen, wurde es ermöglicht, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen Gesetzesrang bekommt. Dafür danke ich allen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Solidarität hat sich bewährt. Vielleicht ist das ein gutes Politikmodell, das wir fortsetzen sollten; denn bei der Gleichstellung von Frauen und Männern bleibt auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch viel auf der politischen Agenda.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, insbesondere auch für die präzise Einhaltung der Redezeit.

Jetzt erteile ich der Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4516258
Wahlperiode 18
Sitzung 83
Tagesordnungspunkt Gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen
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