Ralph BrinkhausCDU/CSU - Finanzaufsicht über Versicherungen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Donnerstagmorgens um zehn nach neun ist für uns die Primetime, die Zeit der großen Debatten. Es geht um Regierungserklärungen, Weltpolitik, Mindestlohn und was es da sonst noch alles gibt. Heute unterhalten wir uns hier über den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen. Sie hier im Saal, die Gäste auf der Tribüne und unser treues Stammpublikum bei Phoenix werden sich fragen: Ist denn dieses Thema wirklich so wichtig? Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist sehr wichtig. Es geht um Versicherungen. Jeder von uns hat irgendwelche Versicherungen. Wem das nicht reicht: Es geht auch um Lebensversicherungen. Da reden wir über 90 Millionen Verträge in Deutschland, und wir reden über ein Anlagevolumen von 900 Milliarden Euro. Wir wollen diese Versicherungen sicherer und besser machen.
Deswegen sagen wir: Versicherungen brauchen mehr Kapital, damit sie in Krisenzeiten stärker dastehen. Versicherungen brauchen andere Risikomanagementsysteme, damit sie weniger Fehler machen. Versicherungen müssen besser an die Aufseher berichten, damit dieser ganze Prozess auch kontrolliert werden kann. Deswegen setzen wir heute die Solvency-II-Richtlinie in deutsches Recht um. Das ist ein Mammutwerk. Über zehn Jahre ist auf europäischer Ebene und in Deutschland an diesem Prozess gearbeitet worden. Um ganz ehrlich zu sein: Wir werden mit diesem Gesetz ziemlich vielen Leuten ziemlich viel Arbeit machen. Denn das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Versicherungen nun umsetzen müssen, ist wahrlich ein Jahrhundertwerk.
Wer infrage stellt, ob das alles so richtig und wichtig ist, den möchte ich aus dem Februar 2015 in den Oktober 2008 mitnehmen. Wir alle erinnern uns noch, was damals geschehen ist: Finanzinstitutionen standen kurz vor der Insolvenz oder sind in die Insolvenz, in die Pleite, gegangen. Banken haben anderen Banken kein Geld mehr geliehen. Die Konjunktur ist eingebrochen. Wir hatten eine hohe Arbeitslosigkeit und Steuerausfälle, die uns alle vor ganz enorme Schwierigkeiten gestellt haben. Alle, die damals dabei waren, haben sich gesagt: Wir möchten nie wieder erleben, dass es möglich ist, dass Finanzinstitutionen ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen.
Was danach gefolgt ist, ist meines Erachtens eines der bemerkenswertesten Projekte, die die deutsche Politik seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat. Damals haben sich Menschen zusammengesetzt – ich sehe zum Beispiel Peer Steinbrück, der im Saal sitzt; die Bundeskanzlerin und viele andere – und haben in unglaublich kurzer Zeit sehr viel auf den Weg gebracht. Sie haben zunächst einmal den Patienten, den Finanzmarkt, stabilisiert. „ Stabilisiert“ heißt, dass wir einen Rettungsfonds aufgelegt haben: mit Investitionssummen, mit Garantien, mit Kapitalbeteiligungen von über 200 Milliarden Euro; das meiste davon ist übrigens zurückgezahlt worden. Die Bundesländer haben sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Landesbanken zu sanieren. Wir alle erinnern uns auch an die legendäre Pressekonferenz unserer Bundeskanzlerin und des damaligen Bundesfinanzministers, in der gesagt worden ist, dass die Spareinlagen vom Staat geschützt werden. Das war der erste Schritt. Aber allen war klar, dass diese Stabilisierung nicht reichen wird, sondern dass wir neue Regeln brauchen.
Dann hat man auf internationaler Ebene, auf europäischer Ebene und in Deutschland ein Regelpaket auf den Weg gebracht, das seinesgleichen sucht.
Damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, was in den letzten sechs Jahren passiert ist, nur einige Beispiele: Wir haben die Aufsicht über die Ratingagenturen geändert. Wir haben die Vergütungsregeln bei Banken geändert. Wir haben Leerverkäufe verboten. Wir haben ein Banken-Restrukturierungsgesetz auf den Weg gebracht. Wir haben neue Regeln für Verbriefungen, für Großkredite auf den Weg gebracht. Wir haben die Anlageberatung bei Banken und bei Finanzanlagevermittlern geändert. Wir haben die nationale Finanzaufsicht verändert. Wir haben europäische Institutionen zur Finanzaufsicht auf den Weg gebracht. Wir haben internationale Organisationen wie den IWF gestärkt. Wir haben dafür gesorgt, dass Finanzkonglomerate anders beaufsichtigt werden. Wir haben ein neues Börsengesetz auf den Weg gebracht. Wir haben Veränderungen bei den besonders toxischen Derivaten vorgenommen und haben diese auf eine komplett neue Grundlage gestellt. Wir haben den Hochfrequenzhandel reguliert. Wir haben Stufe eins der Bankenunion umgesetzt, indem wir eine europäische Bankenaufsicht installiert haben. Wir haben Stufe zwei der Bankenunion umgesetzt, indem wir einen gemeinsamen europäischen Restrukturierungsmechanismus auf den Weg gebracht haben. Wir sind dabei, Stufe drei der Bankenunion umzusetzen, nämlich eine neue Einlagensicherung auf den Weg zu bringen. Wir haben ein Trennbankengesetz gemacht. Wir haben die Strafvorschriften für Vorstände von Banken verändert. Wir haben Banken gezwungen, Testamente zu machen. Wir haben kürzlich erst die Lebensversicherungen fit gemacht für die Niedrigzinsphase. Heute werden wir das große Werk Solvency II, die komplette Neuordnung der Versicherungsaufsicht, auf den Weg bringen, übrigens eines der ganz wenigen Projekte, die schon vor der Krise, im Jahr 2005, begonnen worden sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das alles ist sehr erstaunlich. Wir haben europäisches Recht umgesetzt, wir haben uns in die europäische Rechtsetzung eingebracht, indem wir für die Interessen unserer Sparkassen, unserer Volksbanken, unserer mittelständischen Banken und unseres Mittelstandes gekämpft haben, und werden weitere Projekte auf den Weg bringen. Wir werden uns mit Schattenbanken beschäftigen und werden uns im Rahmen des Kleinanlegerschutzgesetzes um den Verbraucherschutz kümmern. Wir haben – davon könnte sich der eine oder andere in Europa eine Scheibe abschneiden – die Zeit, die wir uns 2008 mit der Rettung der Finanzsysteme erkauft haben, genutzt. Wir haben sie genutzt, um die Finanzmärkte zu verändern. Wir haben nicht den Anspruch, dass wir perfekt sind, und können auch niemandem garantieren, dass es keine weiteren Krisen gibt, aber wir haben daran gearbeitet, dass Finanzinstitutionen weniger Fehler machen, dass sie krisenfester sind, dass sie besser beaufsichtigt werden, als das in der Vergangenheit der Fall war, dass sie abgewickelt werden können, ohne ganze Wirtschaften mit in den Abgrund zu reißen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn Sie jetzt das Gefühl haben, dass das alles unglaublich viel und unglaublich schnell war, dann können Sie sich ungefähr in die Menschen hineinversetzen, die das alles umsetzen müssen, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Banken und Versicherungen, die Aufseher, die Wirtschaftsprüfer und die Berater, die Zehntausende von Seiten in ihre tägliche praktische Arbeit einbringen müssen. Das ist wahrhaft ein Mammutwerk.
Deswegen wäre meine Bitte, dass wir vielleicht an dieser Stelle, an der wir einen ganz großen Schritt nach vorne gekommen sind, innehalten und überlegen: Was haben wir da eigentlich gemacht? War all das so richtig? Welche Auswirkungen hat das auf die Realwirtschaft? Können wir noch Kredite an Mittelständler vergeben? Können Zins- und Währungsrisiken noch vernünftig abgesichert werden? Wie sieht es mit der Langfristfinanzierung aus? Wie sieht es – ein ganz aktuelles Thema – mit der Finanzierung von Unternehmensgründern und Venture Capital aus? Haben wir Widersprüche in diesem System, bei diesen unglaublich vielen Initiativen, die gleichzeitig gelaufen sind? Haben wir unnütze Bürokratie aufgebaut? Gibt es noch die Möglichkeit, tatsächlich in einer Marktwirtschaft zu agieren, oder ist alles so reguliert, dass man nichts mehr machen kann? Und vor allen Dingen: Welche Veränderungen bringt das in der Wirtschaftsstruktur mit sich? Was haben wir eigentlich für Auswirkungen bei mittelständischen Unternehmen, bei Sparkassen, bei Volksbanken, bei kleinen Versicherungen? Was bedeutet diese Regulierung für deren Zukunft?
Um jetzt wieder auf den Gesetzentwurf zurückzukommen: Wir haben uns genau des Punktes, den ich als Letztes angesprochen habe, angenommen, nämlich: Wir wollen durch die unglaubliche Regulierung in diesem Gesetz nicht die kleinen und mittleren Versicherungen plattmachen. Sie brauchen Luft zum Atmen, müssen auch weiterhin ihr Geschäft machen können und sollen sich nicht den ganzen Tag damit beschäftigen müssen, irgendwelche Meldebögen auszufüllen. Wo wir das konnten, haben wir das auch in das Gesetz hineingeschrieben. Weil wir das nicht immer in das Gesetz hineinschreiben konnten, haben wir in unserem Ausschussbericht den Aufsehern der BaFin mit auf den Weg gegeben: Behandelt die Kleinen anders als die Großen, erdrückt sie nicht mit Bürokratie, mit Meldevorschriften! Das ist uns ganz wichtig. Wir haben zusammen vereinbart, dass wir uns in zwei Jahren ansehen werden, ob das auch so gehandhabt wird. Insofern ist eine Nachricht und eine Erkenntnis aus diesem ganzen Prozess: Wir werden nicht zulassen, dass bei all diesen Regulierungen der deutsche Mittelstand auf der Strecke bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Um darunter einmal einen Strich zu ziehen: Wir verabschieden heute ein großes Gesetzespaket. Das wird Versicherungen besser und sicherer machen. Das wird die Anlagen von Ihnen allen bei den Versicherungen besser schützen. Das wird dazu führen, dass im Falle einer Krise eben nicht zuerst der Steuerzahler einspringen muss, wie es im Jahr 2008 der Fall war. Das ist gut und richtig. Wir haben dieses Gesetz – ich schaue jetzt die Berichterstatter Manfred Zöllmer und Anja Karliczek und die Opposition an – in einem, glaube ich, sehr vernünftigen Verfahren entwickelt. Dafür herzlichen Dank! Herzlichen Dank auch der Opposition für den konstruktiven Teil der Kritik, die geäußert worden ist. Herzlichen Dank an die Bundesregierung, aber auch an unsere europäischen Kollegen, die die eigentliche Last bei der Schaffung dieses Gesetzes getragen haben, indem sie nämlich auf europäischer Ebene mit den entsprechenden Richtlinien vorgearbeitet haben. Wir hätten uns vorstellen können, dass das ein bisschen schneller und schlanker erfolgt; aber okay: Mit so vielen Ländern ist das nicht ganz einfach. Wir haben jetzt ein Ergebnis. Damit müssen wir arbeiten, und damit werden wir arbeiten.
Wir werden weitermachen. Wir haben die nächsten Projekte – ich habe das bereits erwähnt – vor der Brust. Diese werden wir mit dem gleichen Engagement angehen. Ich denke, auch das wird gut und richtig werden. Ich freue mich auf die weiteren Finanzmarktprojekte.
Wie gesagt: Das, was in den letzten sechs Jahren erreicht worden ist, ist sicherlich eines der bemerkenswertesten Gesamtprojekte, die wir gemacht haben. Noch nie ist so schnell so viel gemacht und so viel verändert worden. Unsere Aufgabe ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass das auch alles vernünftig umgesetzt wird, dass die Wirtschaftsstrukturen in Deutschland entsprechend erhalten bleiben. Dem werden wir uns widmen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das Wort erhält nun die Kollegin Karawanskij für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4545564 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 85 |
Tagesordnungspunkt | Finanzaufsicht über Versicherungen |