05.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 85 / Tagesordnungspunkt 3

Gerhard SchickDIE GRÜNEN - Finanzaufsicht über Versicherungen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn europäisches Recht in nationales Recht umgesetzt wird, müssen wir bei der Bewertung zwischen dem unterscheiden, was in Europa schon entschieden worden ist, und dem, was bei der Umsetzung vor Ort zu entscheiden gewesen ist. Im Falle des vorliegenden Versicherungsaufsichtsgesetzes ist die Umsetzung in Deutschland ganz in Ordnung. Die Bundesregierung hatte hier auch nicht viele Spielräume, etwas falsch zu machen, sondern nur wenige Wahlmöglichkeiten. Aber das Problem ist, dass die Richtlinie selber schlecht ist. Deswegen haben wir Grüne sie auf europäischer Ebene abgelehnt, und deswegen wird auch die grüne Bundestagsfraktion diesem Gesetz nicht zustimmen. Wichtig ist, zu schauen, wer eigentlich schuld daran ist, dass die Richtlinie schlecht ist. Da müssen wir gleich auch über die Rolle der Bundesregierung ausführlich reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zunächst zur Umsetzung in Deutschland. Wir unterstützen den Ansatz, die weitgehenden Befugnisse der BaFin über die Versicherungen aufrechtzuerhalten, damit sie gegen allgemeine Missstände vorgehen kann. Die Finanzaufsichtsbehörde BaFin muss diese Rolle ernst nehmen und vor allem das Hauptziel des Versicherungsaufsichtsgesetzes stärker in den Fokus rücken, nämlich den Schutz der Versicherten.

Richtig ist auch, dass versucht wird, mit der neuen Regulierung keine Konzentrationstendenz im Markt hervorzurufen, sondern die Anforderungen an die Unternehmen an der Größe dieser Unternehmen auszurichten. Wir Grüne haben deswegen unterstützt, dass wir im parlamentarischen Verfahren Erleichterungen für kleine Unternehmen bei den organisatorischen Anforderungen vorgenommen haben und dass wir das evaluieren wollen. Schwächen bei der Umsetzung gibt es allerdings nach wie vor bei der Beaufsichtigung der Vermittlungstätigkeit.

Nun aber zur Richtlinie selbst. Die Logik der neuen Regulierung stammt noch aus der Zeit vor 2008, also vor Ausbruch dieser Finanzkrise. Die Anpassungen, die seither vorgenommen wurden, haben die Situation teilweise noch schlimmer gemacht. Ich will das im Einzelnen darlegen.

Zunächst ist da die grundlegende Vorgehensweise von Solvency II. Wir wechseln von einem regelbasierten zu einem prinzipienbasierten Aufsichtsansatz. Es geht um risikoorientierte Eigenkapitalunterlegung, um die Nutzung interner Risikomodelle, um Marktpreisbewertung der Anlagen – viele Sachen, die den meisten Menschen wahrscheinlich nicht viel sagen werden. Ich will es deswegen auf eine Formel bringen: Die Versicherungsregulierung wird komplexer, für die Unternehmen flexibler, für die Aufsicht komplizierter, und im Ergebnis leidet die Stabilität der Finanzmärkte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem aber wird eine wichtige Lehre aus der Finanzkrise ignoriert, dass nämlich der Blick auf das einzelne Institut – man spricht da von der mikroprudenziellen Aufsicht – nicht ausreicht, sondern dass man sich auch die Rolle des einzelnen Instituts in dem gesamten Finanzmarkt anschauen muss; das ist die sogenannte makroprudenzielle Aufsicht. Genau da stimmt Solvency II nicht. So warnt die Bundesbank, dass unter Solvency II ein Spielraum für makroprudenzielles Handeln kaum vorhanden ist. Die Kapitalanforderungen seien nicht darauf ausgelegt, von Versicherungsunternehmen ausgehende Risiken für das Finanzsystem direkt einzubeziehen. – Wir haben damit eine neue Versicherungsregulierung, die einer veralteten Logik folgt, und das ist richtig ärgerlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun wurden nach Ausbruch der Finanzkrise noch Aktualisierungen vorgenommen, und es kam dabei zu üblen Verschlimmbesserungen. Erstes Beispiel: Es wurden Erleichterungen bei den langfristigen Garantien eingeführt. Da gab es zwar tatsächlich Korrekturbedarf; die Bewertung langfristiger Garantien wäre aufgrund der Marktpreisbewertung unangemessenen Schwankungen ausgesetzt. Deshalb ist richtig, dass die Gefahr einer prozyklischen Wirkung gedämpft werden sollte. Doch statt an die Ursache heranzugehen, haben die europäischen Regierungen die Wunschliste der Versicherungslobby umgesetzt. Insgesamt kam es zu Entlastungen in Höhe von 200 Milliarden Euro bei dem regulatorischen Eigenkapital. Das ist eine viel zu hohe Entlastung im Vergleich zu den ursprünglich durch Solvency II vorgesehenen Regeln. Das kritisiert auch die Deutsche Bundesbank, und das kritisiert auch der European Systemic Risk Board, also genau der Rat, den man eingesetzt hat, damit man nach der Finanzkrise endlich zu besseren Finanzmarktregeln kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Kritik äußert auch die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA. Sie warnt, dass so Anreize für risikoreiches Verhalten der Versicherungsunternehmen gesetzt werden.

Die Versicherungslobby ist allerdings mit dem neuen Regelwerk ganz zufrieden. Da sehen wir das ganze Drama der europäischen Versicherungspolitik. Die europäischen Regierungen tun zwar so, als wollten sie alle Finanzstabilität; aber wenn es konkret wird, wenn es bei der Gesetzgebung um die Details geht, die die Öffentlichkeit nicht mehr verstehen kann, dann hören sie auf die Versicherungslobby und nicht auf die Empfehlung unabhängiger Experten und Aufsichtsbehörden. Wozu haben wir denn diese Gremien eingesetzt, wenn die Regierungen nachher doch auf die Lobby hören?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das zweite Beispiel sind die Festlegungen der Kapitalanforderungen für Verbriefungsprodukte. Es ist ja durchaus richtig, dass wir den europäischen Verbriefungsmarkt nicht kaputtregulieren sollten. Ist es dafür aber notwendig, die von den Versicherungsaufsehern ursprünglich vorgeschlagenen Kapitalanforderungen um bis zu 75 Prozent zu reduzieren? Nein, das ist nicht notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hierzu die klare Kritik der Bundesbank – ich zitiere –:

Wann hören Sie endlich auf, auf Vorschlag der Lobby den Finanzmarkt zu pampern? Hören Sie doch auf die unabhängigen Experten, und setzen Sie stabile Regeln!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das dritte Beispiel ist die Übergangszeit von 16 Jahren. Das ist extrem lang. Da wird ersichtlich, dass es nicht irgendeine andere europäische Regierung war und irgendeine andere Lobby, sondern dass sich hier insbesondere die deutsche Versicherungswirtschaft durchgesetzt hat. Ich zitiere erneut aus der Stellungnahme der Bundesbank:

Die deutschen Lebensversicherer arbeiten durchschnittlich mit weniger als 2 Prozent eigenem Kapital. Selbst wenn man die Besonderheiten dieses Geschäftsmodells berücksichtigt, ist das deutlich zu wenig. Und diese Bundesregierung hat nichts Besseres zu tun, als den Wünschen der Lobby zu folgen und den nötigen Eigenkapitalaufbau weiter in die Zukunft zu schieben. Das ist skandalös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist doch genau wie bei den Banken. Ich habe hier in der letzten Legislaturperiode praktisch in jeder Rede gesagt: Die Eigenkapitalbasis der deutschen Banken ist zu niedrig. Da müssen Sie etwas tun.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben wir doch!)

Sie haben genau das nicht getan. Dann kam die Europäische Zentralbank mit ihrem Bankenstresstest und hat die Anforderungen noch einmal nach oben geschraubt. Damit wurde genau unsere Kritik bestätigt. Inzwischen sind auch Sie dafür, das zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssten in diesem Bereich einmal früher agieren.

Ich will noch ein weiteres Beispiel nennen, auch wenn es sich jetzt nicht auf den vorliegenden Gesetzentwurf bezieht; aber das muss in diesem Zusammenhang gesagt werden. Als wir hier vor etwa zwei Jahren das SEPA-Begleitgesetz verabschiedeten, in dem es eben auch um Versicherungen ging, lag einer Regelung dieses Gesetzes ein Gutachten zugrunde, das der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, GDV, in Auftrag gegeben hatte. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern der Aufsichtsbehörde BaFin und des GDV wurde die Gesetzgebung vorbereitet. Unabhängige Experten, Vertreter der Verbraucherseite oder gar die kritische Öffentlichkeit waren bei der Vorbereitung des Gesetzes nicht vorgesehen. Als uns dann das Gesetz vorgelegt wurde, hat man uns von der Zusammenarbeit von Lobby und Aufsehern bei der Vorbereitung des Gesetzes nichts gesagt. Bis heute ist das Gutachten nicht öffentlich zugänglich. Das sind die Strukturen der Machtwirtschaft: Staat und Lobby Seite an Seite. Mit einer Marktwirtschaft, wo der Staat die Regeln für die Unternehmen setzt, hat das alles nichts mehr zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das sind Verleumdungen gegenüber dem Parlament!)

Wir können hier noch tausend Finanzmarktgesetze verabschieden: Solange sich diese Kultur nicht ändert, in der die Branche sich quasi selbst die Regeln gibt,

(Widerspruch des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU] – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist ja unterste Stufe!)

in der Regierung und Lobby traut zusammenarbeiten und gemeinsam Öffentlichkeit und Parlamentarier austricksen, so lange werden wir nie Stabilität am Finanzmarkt haben.

Ich danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist ja unverschämt! Unterste Stufe!)

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Michael Meister.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4545640
Wahlperiode 18
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Finanzaufsicht über Versicherungen
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