Josip JuratovicSPD - Modernes Einwanderungsrecht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden uns in den nächsten zehn Jahren 6 Millionen Erwerbstätige fehlen. Das bedeutet mehr Rentner, aber auch 6 Millionen weniger Beitragszahler.
Wenn wir die Zahl unserer Erwerbstätigen auf dem jetzigen Niveau halten wollen, dann brauchen wir nach der IAB-Studie jährlich 400 000 qualifizierte Einwanderer.
(Rüdiger Veit [SPD]: Mindestens!)
Das heißt, wenn wir nichts ändern, dann wird uns der demografische Wandel eher früher als später einholen. Die Folgen für unsere Wirtschaft und die Sozialsysteme werden verheerend sein.
(Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!)
Auf die Frage, ob jetzt der richtige Augenblick ist, um über ein neues Einwanderungsgesetz zu sprechen, habe ich deshalb eine klare Antwort: Ja.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Debatte über Neuerungen beim Einwanderungsgesetz kommt im richtigen Moment. In der bisherigen Debatte über eine mögliche Neuregelung der Einwanderung kam wiederholt der Vorwurf, dass die Neuregelung den Menschen auf seine Nützlichkeit und Punkte reduziert. Ich gebe zu: Im ersten Moment war ich ebenfalls skeptisch. Mittlerweile sehe ich die Lage differenzierter. Wir dürfen die Menschen nicht nur nach ihrer Nützlichkeit beurteilen; darin sind wir uns alle hier einig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])
Wir müssen aber sehr wohl darüber sprechen, ob wir selbst glauben, dass sich die Menschen hier bei uns zurechtfinden können. Daher finde ich es richtig, sich bei der Debatte mit der Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zu befassen. Dies sind wir den Einwanderern, aber auch den Menschen hier vor Ort schuldig.
Die 3 Millionen Arbeitslosen in Deutschland brauchen eine Antwort auf die Frage, warum ein Einwanderungsgesetz auch für sie gut ist. Die Antwort ist klar: Die verstärkte Einwanderung von Hochqualifizierten ist auch für die bereits hier lebenden Menschen von Vorteil;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
denn jeder hochqualifizierte Arbeitsplatz bringt zwei qualifizierte und einen niedrigqualifizierten Arbeitsplatz mit sich.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Im Umkehrschluss heißt das: Ohne hochqualifizierte Arbeitsplätze sind die niedrigqualifizierten Arbeitsplätze gefährdet. Daher lohnt sich gesteuerte Einwanderung für uns alle.
Das möglicherweise einzuführende Punktesystem kann ein sinnvolles Mittel sein, um sich nicht ausschließlich auf Engpassanalysen und Positivlisten zu konzentrieren. Von einer möglichen Einführung des Punktesystems verspreche ich mir deshalb vor allem eine Ausweitung der Möglichkeiten der Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte.
Ein weiterer wichtiger Hinweis ist in dem Antrag der Grünen enthalten:
Dieser Hinweis bezieht sich auf die Gefahr eines Braindrains in den Herkunftsländern. Diese Gefahr ist vorhanden und sehr ernst zu nehmen. Ungesteuerter Braindrain aus den Herkunftsländern darf nicht das Ergebnis unserer Einwanderungspolitik sein. Ein Punktesystem bietet uns eine Möglichkeit, die Migration länderspezifisch zu steuern. Diese Chance gilt es ernst zu nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
So sinnvoll das Punktesystem sein kann, es ist jedoch nicht das Allheilmittel, das die gesamten sonstigen Regelungen zur Einwanderung ersetzen soll oder kann.
(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Wohl wahr!)
Vor allem muss eines klar sein: Die Kernelemente der Asyl- und Flüchtlingspolitik müssen unangetastet bleiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist ein hohes Gut unserer Gesellschaft, auf das wir ganz unabhängig von der Nützlichkeitsdebatte nie verzichten dürfen.
Ich finde es wichtig, dass wir beim Thema Einwanderung gleichzeitig die Integration von Einwanderern nicht außer Acht lassen. Die Menschen sollen sich hier willkommen fühlen. Nur dann werden sie auch wirklich kommen und vor allem bleiben. Das ist die einfache Wahrheit.
Tatsächlich bleibt aus meiner Sicht für eine verbesserte Integration von Einwanderern eine Menge zu tun. Die Anerkennung der Berufsabschlüsse muss unbürokratischer werden, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Nur so werden die Einwanderer ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt werden können und nicht dauerhaft im Niedriglohnsektor verharren.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Die Integrationskurse müssen endlich nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ ausgebaut werden. Das beinhaltet auch eine angemessene Bezahlung der Lehrkräfte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nicht zuletzt müssen wir bei den Neuerungen auch Verbesserungen bei der Arbeitsintegration für Asylsuchende mitbedenken; denn auch ihre Potenziale dürfen nicht ungenutzt bleiben. Mit der Ermöglichung der Arbeitsaufnahme bereits nach drei Monaten bei genehmigtem Asylantrag ist ein entscheidender Schritt hierzu bereits erfolgt.
Ein Arbeitsplatz ist der beste Ort für eine erfolgreiche Integration.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Helmut Brandt [CDU/CSU])
Jedoch nur mit entsprechender Begleitung und gezielter Vermittlung wird Asylsuchenden tatsächlich die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglicht. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.
Zur Integration gehört aber auch, dass sich unsere Politik nicht nur auf die Zielperson konzentriert. Wir müssen auch das soziale Umfeld, die Familie und die Kinder im Blick behalten. Für sie brauchen wir gut vorbereitete Schulen und auf Einwanderung eingestellte Ausbildungsstellen. Wir dürfen den Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen, als wir uns um die zweite und dritte Generation nicht ausreichend gekümmert haben.
In dieser Gemengelage müssen wir uns auf das Argument einstellen, es kämen schon 500 000 Kriegsflüchtlinge, Asylsuchende und EU-Migranten pro Jahr nach Deutschland. Aber diese Gruppe ist schwer zu steuern. Wir wissen nicht, wie viele dieser Menschen bei uns bleiben. Das heißt: Unabhängig von dieser Einwanderung brauchen wir in dieser Situation Einwanderer, die nach Bedarf bzw. nach dem Punktesystem in unser Land kommen. Sie sind eine wichtige und verlässliche Gruppe.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich einen persönlichen Wunsch, was die aktuelle Debatte um die Reform der Einwanderung betrifft. Ich habe keine Angst, dass die Integration unserer neuen Einwanderer nicht funktioniert, zumindest nicht was ihren Willen zur Integration betrifft. Viel wichtiger ist unsere Diskussionskultur beim Thema Einwanderung. Unsere Worte enthalten viel zu oft nicht geahnte Verletzungen, die zu Distanz, Isolierung und Parallelgesellschaften führen. Sie sind übrigens der ideale Nährboden für Radikalisierung. Deshalb kann ich hier nur bitten, unsere Vorbildrolle in der Gesellschaft ernst zu nehmen und dabei besonnen, fair und mit etwas mehr Einfühlungsvermögen mit dem Thema Einwanderung umzugehen. Es liegt an uns allen, dies zu ermöglichen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall im ganzen Hause)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der Debatte ist Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4548049 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 85 |
Tagesordnungspunkt | Modernes Einwanderungsrecht |