Christoph BergnerCDU/CSU - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2015
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren als nationales Parlament den Arbeitsplan der Europäischen Kommission. Kollege Spinrath hat die Debatte eröffnet und die Prioritäten und entsprechenden Kernpunkte genannt, und Sie sind in der nachfolgenden Debatte zu einer, wie zu erwarten war, unterschiedlichen Bewertung gekommen.
Ich möchte die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenken, der mir diesen Neuanfang der Kommission besonders wertvoll macht. Ich zitiere aus der Eröffnungsrede des neuen Kommissionspräsidenten im Juli:
Dieses Zitat ist mir nicht nur deshalb wichtig, weil wir hier in einem nationalen Parlament diskutieren und damit gewissermaßen auch eine besondere Ermunterung durch den Kommissionspräsidenten erhalten, sondern weil in diesem Zitat ein Problem der Europäischen Union angesprochen ist, das wir nicht unterschätzen dürfen, nämlich dass – im Umkehrschluss zu Junckers Zitat – die Annäherung der Bürgerinnen und Bürger an die Europäische Union offenkundig verbesserungswürdig ist.
Wir sind in einer Situation, in der sich, wie in Demokratien nicht überraschend, in den unterschiedlichen Ländern auch europafeindliche Parteien entwickeln. Aber ich möchte nicht, dass mit Bürokratie, Bürgerferne oder anderem diesen Parteien noch zusätzliche Argumente zuwachsen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass wir uns die Frage stellen, wie Bürgernähe auch auf europäischer Ebene besser organisiert werden kann. Ich habe mit großer Aufmerksamkeit das Buch „Europa neu erfinden“ unseres früheren Bundespräsidenten Roman Herzog gelesen, in dem er vor dem Überstaat Europa warnt, vor der Gefahr, dass europäische Institutionen überstaatlichen Charakter erreichen und die Kontrolle durch den Souverän nicht mehr vorhanden ist.
Ich finde, einer der großen Vorzüge dieses Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission besteht darin, dass es eine durchaus selbstkritische Analyse zum Ausgangspunkt genommen hat. Ich habe in dieser Hinsicht viele Aussagen des Präsidenten Juncker sehr begrüßt. Man hat eine Kommissionsstruktur geschaffen, die schlanker und wechselseitig besser vernetzt ist; Herr Seif hat das bereits entsprechend erläutert. Auch die Anonymisierung einzelner Kommissarentscheidungen wird aufgehoben, indem gewissermaßen eine Diskontinuität eingeführt wird. Das heißt, das gesamte Inventar, das einmal geschaffen wurde, muss nicht ewig weitergeschleppt werden. Vielmehr ist man sehr sparsam, wenn es um Rechtsetzungsinitiativen geht. Dieser Plan sieht gerade 23 vor. Schließlich wird unter ausdrücklichem Hinweis auf die Subsidiarität eine Konzentration auf Kernziele vorgenommen.
Ich finde – deshalb habe ich das Zitat von Herrn Juncker vorangestellt –, dass wir uns als nationales Parlament vornehmen sollten, zu prüfen, ob diese Vorsätze durch die Politik erfüllt werden, ob beispielsweise die Bürgernähe am Ende des Arbeitsplans tatsächlich zugenommen hat. Ich bin der Meinung, dass die Akzeptanz unserer europäischen Institutionen in Zukunft wesentlich von Bürgernähe abhängt. Wir sollten diese Herausforderung nicht unterschätzen und als nationales Parlament die Kommission dabei unterstützen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nun ist über den Arbeitsplan der Kommission nicht zu diskutieren, ohne auf die aktuellen Entwicklungen einzugehen. Ich will zwei nennen.
Erstens. Das Jahr 2015 wartet mit besonderen Herausforderungen. Während wir die Ratifizierung der Assoziierungsverträge mit Georgien, Moldau und der Ukraine beraten, ist einer unserer Vertragspartner, die Ukraine, unmittelbares Opfer einer hybriden Kriegsführung Moskaus. Anliegen und Konzept der EU-Partnerschaftspolitik werden hier mit militärischen Mitteln infrage gestellt. Wir sollten diese Herausforderung nicht unterschätzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Zweitens. Während wir als deutscher Haushaltsgesetzgeber heute Morgen über die Finanzaufsicht über Versicherungen beraten haben, sind der deutsche und der griechische Finanzminister zusammengetroffen und konstituierte sich das neu gewählte Parlament in Athen. Ich habe aus diesem Grund das Bedürfnis, hier in meiner Rede Folgendes festzustellen: Ich respektiere die Entscheidung des griechischen Wählers und gratuliere parteiübergreifend den Kolleginnen und Kollegen, die ein schwieriges Amt in Griechenland antreten. Aber ich fühle mich vor dem Hintergrund mancher Debatte in den letzten Tagen gedrängt, zu sagen: Auch die Parlamente der Mitgliedstaaten – auch das deutsche Parlament – sind demokratisch gewählt und demokratisch legitimiert.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Daran hat auch keiner gezweifelt! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Tolle Aussage!)
– Ja, aber dann respektieren Sie bitte auch, dass viele Entscheidungen, die nun als Diktat dargestellt und als Bevormundung und Angriffe interpretiert werden,
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das waren sie leider auch!)
von frei gewählten Mandatsträgern in Parlamenten getroffen wurden.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsche Entscheidungen!)
Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, dass wir es uns hier im deutschen Parlament mit den Entscheidungen betreffend die Griechenlandpakete – bis hin zu der Entscheidung im Dezember letzten Jahres – nicht leicht gemacht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Opposition hat damals gesagt: Lasst sie nur Geld ausgeben!
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wir haben dagegen gestimmt!)
Widerspruch gab es aber auch in meiner Fraktion. Einige meiner Kollegen waren der Auffassung, diese Haftung könne dem deutschen Steuerzahler nicht zugemutet werden. Wir haben abgewogen, was möglich war, und haben in Verantwortung und vor allem in Solidarität für Griechenland entschieden. Aber der Ton, der nun angeschlagen wird, ist in vielerlei Hinsicht nicht akzeptabel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn die These stimmt, dass zu einer Währungsunion auch immer eine politische Union gehört, dann gehört dazu, dass Parlamentsentscheidungen in gegenseitigem Respekt getroffen und berücksichtigt werden und dass man in Wahlkämpfen nicht so tut, als ob alles vom Himmel gefallen wäre.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das war jetzt ein wunderbares Schlusswort. Danke schön. – Nächster Redner ist Joachim Poß für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4548243 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 85 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2015 |