Joachim PoßSPD - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2015
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte Sie, Herr Kollege Bergner, noch kurz ergänzen. Ich glaube, dass sich jeder in der Politik, egal wo er verortet ist, links, rechts oder in der Mitte, wo immer er sich sieht, vor Hybris fürchten sollte. Auch für eine demokratisch gewählte griechische Regierung gilt: Mit Hybris und der Attitüde „Wir wissen es alles besser, aber wir übernehmen nicht die Verantwortung“ – die sich durch die Entwicklung in Griechenland ergeben hat –, mit Dilettantismus und Populismus kann man nicht erfolgreich sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dann gibt es auch noch die Mischung von linkem und rechtem Populismus. Diese Mischung ist für die weitere Entwicklung in Europa hochgefährlich. Das will ich einmal deutlich sagen.
(Zurufe von der LINKEN)
Das ist eine hochgefährliche Mischung. Sie verbündet sich de facto mit der Partei von Le Pen und ähnlichen Gruppierungen unter der Oberhoheit von Herrn Putin. Das ist die Entwicklung, die wir derzeit hier erleben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ein Unfug!)
Nun zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission.
Herr Kollege Poß, gestatten Sie vorher noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hunko?
Ja, natürlich.
Bitte schön, Herr Hunko.
Vielen Dank, Herr Kollege Poß. – Ist Ihnen bekannt, dass die Regierung, die diese Programme vor der Wahl 2012 umgesetzt hatte, eine Regierung war, die sich aus der griechischen Pasok, also Ihrer Schwesterpartei, aus der Nea Dimokratia, der Schwesterpartei der Union, und der wirklich rechtspopulistischen LAOS-Partei zusammensetzte? Mit letzterer Partei hat Ihre Schwesterpartei eine Koalition gebildet. Damals habe ich überhaupt keinen Aufschrei über diese Regierung gehört, weil die Programme umgesetzt wurden. Jetzt regt man sich auf. Das ist Doppelmoral. Ist Ihnen das bekannt? Können Sie dazu etwas sagen? Das ist Hybris, Herr Poß.
(Beifall bei der LINKEN)
Mir sind die Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte bekannt. Die griechischen Wählerinnen und Wähler haben die beiden Parteien, die Sie jetzt genannt haben, die konservative sowie die sozialdemokratische, zu Recht abgewählt. Das darf aber nicht diejenigen, die demokratisch gewählt wurden, dazu verleiten, in dem Stil weiter fortzufahren, den sie jetzt an den Tag legen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen sie nicht! Die machen etwas anderes!)
Im Interesse der griechischen Bevölkerung sollten sie einen anderen Ton und einen anderen Stil wählen. Sie sollten sich um die Probleme kümmern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Denn das Kernproblem, lieber Kollege, ist doch, dass in den letzten 40 Jahren die beiden politischen Parteien, die Sie zu Recht genannt haben, in Verbindung mit den Oligarchen, den Reichen und Mächtigen in Griechenland systematisch ihr eigenes Land ausgeplündert haben. Das ist der Kern der Krise. Die Parteien haben verzichtet, die Reichen an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen. Das sollte die jetzige Regierung ändern,
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Macht sie doch!)
sie sollte aber nicht solche Töne spucken, wie sie es in den letzten Wochen und Tagen getan hat.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihr Verhalten bei den Paketen, über die wir hier abgestimmt haben, habe ich immer als jämmerlich empfunden. Sie haben sich der Verantwortung für die Existenz der konkreten griechischen Menschen entzogen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: So ein Unsinn!)
Wir haben die Verantwortung wahrgenommen, auch wenn wir wissen, dass die ersten Rettungspakete wachstumsschädlich und sozial unausgewogenen waren.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sie wussten es sogar!)
Das ist unbestritten. Jedenfalls gilt das für die Pakete 2010 und 2011.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Also haben wir zu Recht dagegen gestimmt!)
Inzwischen muss aber die Einsicht gewachsen sein, dass zum Beispiel durch das Kommissionsarbeitsprogramm und das Investitionspaket, das Juncker angestoßen hat, die Chance besteht, aus dem Gegensatz – der ist ohnehin künstlich – zwischen übertriebenem Sparen auf der einen Seite und Investieren und Strukturreformen auf der anderen Seite auszubrechen. Was jedes europäische Land braucht – das gilt auch für Deutschland –, ist ein ausgewogener Mix von Investitionen und Strukturreformen. Auch in Deutschland brauchen wir dringend zusätzliche Investitionen.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist richtig!)
Darum geht es jetzt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das ist der Schwerpunkt auch der neuen Präsidentschaft und der neuen Kommission. Alles das, was mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und mit der sozialen Sicherheit zu tun hat, muss in den Mittelpunkt der europäischen Politik rücken. Die Menschen müssen spüren, dass wir die wirtschaftliche und soziale Realität in Europa verbessern wollen. Das ist bisher nicht gelungen. Das muss besser gelingen durch ein besseres Zusammenwirken der Kommission, der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da müssen wir einen neuen Aufbruch organisieren. Von ideologisch aufgeladenen Sündenbockdiskussionen, wie sie von Ihnen betrieben werden, hat kein Mensch in Griechenland konkret etwas; das nützt niemandem.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So weit zur Hybris!)
Gleichzeitig müssen wir – das betrifft mehr die Mitgliedstaaten – durch eine Besteuerung der Finanzmärkte mit einer Finanztransaktionsteuer auf breiter Grundlage die Lasten der Krise gerechter verteilen und zusätzlich finanziellen Spielraum gewinnen. Schließlich müssen wir schon in den nächsten Monaten sicherstellen – das ist wiederum eine Aufgabe der Kommission –, dass das skandalöse Steuerdumping multinationaler Konzerne mit einem Schwerpunkt in den Beneluxländern ein Ende nimmt.
Zu dieser Stunde wird im Europäischen Parlament beraten, wie die „Lux-Leaks-Affäre“ im Europäischen Parlament aufgearbeitet werden sollte. Falsche Rücksichtnahmen sollte es dabei auf keiner Seite geben.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Juncker, Herr Dijsselbloem, Euro-Gruppen-Chef und Finanzminister in den Niederlanden, und andere Verantwortliche in den Mitgliedstaaten müssen daran mitwirken, dass Großkonzerne in Europa zukünftig genauso wie kleine und mittlere Unternehmen besteuert werden. Es darf kein Überbietungswettbewerb um die höchsten Steuerrabatte zwischen europäischen Partnern geduldet werden. Ein solcher Wettbewerb untergräbt die Akzeptanz und fördert Nationalismus und Populismus. Das muss verändert werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da haben die Vorgängerkommission und auch Mitgliedstaaten manches Mal ein Auge zugedrückt.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Allerdings!)
Denn es war ja allgemein bekannt, was da lief; nur die Dimension war nicht so bekannt und so transparent, wie sie es in den letzten Wochen Gott sei Dank geworden ist.
Bei den drei von mir genannten Themen müssen wir noch in diesem Jahr sichtbare Fortschritte erzielen. Nur so können wir die Weiterentwicklung der europäischen Idee gegen den Ansturm des nationalistischen rechten und linken Populismus verteidigen. Dabei kommt es darauf an. Wer es mit Europa gut meint, kann es nicht mit rechten oder linken Populisten halten, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Katrin Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4548306 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 85 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2015 |