Uwe KekeritzDIE GRÜNEN - VN-Resolution zur Staateninsolvenz
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Murmann, das war alles sehr interessant. Warum hat eigentlich – diese Frage hätte ich Ihnen gerne gestellt – die Bundesregierung Bolivien erst neulich einen Nachlass von 387 Millionen Euro gewährt?
Verschuldung und Überschuldung gehören zur Geschichte der Menschen und der Völker, und daran wird sich auch nichts ändern. Deswegen beschäftigten sich schon die Bibel, der Koran und die Thora mit dieser Thematik. Vor 250 Jahren – man höre und staune – hat Adam Smith deutlich zum Thema Staatsverschuldung in einem durchaus fortschrittlichen Sinne Stellung bezogen.
Zwischen 1980 und 2005 gab es an die 160 Staatspleiten auf diesem Globus. Lassen Sie mich drei Punkte nennen, die im Zusammenhang mit diesen Pleiten deutlich wurden: Staatsinsolvenzen kommen immer häufiger und in immer kürzeren Zeitabständen vor, sie nehmen an Intensität zu, und immer mehr Länder sind davon bedroht.
Es ist eine Tatsache, dass Schuldenerlasse heutzutage zum Alltag gehören.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Leider!)
Die Mechanismen eines Schuldenerlasses haben allerdings enorme Schwächen, da sie allzu oft einem knallharten politischen Machtspiel geschuldet sind.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie einmal zu seriöser Haushaltspolitik!)
Um diese Schwächen abzubauen, tagt seit Dienstag ein Komitee der Vereinten Nationen. Es ist absolut erbärmlich, dass ausgerechnet die Bundesregierung durch eine von insgesamt elf Neinstimmen versucht hat, dieses Komitee zu verhindern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Völlig unverantwortlich ist es, dass Deutschland sich aufgrund einer Weisung des Finanzministers weigert, an diesem Komitee mitzuarbeiten.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Pfui!)
Der Boykotteur Schäuble, nicht von Weisheit getragen, will den Prozess torpedieren. Warum? Das ist klar: Ein international legitimiertes und nach festen Regeln durchgeführtes Umschuldungsverfahren reduziert den westlichen Einfluss und damit auch die Möglichkeit, geopolitische und ökonomische Ziele zu verfolgen.
Herr Murmann, Sie haben den IWF angesprochen. Was macht denn der IWF? Sie sind schlicht nicht informiert. Der IWF weigert sich, diesen Prozess zu führen, und zwar, weil er weiß, dass er in der Vergangenheit ganz viele Fehler gemacht hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
„Too late, too little“ war das Motto seiner Entschuldungspolitik. Um diese zu legitimieren, wurde die mögliche wirtschaftliche Erholung betroffener Länder viel zu optimistisch eingeschätzt und die Rückzahlungskapazitäten der Länder hoffnungslos und ungeachtet aller Realitäten überschätzt. Das führte immer – ich betone: immer – zu einer Verschlechterung der Lage.
(Manfred Zöllmer [SPD]: Falsch!)
Sie tun ja gerade so, als hätten solche Entschuldungsprogramme tatsächlich Erfolg gehabt. Es gibt eines, und das ist das Programm zur Entschuldung der Bundesrepublik Deutschland von 1953.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir brauchen doch nur nach Europa zu schauen: Die vermeintlichen Hilfsmaßnahmen führten zu einer dramatischen Verschlechterung der Verschuldungsquoten. Ganz nebenbei, als hätte man sich das überhaupt nicht vorstellen können, wurden die Sozialsysteme schwer geschädigt. Damit hat man auch die Entwicklungschancen dieser Länder erheblich verschlechtert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Global hat die Staatsverschuldung in den letzten sieben Jahren – man höre und staune – trotz dieser vielen Maßnahmen um 75 Prozent zugenommen, mit verheerenden Folgen für viele Entwicklungsländer. Zwei Drittel der als arm eingestuften Länder müssten in den nächsten zehn Jahren den größten Teil ihrer Staatseinnahmen für Schuldentilgung verwenden. Jeder von uns weiß: Das geht überhaupt nicht. Die Destabilisierung der Länder durch das Zerschlagen von Sozialsystemen, wie rudimentär sie auch immer sein mögen, ist für die Gläubigerländer die teuerste Methode, die Kredite nicht wiederzubekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
So wird die Entwicklungspolitik konterkariert. So wird Entwicklung verhindert. Wer diese Fakten ignoriert, der will einfach keine Entwicklung haben, der hält auch nichts vom SDG-Prozess – falls Sie wissen, was das ist –,
(Heiterkeit bei der LINKEN)
der uns auch verpflichtet, für faire Entwicklungschancen zu sorgen.
Frau Präsidentin, ich möchte noch einen Kommentar zu Niema Movassats Ausführungen über die deutsche Entschuldung 1953 abgeben: Die Ausführungen waren richtig, aber das war nur die halbe Wahrheit. Wir müssen uns die Situation von 1953 vergegenwärtigen: Das war acht Jahre nach dem Krieg, der 60 Millionen Tote und zig völlig zerstörte Länder hervorgebracht hatte. Damals hat man nicht nur eine 50-prozentige Reduzierung vorgenommen, sondern man hat sich auch darauf geeinigt, dass Deutschland seine Schulden nur aus den Exportüberschüssen finanzieren muss. Man hat damals ganz bewusst gesagt: Eine gute soziale Situation ist die Voraussetzung dafür, dass sich das Land positiv entwickelt und einen Beitrag zur Schuldentilgung leisten kann. Genau vor diesem Hintergrund finde ich ganz viele Kommentare zur griechischen Politik einfach schäbig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Der Kollege Manfred Zöllmer hat für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 18 |
Session | 85 |
Agenda Item | VN-Resolution zur Staateninsolvenz |