Burkhard BlienertSPD - Provenienz verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor etwas mehr als einer Woche haben wir anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz der Opfer der NS-Diktatur gedacht. Es gehört heute zu unserem nationalen Selbstverständnis, dass Deutschland seine immerwährende Verantwortung für diese grausamsten Verbrechen in seiner Geschichte annimmt. Eine Dimension dieser moralischen Verantwortung besteht darin, die damaligen Verbrechen aufzuklären und Wiedergutmachung zu leisten. Bezogen auf die Debatte über NS-Raubkunst, die sogenannten verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter, ist es wichtig, hervorzuheben, dass der planmäßige Entzug von Eigentum ein wesentliches Element der geplanten und systematischen Vernichtung der Juden war. Dabei spielt es im Resultat keine Rolle, ob der Entzug auf der Grundlage von unfreiwilligem Verkauf, Erpressung, Enteignung, Beschlagnahme, Diebstahl oder Raub erfolgte.
Mit dem Fall Gurlitt wurde offenbar, dass in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg der gesamte Komplex der unrechtmäßigen Entziehung von Kulturgütern während der NS-Zeit nur unzureichend aufgearbeitet worden ist. Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Antrag, der viele in diesem Kontext diskutierte Vorschläge in Bezug auf die Provenienzforschung und Restitutionspraxis aufgreift, spricht daher ein außerordentlich wichtiges Thema an.
Es ist wichtig, zu betonen, dass sich die Bundesregierung zusammen mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vorbehaltlos zur Verantwortung für die Aufarbeitung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in öffentlichen Sammlungen bekennt. Diese Verantwortung beruht auf den Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998. In einer Gemeinsamen Erklärung haben sich dann Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände 1999 zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz, verpflichtet. Alle öffentlichen Einrichtungen sind aufgerufen, ihre Kulturgutbestände zu überprüfen und unklare oder verdächtige Erwerbsvorgänge offenzulegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um diese Verpflichtung umzusetzen, sind in der Folge zahlreiche Instrumente entstanden. Dazu gehört die Lost-Art-Internetdatenbank der Koordinierungsstelle Magdeburg, mit der seit dem Jahr 2000 ein Verzeichnis geschaffen wurde, welches heute 154 000 detailliert und mehrere Millionen summarisch beschriebene Kulturgüter auflistet, die infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges verbracht, verlagert oder insbesondere jüdischen Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden. 2003 wurde zur Schlichtung strittiger Restitutionsfragen eine unabhängige Beratende Kommission unter Leitung von Jutta Limbach gegründet, die konkrete Fälle prüfen und unverbindliche Empfehlungen für faire und gerechte Lösungen aussprechen kann. 2008 wurde dann die Arbeitsstelle für Provenienzforschung bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschaffen, die seitdem mit insgesamt 14,5 Millionen Euro Museen und Bibliotheken bei der dezentralen Herkunftssuche unterstützt hat.
Ich beschreibe diese Punkte, um die jenseits aller Regierungsfarben unternommenen Bemühungen aufzuzeigen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, um Provenienzrecherche und -forschung gezielt zu verbessern. Doch noch immer gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, die im Antrag auch benannt werden.
Der sogenannte Schwabinger Kunstfund machte aber auch deutlich, dass es in Deutschland an einem einheitlichen Ansprechpartner sowohl für Museen und Kunsthändler als auch für Privatpersonen fehlt und dass weiterhin erhebliche Mittel und Personal benötigt werden, um dem Bedarf zu entsprechen. Auch die Tatsache, dass die Washingtoner Erklärung für private Besitzer nicht verbindlich ist, stellt einen unbefriedigenden Zustand dar. Von daher ist es außerordentlich zu begrüßen, dass mit Unterstützung des Bundestages Staatsministerin Grütters deutlich mehr Mittel für die Provenienzforschung zur Verfügung stellt und die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste auf den Weg gebracht hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sollen die Kompetenzen der verschiedenen Einrichtungen gebündelt und damit ein einheitlicher Ansprechpartner geschaffen werden. Auch Privatpersonen können sich dahin wenden, die ihre Sammlungen gewissenhaft überprüfen wollen. Zudem ist die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten in der ehemaligen DDR bzw. der Sowjetischen Besatzungszone Aufgabe der Stiftung, eine wichtige Aufgabe; denn bislang wurden fast ausschließlich die in der Zeit des Nationalsozialismus entzogenen Kulturgüter in den Blick genommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe deutlich machen wollen, wie ernst die Koalitionsfraktionen das im Antrag vorgetragene Anliegen nehmen. Viele der zu Recht benannten Forderungen an die Bundesregierung werden ganz im Sinne der Washingtoner Prinzipien umgesetzt. Wir wissen allerdings auch, dass noch eine Menge zu tun ist; denn die Recherche über die Herkunft der Kunstwerke ist nur ein Teil dieser Arbeit.
Die Bundesregierung bemüht sich zugleich darum, die Rechtslage in Deutschland dahin gehend zu verbessern, unter welchen Umständen Kunstwerke, die jüdischen Bürgern geraubt wurden und die sich heute in öffentlichen und privaten Museen oder in Privatbesitz befinden, den ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden können und müssen.
Das sind für mich zwei Seiten einer Medaille – beides gehört zusammen –: eine bessere Provenienzrecherche und -forschung sowie das Bemühen, jüdischen Alteigentümer bzw. ihren Rechtsnachfolgern NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut wirklich zurückgeben zu können.
Ich freue mich auf die konstruktiven Gespräche in den Ausschüssen und bedanke mich heute für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE])
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4555109 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 86 |
Tagesordnungspunkt | Provenienz verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter |