06.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 86 / Tagesordnungspunkt 20

Metin HakverdiSPD - Provenienz verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein sprachliches Bild, das Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Ansprache zum 70. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz geprägt hat, hat mich in der Vorbereitung dieser Rede besonders begleitet. Er sagte, es sei „ein Bruch eingewebt in die Textur unserer nationalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt“. Dieser Bruch in unserer Identität begleitet uns tatsächlich auch heute noch.

70 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist es uns immer noch nicht gelungen, das NS-Unrecht zu beseitigen. Es lebt auch heute noch – auch in der modernen Bundesrepublik – fort.

Eigentümerinnen und Eigentümer, denen verfolgungsbedingt Kunstwerke entzogen wurden, oder deren Erben, warten noch immer auf Wiedergutmachung, Rückgabe und Gerechtigkeit. Dass die Folgen nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen noch heute fortbestehen, befremdet uns.

Wir haben Handlungsbedarf zum einen hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung bzw. der Tatsachenaufklärung und zum anderen hinsichtlich des rechtlichen Rahmens. Bei der Tatsachenaufklärung haben wir in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir die Provenienzforschung verstärken wollen. Damit wollen wir dem Anspruch auf Restitution gerecht werden.

Die Tatsachenaufklärung ist der zentrale Baustein, will man in irgendeiner Form dafür sorgen, dass Gerechtigkeit hergestellt wird. Sämtliche Kunstwerke, die jüdischen Bürgern in der NS-Zeit geraubt wurden, müssen aufgespürt werden. Dies gilt besonders für deutsche Museen. Auch solche Kunstwerke, die sich in Privatbesitz befinden, müssen stärker in den Fokus geraten.

Zum 1. Januar dieses Jahres ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste als Stiftung bürgerlichen Rechts in Magdeburg gegründet worden. Ziel des Zentrums ist, die Initiativen von Bund, Ländern und Kommunen zu bündeln. Es wird die unabhängig beratende Kommission unter der Leitung von Jutta Limbach ebenfalls unterstützen. Ich wünsche mir, dass damit eine effektive Sachverhaltsaufklärung möglich wird.

Die Herausforderungen hinsichtlich der Gestaltung eines adäquaten Rechtsrahmens sind allerdings komplizierter. Was ist 70 Jahre nach Untergang des NS-Regimes gerecht? Auf der einen Seite haben wir es mit dem Gerechtigkeitsbedürfnis von Menschen zu tun, denen durch die Nazis Unrecht zugefügt wurde. Sie wurden ihres Eigentums beraubt. Auf der anderen Seite haben wir es mit Menschen zu tun, die unter Einsatz von privaten Mitteln Kunstgegenstände erworben haben. Kann es gerecht sein, wenn wir diese Menschen angesichts des NS-Unrechts rechtlos stellen, auch wenn sie zum Zeitpunkt des Erwerbs eventuell gutgläubig waren?

Möglicherweise bietet die Washingtoner Erklärung aus dem Jahr 1998 hierfür einen geeigneten Rahmen. Sie verlangt nach gerechten und fairen Lösungen. Sicher ist, dass das Gerechtigkeitsbedürfnis beider Seiten in Ausgleich gebracht werden muss. Wir können nicht einseitig das Gerechtigkeitsbedürfnis einer Seite ignorieren. Wichtig ist: Es muss erlaubt sein, sich den aufkommenden Fragen permanent mit einem ernsthaften Aufklärungswillen zu stellen. Es reicht nicht, bloß auf den geltenden Rechtsrahmen zu verweisen.

Wir müssen möglicherweise unsere Rechtsordnung nachjustieren. Zentrale Fragestellungen hierbei sind: Welche Anforderungen stellen wir an den guten Glauben beim Erwerb eines Kulturgutes? Wie sieht ein Herausgabeanspruch aus, der die verfassungsrechtlichen Grenzen echter Rückwirkung im Blick hat? Welche Verjährungsfristen sind sachgerecht? Wie sehen die Regeln gutgläubigen Erwerbs in einer öffentlichen Auktion aus? Welche Verjährungsfrist ist hier sachgerecht? Des Weiteren müssen wir die Regelungen der gutgläubigen Ersitzung überprüfen.

Ich finde, dass das Bundesjustizministerium an dieser Stelle gute Arbeitet leistet. Ich weiß, dass derzeit an verschiedenen Stellen Strategien im materiellen Recht und im Verfahrensrecht geprüft werden, um eine ausgewogene und gerechte Lösung zu entwickeln. Wir alle sind auf die Lösungsansätze gespannt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4555146
Wahlperiode 18
Sitzung 86
Tagesordnungspunkt Provenienz verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter
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