Oliver KrischerDIE GRÜNEN - Pkw-Maut
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt unglaublich viele Herausforderungen in der Verkehrs- und Mobilitätspolitik; aber eines muss man feststellen: Nach fast anderthalb Jahren Große Koalition haben Sie nicht einmal angefangen, sich mit diesen Herausforderungen auseinanderzusetzen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen beschäftigen Sie sich mit einer Ausländermaut, die keine relevanten Einnahmen bringt, die die Besucher aus dem Ausland diskriminiert und damit europarechtswidrig ist, die keine ökologische Lenkungswirkung hat, die ein Bürokratiemonster irrsinnigen Ausmaßes ist, die verfassungsrechtlich zumindest bedenklich ist und erhebliche datenschutzrechtliche Fragen aufwirft. Meine Damen und Herren, das ist schädlich für die Verkehrspolitik!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist unsinnig! Das ist die Fortsetzung des Betreuungsgeldes in der Verkehrspolitik! Das muss hier einmal klipp und klar gesagt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Herr Dobrindt, ich hätte mir angesichts von 16 Minuten Redezeit gewünscht, dass Sie auf diese Kritikpunkte einmal substanziell eingegangen wären. Dazu habe ich Nullkommanichts von Ihnen gehört. Das, was Sie hier eben abgeliefert haben, ist ein absolutes Armutszeugnis. Das ist eines Verkehrsministers in Deutschland nicht würdig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage Ihnen auch – so viel Ehre muss sein –: Sie haben in den vergangenen Tagen einen sinnvollen Vorschlag gemacht. Sie haben vorgeschlagen, dass in Zukunft Warnanlagen für Geisterfahrer aufgebaut werden sollen.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ja, das ist richtig. Die erste Warnanlage muss vor dem Ministerbüro aufgebaut werden. Die wird jeden Tag drei Dutzend Mal blinken, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Seien wir einmal ehrlich: Wenn wir hier über die Ausländermaut reden, geht es nicht um Verkehrspolitik, auch nicht um Einnahmen für die Infrastruktur.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Worum geht es denn dann?)
Das ist alles Quatsch. Es gibt nur einen einzigen Grund, weshalb wir über dieses Thema reden. Wir reden deshalb darüber, weil eine rechtspopulistische Regionalpartei
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
irgendwo im Bermudadreieck zwischen AfD, NPD und Pegida auf politischer Beutefahrt ist. Das ist Ihr Thema. Sie wollen damit die Hoheit über die Stammtische haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und Sie sind der Steigbügelhalter für Kommunisten!)
– Sie empören sich jetzt, aber Sie werden sich das anhören müssen: Der Vorsitzende dieser Regionalpartei drischt NPD-Parolen. Das ist unglaublich. Ich erwarte da einen Aufstand der Anständigen in der Großen Koalition; denn das kann man nicht akzeptieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Christ- und Sozialdemokraten, in einer Koalition – Sören Bartol hat das gerade angesprochen – muss man Kompromisse machen; das ist völlig klar. Aber das heißt nicht, dass man Schwachsinn beschließen muss. Aber Sie sind gerade dabei, genau das zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
Daran werden wir Sie mit allem Nachdruck überall in der Republik erinnern, sollte dieses Gesetz verabschiedet werden.
Das Mantra von Herrn Dobrindt – das haben wir auch von Sören Bartol gehört – ist: Die deutschen Autofahrer sollen nicht belastet werden, sondern es sollen nur – interessanterweise spricht man in dem Gutachten, das Herr Dobrindt vorgelegt hat, nicht mehr von den Ausländern und Ausländerinnen – Gebietsfremde belastet werden.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Muss ich als Rheinländer, wenn ich nach Bayern fahre – dort bin ich gebietsfremd –, in Zukunft auch zahlen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Ja!)
Was ist Ihr Konzept? Was haben Sie da für eine Vorstellung?
Ich sage Ihnen – das gehört zur Wahrheit dazu –: Am Ende wird ja nicht die Pkw-Maut scheitern; vielmehr wird vor dem Europäischen Gerichtshof und vor der EU-Kommission die Kompensation scheitern. Dann werden wir genau vor der Situation stehen, dass die deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer 3,7 Milliarden Euro bezahlen müssen. Nachtigall, ick’ hör dir trapsen – das ist genau der Plan: Man will durch die Privatisierung der Straßen über ÖPP 3,7 Milliarden Euro in die Kassen der Versicherer und der Banken spülen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: So ist es!)
Das ist doch der wahre Hintergrund des Konzeptes der Großen Koalition!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Herr Dobrindt, Sie beziffern die Nettoeinnahmen auf 500 Millionen Euro. Wir haben über Monate hinweg Dutzende Anfragen gestellt, um an die Berechnungsgrundlage heranzukommen; denn wir wollten wissen, wie die Zahl zustande kommt. Aber Sie haben uns immer die Unwahrheit gesagt. Sie haben diese Fragen nicht beantwortet. Die Tatsache, dass die Wochenzeitung Die Zeit klagen muss, um an diese Zahlen heranzukommen, damit wir Zugriff darauf haben, das wäre eine Debatte im Deutschen Bundestag wert. Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
In dem Gutachten, in dem plötzlich von Gebietsfremden die Rede ist, werden Zahlen herangezogen, die zehn Jahre alt sind.
(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war keine Klage wert!)
Es werden nicht greifbare Annahmen zugrunde gelegt. Es ist nicht nachprüfbar, wie die 500 Millionen Euro zustande kommen. Ich glaube – an jeder Stelle atmet das dieses Stück Papier –: Da ist jemand beauftragt worden, der von den 500 Millionen Euro ausgehend die Zahlen herunterrechnen sollte, um das irgendwie passend zu machen.
Der größte Witz an der Geschichte ist, dass Sie jemanden beauftragt haben, die Zahlen zu prüfen und eine Stellungnahme abzugeben, der selber möglicherweise wirtschaftlich von der Einführung der Maut profitiert. Das wäre so, als wenn Sigmar Gabriel RWE beauftragen würde, die Klimaverträglichkeit der Braunkohle zu überprüfen. Es ist doch klar, was dabei herauskommt. Das traut sich nicht einmal Sigmar Gabriel. Das ist unter Ihrem Niveau, Herr Dobrindt, und unter dem Niveau einer Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen; das wäre wirklich verursachergerecht; denn die Lkws machen unsere Straßen und Brücken kaputt, sie sind für den Verfall der Infrastruktur verantwortlich. Das, was Sie jetzt beschließen wollen, ist zu wenig, das reicht nicht aus. Aber Sie wollen die Lkw-Maut sogar noch senken.
Ich hoffe, dass die Debatte über dieses Thema am Ende dazu führen wird, dass es – Sören Bartol, da nehme ich die Sozialdemokraten beim Wort – einen Aufstand der Vernunft in der Großen Koalition geben wird
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und dass Sie dieses Projekt dort versenken, wo es hingehört: auf dem Müllhaufen blödsinniger CSU-Projekte.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Steffen Bilger erhält nun das Wort für die CDU/CSU- Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4659023 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Pkw-Maut |