Bärbel KoflerSPD - UN-Nachhaltigkeitsziele
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es wichtig, dass es uns heute einmal gelungen ist, zu einer frühen Tageszeit über das Thema Nachhaltigkeitsziele zu sprechen. Leider ist es ja oft so, dass wir uns am Ende der Tagesordnung mit solchen Themen befassen.
(Beifall des Abg. Andreas Jung [CDU/CSU])
Das ist schade und bedauerlich, weil ich glaube, wir müssen uns fachübergreifend mehr mit den Fragen von Nachhaltigkeit, und zwar in globaler Hinsicht, beschäftigen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Heike Hänsel [LINKE])
Wenn man über die Nachhaltigkeitsziele der UN spricht, ist es wichtig, zu fragen: Was haben wir bereits erreicht? Es geht jetzt um den Folgeprozess der sogenannten Millenniumsentwicklungsziele, die bis 2015 erreicht sein sollten. Die Frage ist also: Was haben wir in diesen Entwicklungszielen erreicht, was haben wir nicht erreicht, und welche Sachverhalte wurden damals überhaupt nicht thematisiert, die aber sehr wohl zur Bekämpfung von Armut und für Fortschritte in der Entwicklung ganz entscheidend sind?
Ich glaube, es ist bei den Entwicklungszielen einiges erreicht worden. Ich möchte das sagen, weil das auch Mut machen soll, dass wir uns wirklich um Entwicklungszusammenarbeit bemühen und uns dafür einsetzen.
Es ist einiges bei der Bekämpfung von extremer Armut erreicht worden. Das kann man mit Zahlen nicht so richtig fassen, wenn man dazu Statistiken vorliest. Aber wenn es vor 25 Jahren in den Entwicklungsregionen der Erde so war, dass rund die Hälfte der Menschen von weniger als 1,25 Dollar am Tag, also in extremer Armut, gelebt hat und jetzt, dank der Arbeit im Rahmen der Entwicklungsziele, dieser Anteil immerhin auf 22 Prozent gesunken ist – das sind die Zahlen der UN –, dann halte ich das für einen positiven Schritt in die richtige Richtung. Für die Menschen, die davon betroffen sind, ist das sicherlich wertvoll.
(Beifall bei der SPD)
Das heißt aber nicht, dass man sich damit zufriedengeben kann und zufriedengeben darf. Denn selbstverständlich muss die Beseitigung von extremer Armut das oberste Ziel der Entwicklungsagenda, der Nachhaltigkeitsagenda auch in dem neuen Prozess werden.
Wir haben vieles nicht erreicht. Auch das muss man deutlich sagen. Gerade im Gesundheitssektor ist vieles nicht erreicht worden. Es gibt bei der Müttersterblichkeit, der Kindersterblichkeit riesige Defizite. Ich glaube, das hat in vielen Teilen dieser Erde mit der Stellung der Frau zu tun; auch das muss man an der Stelle sehr deutlich ansprechen. Auf der anderen Seite hat das aber auch mit dem absoluten Fehlen von funktionierenden sozialen Sicherungssystemen und Gesundheitswesen zu tun. Das haben wir ja gerade angesichts der Ebolakrise wieder festgestellt.
Ich finde es deshalb wichtig, dass die – schon wieder so eine Abkürzung; OWG – Open Working Group der Vereinten Nationen in ihrem Positionspapier festgelegt hat, dass es gerade zu diesen Gesundheitszielen eine Reihe von Unterzielen geben soll, die auch den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen in den Mittelpunkt stellen. Das ist einer der ganz entscheidenden Punkte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ferner muss über Dinge diskutiert werden, über die im Rahmen des MDG-Prozesses, also der Millenniumsentwicklungsziele, überhaupt nicht gesprochen worden ist. Auch darauf weisen wir in unserem Antrag hin. Es muss darum gehen, dass dem Ziel „Menschenwürdige Arbeit weltweit“, das in dem UN-Papier formuliert wird, endlich zum Durchbruch verholfen wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Da wird es dann spannend. Knapp 900 Millionen Menschen auf dieser Erde verdienen trotz Arbeit unter 2 Dollar am Tag und müssen damit sich und ihre Familien ernähren. Ein Drittel der Beschäftigten in den Entwicklungsländern lebt trotz der täglichen Arbeit in extremer Armut. Informelle Arbeit ist gang und gäbe – das heißt, der Großteil der Menschen hat keine arbeitsrechtliche, sozialrechtliche Absicherung –, und fast 21 Millionen Menschen schuften unter sklavenähnlichen Bedingungen.
Wenn wir hier wirklich etwas ändern wollen, dann ist sicherlich vieles gefragt, was in den Bereich der Handels- und Steuerpolitik gehört; keine Frage. Aber dann muss es uns auch gelingen, in allen Ländern – Universalität ist ein wichtiger Punkt – ein entsprechend ausgestattetes eigenes Arbeitsrecht auf die Agenda zu setzen, damit die Menschen in diesen Ländern – hoffentlich mit Gewerkschaften vor Ort – ihre Interessen vertreten können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dann muss es uns auch gelingen, die ILO-Kernarbeitsnormen in allen Ländern zu verankern, Sozialstandards zu definieren und ein System der sozialen Sicherung aufzubauen. Das muss jedes Land als Aufgabe für den Gesetzgebungsprozess in seinem Land begreifen. Das Spannende an dem SDG-Prozess ist, diese konkreten Fragen – jetzt wird es ein bisschen konkreter, liebe Claudia Roth – in einzelne Gesetzgebungsvorhaben umzusetzen und in den nächsten Jahren entsprechende Maßnahmen durchzuführen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das heißt selbstverständlich auch, dass der Beschluss der Entwicklungsziele, zu dem es hoffentlich im September in New York kommt, nicht das Ende der Debatte um die Nachhaltigkeitsziele, sondern erst der Beginn der Arbeit in allen Parlamenten und Gesellschaften dieser Erde ist.
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Ein Thema, das die Verschränkung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem sehr deutlich macht, aber in den letzten Jahren völlig vernachlässigt worden ist, ist die Stadtentwicklung. Die UN schreibt in ihrem Bericht zu den Nachhaltigkeitszielen zu Recht:
Dabei geht es um Arbeitsplätze für diese Menschen, um die wirtschaftliche Entwicklung, ebenso wie um alle ökologischen Fragen, die damit im Zusammenhang stehen. Es geht zum Beispiel darum, ob die Menschen endlich Zugang zu Energie haben, um selbst produktiv sein zu können, also im Sinne der eigenen Armutsbekämpfung tätig werden zu können. Es geht aber selbstverständlich auch um die ökologischen Grenzen unseres Planeten. Das betrifft zum Beispiel die Frage, welche Energieträger und Verkehrsträger geeignet sind und wie wir die Entwicklung gemeinsam hinbekommen. Studien belegen, dass zurzeit 2,3 Milliarden Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern in Städten leben, fast die Hälfte davon in Slums. Diese Zahl wird, wenn wir nicht handeln, bis 2050 voraussichtlich auf 3 Milliarden Menschen, die in Slums leben, steigen.
Das zeigt, dass es einen ganz konkreten Handlungsbedarf gibt, was Stadtplanung, Verkehrsplanung und die Frage angeht, wie man in diesen Ländern endlich auch nachhaltige Entwicklungskonzepte im Energiebereich umsetzen kann. Deshalb bin ich sehr froh, dass es in dem vorliegenden Katalog nicht nur einige wenige ausgewählte Ziele gibt, über die wir diskutieren, sondern dass wir zum ersten Mal alle diese Fragen zusammen diskutieren. Es sind insgesamt 17 Ziele, zugegebenermaßen mit einer ganzen Reihe von Unterzielen, aber das zeigt auch die Notwendigkeiten. Wir müssen uns auch immer wieder vor Augen führen, dass wir bei der Frage ansetzen müssen, wie in allen Ländern mit diesen Zielen umgegangen wird.
Ein kurzer Blick auf die Uhr.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident, und möchte nur noch einen letzten Gedanken formulieren, nämlich zur Einnahmesituation der Länder. Auch wir werden unseren Beitrag dazu leisten müssen. Das haben wir in unserem Antrag im Übrigen mit dem 0,7-Prozent-Ziel festgeschrieben. Es wird aber auch darum gehen, dass wir die anderen Länder beim Aufbau von Steuersystemen unterstützen müssen. Außerdem müssen wir unser eigenes Recht so ausgestalten, dass zum Beispiel beim Rohstoffabbau Transparenz hergestellt wird, damit die Länder überhaupt eine Chance bekommen, eigene Steuereinnahmen zu erzielen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt erteile ich dem Abgeordneten Peter Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4661455 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | UN-Nachhaltigkeitsziele |