26.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 10

Maria MichalkCDU/CSU - Versorgung von Menschen mit Behinderung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, nicht jedem Menschen ist es vergönnt, vom Anfang seines Lebens bis zu seinem Ende – vielleicht mit ein bisschen Grippe zwischendurch – gesund durch das Leben zu kommen. Das ist ein großes Geschenk, an dem man selbst arbeitet und an dem viele Leistungserbringer arbeiten. Leider gibt es in unserem Land zunehmend mehr Menschen, die nicht gesund zur Welt gekommen sind, die das Unglück eines Unfalls erleben mussten oder die an einer Krankheit leiden. Uns um diese Menschen zu kümmern, ist unser aller Anliegen. Das eint uns zunächst einmal; das will ich sagen. Aber so zu tun, als hätten wir seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland nichts getan, ist schlichtweg falsch. Sie wissen ganz genau, dass wir in einem mühevollen, breit angelegten Prozess einen nationalen Aktionsplan für Deutschland verabschiedet haben, der immer noch gilt und der sukzessive, Punkt für Punkt, umgesetzt werden kann.

Die neue Qualität dieser Sache liegt darin, dass wir dieses Thema nicht separat denken – Sie, liebe Kollegin, haben ja gerade vorgeschlagen, vielleicht sogar ein separates Gesetz zur besseren medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung auf den Weg zu bringen –, sondern dass wir es immer im Ganzen denken.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein völliges Fehlverständnis!)

Wenn wir flächendeckend eine gute Versorgung in der Medizin haben – bei der Ärzteschaft, in Krankenhäusern, in Apotheken, bei Physiotherapeuten und in sonstigen fachübergreifenden Zentren –, dann kommt das allen zugute, Menschen mit Behinderung genauso wie Menschen ohne Behinderung. Das muss doch unser Anliegen sein.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade einmal 10 Prozent der Praxen!)

Natürlich braucht man spezielle Kenntnisse, vielleicht auch eine besondere Sensibilität im Umgang. Aber es muss in unserer Gesellschaft eigentlich zum Allgemeingut werden, dass jeder hilfsbereit ist. Ganz konkret gesagt: Es gibt nur wenige Zwischenfälle, bei denen Beschwerden geführt werden müssen, weil Menschen mit Behinderung nicht richtig behandelt worden sind.

Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Debatte extra die Zusammenfassung unserer Aktivitäten der letzten Legislaturperiode zur Hand genommen. Allein im Bereich Gesundheit haben wir sieben Gesetzentwürfe verabschiedet, in denen ganz konkrete Dinge im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung geregelt sind. Ich will gleich ein paar Aspekte nennen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Was ich an Ihrem Antrag grundsätzlich kritisiere, ist, dass Sie mit Ihren 21 Forderungen den Eindruck erwecken, als sei bisher nichts gemacht worden.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie doch mal auf diese 21 Forderungen ein!)

Allein der Titel Ihres Antrags suggeriert, dass in Deutschland derzeit eine nicht menschenrechtskonforme Versorgung stattfindet. Das kann doch niemand ernsthaft glauben.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist aber so!)

Trotz aller Probleme, die hier und da noch zu lösen sind – wir bräuchten ja keine Gesetze zu machen, wenn alles in Ordnung wäre und wir nicht den Anspruch hätten, es noch besser zu machen –, muss man doch anerkennen, dass wir ein hochmodernes, breit aufgestelltes, innovatives, für jedermann zugängliches, solidarisches Gesundheitssystem haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb widerspreche ich Ihnen, wenn Sie behaupten, dass Menschen mit Behinderung schlecht versorgt würden.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht generell, sondern zum Teil!)

Sie haben angesprochen, dass nicht jede Arztpraxis barrierefrei ist. Das ist tatsächlich ein Punkt.

(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: 22 Prozent sind es nur!)

Aber schauen Sie sich vielleicht noch mal an, was das Projekt „Barrierefreie Praxis“ leistet, bei dem, im Ehrenamt übrigens, Leistungserbringer selbst für jedermann zugänglich eine Übersicht führen – und diese ständig aktuell ergänzen –, in welchen Praxen etwas verbessert wurde, welche barrierefrei sind und wo bei einem Neubau von vornherein an die Barrierefreiheit gedacht wird.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bestehendes Recht!)

Wir sind uns einig, dass in Altbauten, im Bestand, die Situation schwieriger ist. Es gibt in Sachen Barrierefreiheit aber nicht nur baurechtliche Verbesserungen: Firmen lassen die Beipackzettel für ihre Arzneimittel in leichter Sprache erstellen oder berücksichtigen überhaupt die Barrierefreiheit. Diese Fortschritte kann man doch nicht einfach ignorieren, nur weil sie, sage ich mal, auf das Engagement von Einzelnen zurückzuführen sind.

Wir als Gesetzgeber haben die Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu setzen. Die sind nicht schlecht. Ich werde noch zwei Punkte ansprechen, wo wir vielleicht noch etwas verbessern können. Aber wichtiger ist es doch, die Rahmenbedingungen so zu nutzen, dass auf die speziellen Konstellationen vor Ort eingegangen werden kann und eingegangen wird. Wie sonst im Leben auch ist gerade bei Menschen mit Behinderung eine besondere Komplexität zu beachten – im Umgang, in der Sprache, in der Behandlung –, und das alles interdisziplinär.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heißt das, Sie vertrösten die Menschen mit Behinderung?)

Sie wissen, dass wir in unserem Land gut funktionierende Zentren mit speziellen Angeboten gerade für Kinder haben. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, beklagen allerdings auch, dass es dann einen gewissen Bruch gibt, wenn die Kinder 18 Jahre werden; Menschen mit Behinderung werden heutzutage ja dank guter medizinischer Versorgung älter als früher. Wir wollen die guten Angebote für Kinder jetzt auch um Angebote für Erwachsene erweitern; das, zum Beispiel, ist ein ganz konkreter Punkt aus dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie letzte Wahlperiode abgelehnt! Haben wir Ihnen schon einmal vorgelegt!)

Ich will auch darauf hinweisen, dass wir zum Beispiel in der Heilmittelversorgung Verbesserungen durchgesetzt haben: Wir haben ganz konkret gesagt, dass bei langwierigen Behandlungen und auch bei entsprechenden Heilmitteln eine längerfristige Verordnung stattfinden kann, damit die Menschen nicht so oft zum Arzt gehen müssen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gut!)

Sie wissen, dass die Anträge innerhalb von vier Wochen beschieden werden müssen; andernfalls gelten sie als bewilligt. Auch das ist eine Verbesserung.

Wir haben im Assistenzpflegegesetz unter anderem geregelt, dass Menschen mit Behinderung, die nach dem Arbeitgebermodell ihre täglichen Dinge ordnen, die Assistenz ins Krankenhaus oder in Rehabilitierungseinrichtungen mitnehmen können. Die Grünen wollen das mit ihrem Antrag jetzt auf alle ausdehnen. Zu diesem Thema hatten wir eine umfangreiche Anhörung. Da empfehle ich Ihnen: Bitte lesen Sie sich die Argumente, die dort vorgebracht wurden, noch einmal durch!

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gemacht!)

Es ist wichtig, sie noch einmal zur Kenntnis zu nehmen.

Ich erinnere auch daran, dass wir zum Beispiel in der Zahnheilkunde den Ansatz der aufsuchenden Medizin eingeführt haben und für die zusätzlichen Wege, die Zahnärzten durch die Versorgung von Menschen mit Behinderung entstehen können, zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Da ist eine Verbesserung erfolgt. Wir wollen jetzt in der Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung stärker noch, als das bisher der Fall war, den präventiven Gedanken einführen, weil wir wissen, dass im Grunde die gesamte körperliche Fitness sehr davon abhängt, wie die Mundhygiene funktioniert. Wenn sich da Geschwüre entwickeln, können die den ganzen Körper außer Kraft setzen, und das ist tragisch, wenn man schon multifunktionale Störungen ertragen muss.

Auch für seltene Erkrankungen erhält man bei uns eine medizinische Versorgung. Wir haben in die Arzneimittelversorgung mit dem AMNOG ein Prinzip eingeführt, das seinesgleichen sucht und gelobt wird, damit genau diesen Patienten die notwendigen neuen Medikamente ziemlich unkompliziert, für jedermann zugänglich, zur Verfügung stehen und genutzt werden können.

So kann ich die Reihe fortführen. Ich würde Ihnen wirklich vorschlagen, dass wir uns lieber darum bemühen – auch bei dem jetzt anstehenden Gesetz –, nicht nur die einzelnen Dinge im Blick zu haben, sondern vor allem an die Gesamtheit zu denken; daran kann jeder von uns hier im Raum in seinem Wahlkreis, in seinem Wirkungsumfeld mitarbeiten.

Frau Präsidentin, das darf ich mit Ihrer Genehmigung sagen: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass in unserer Parlamentszeitung immer wieder Artikel in Leichter Sprache publiziert werden. Das war nicht einfach, und mancher versteht auch die Leichte Sprache nicht, weil sie zu leicht ist. Jeder sollte einmal für seinen Bereich überlegen, wo man außerhalb der gesetzlichen Regelungen Dinge des täglichen Lebens für die Menschen mit Behinderung erleichtern kann. Das gilt erst recht in Bezug auf die medizinische Versorgung und die Regelungen im Pflegebereich.

Zum Schluss möchte ich versöhnlich werden: Ich hoffe, dass wir es schaffen, genau dies im Blick zu haben und ein menschenwürdiges Dasein für jedermann zu gestalten. Wir sollten aber nicht so tun, als ob wir in Deutschland quasi noch in der Urzeit sind. Das ist nämlich nicht der Fall.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ausdrücklich nicht gesagt!)

Wir können uns sehr freuen, dass wir eine Menge Leistungserbringer haben, die sich weit über ihre tägliche Arbeit hinaus engagieren und Erleichterungen für die betroffenen Menschen organisieren und auch verordnen. In diesem Sinne möchte ich mich gerade bei diesen Menschen herzlich bedanken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben alles abgelesen!)

Vielen Dank. – Frau Kollegin, es ist immer gut, wenn möglichst viele darauf hinweisen, dass viele unserer Debatten und auch vieles von dem, was wir publizieren, auch in Leichter Sprache veröffentlicht wird; denn es gibt eine zunehmende Zahl von Menschen, die nicht die komplizierten Texte lesen, aber trotzdem am gesamten Leben teilhaben wollen. Deswegen – da können Sie sich sicher sein – dürfen Sie das hier mit meiner Erlaubnis immer ansprechen.

Die nächste Rednerin ist Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4662471
Wahlperiode 18
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Versorgung von Menschen mit Behinderung
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