26.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 10

Helga Kühn-MengelSPD - Versorgung von Menschen mit Behinderung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es sind jetzt so viele Reizwörter gefallen, dass es schwerfällt, einen Einstieg zu finden. Das ist also nicht so einfach.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, das glaube ich!)

Herr Kollege Sorge, wir sind ja Partner in der Koalition und deshalb jetzt auch Freunde.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

Trotzdem muss ich sagen, dass in Nordrhein-Westfalen unter dem Gesichtspunkt Teilhabe bzw. Barrierefreiheit sehr viel passiert, zum Teil umgesetzt von den Landschaftsverbänden. Ich habe aber in meinen knapp fünf Minuten Redezeit nicht ausreichend Zeit, das alles zu vertiefen.

Kollegin Wöllert, ich unterstütze Ihren Beitrag. Die Kollegin Kühn-Mengel war übrigens gestern Abend auch anwesend; das nur nebenbei.

(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Entschuldigen Sie!)

Die Gesetzgebung für Menschen mit Behinderung hat einen Vorlauf, an den ich noch einmal erinnern möchte, nämlich das WHO-Konzept der Gesundheitsförderung, das 1986 formuliert und bis heute immer weiterentwickelt wurde. Diese sogenannte Ottawa-Charta hat ja einen ganz neuen Blick auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung gerichtet. Krankheit ist danach eben nicht nur das Fehlen von Gesundheit und umgekehrt.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Vielmehr hat Gesundheit mit vielen Faktoren zu tun, beispielsweise mit seelischen, ökonomischen und ökologischen, aber auch – damit bin ich beim Thema – mit Partizipation und der Stärkung von Gesundheitskompetenz. Das hat uns in der Folgezeit bei Gesetzgebungsschritten immer wieder geleitet, zumal es in der damaligen Charta um einen weiteren wichtigen Begriff ging, nämlich das Verringern der sozialen und der gesundheitlichen Ungleichheit. Auch das interessiert uns ja in diesem Zusammenhang. Ganz sicher ist noch nicht genug mit Blick auf die Menschen mit Behinderung geschehen. Aber – das kann man schon sagen – es wurde doch eine Menge bewegt.

Ich darf daran erinnern, dass nach 1998 parteiübergreifend viele Gesetze beschlossen wurden, etwa das Gleichstellungsgesetz

(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Zum Beispiel!)

oder das SGB XI – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen –, dem ein wirklich emanzipatorischer Ansatz zugrunde liegt. Das alles muss weiterentwickelt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Manches ist allerdings in der Umsetzung noch nicht so weit. Aber all das hat Bewusstsein verändert, vor allem der Gedanke, dass es nicht um mehr staatliche Fürsorge, sondern um mehr Selbstbestimmung geht, und dass der Blick nicht immer nur auf die Defizite der Menschen gerichtet werden darf, sondern auf deren Potenziale und Ressourcen gerichtet werden muss.

(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles richtig!)

Die UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltet noch einmal einen anderen Anspruch, den wir auch in der Fortschreibung der Gesetze aufgreifen.

Wir müssen aber auch kritisch sagen, dass Partizipation und Potenziale manchmal – jetzt werde ich einmal trivial – an den fünf Stufen vor dem Aufzug zur Arztpraxis enden oder an Untersuchungsgeräten, die nicht barrierefrei sind, oder an mangelhaftem Wissen über Krankheitsbilder und Behinderungsbilder sowie über Alltagssituationen von Menschen. Aber nicht alles kann die Politik regeln,

(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)

manches muss auch die Selbstverwaltung regeln und manches auch andere Gruppen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir stellen eben fest, dass auch Menschen mit Behinderung all das erleben, was die anderen Nutzer und Nutzerinnen im System erleben, nämlich ungenügende Zusammenarbeit der verschiedenen Sektoren, die nicht immer optimale Kommunikation und zusätzliche Barrieren, architektonische, aber auch die in den Köpfen, wie wir immer sagen.

Vor allem aber – den Eindruck habe ich aus Gesprächen, und den haben wir auch auf der Basis der kargen Daten, die es gibt – haben wir einen speziellen Handlungsdruck etwa in der zahnärztlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung – da wird auch etwas verändert werden – und in der Gynäkologie. Es gibt ganze fünf Praxen in der Bundesrepublik, die so spezialisiert sind, dass sie den Kinderwunsch von Frauen mit Behinderung aufzugreifen in der Lage sind. Wir sehen hinsichtlich der Belange psychisch kranker Menschen und auch bei den Menschen mit seltenen Erkrankungen Veränderungsbedarf. Das haben wir gestern Abend ja gehört.

Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz viele innovative Versorgungsformen aufgreift und stärkt und endlich auch Behandlungszentren schafft. Die Kollegin Baehrens hat das bereits erwähnt. Hier konzentriert und bündelt sich Wissen, und das verändert die Lebenswelt der Menschen. Außerdem gibt das Präventionsgesetz – nur ganz kurz, Frau Präsidentin, ich sehe Ihr Signal – die Möglichkeit, sehr stark in den Lebenswelten der Menschen etwas zu verändern. Ist denn nicht eine Werkstatt, ist denn nicht auch ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung ein Setting, in dem wir betriebliche Gesundheitsförderung stattfinden lassen können?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da müssen die Werkstätten mitmachen.

Wir können in der Kommune gemeinsam mit den Menschen und mit den Selbsthilfeorganisationen barrierefreie Räume schaffen. Wir können vieles umsetzen, was wir politisch wollen, und das werden wir auch.

Der Antrag – das wurde schon gesagt – hat viel mit einem Antrag der SPD vor einigen Jahren zu tun. Das leitet uns bei der Politik und hat uns auch schon geleitet. Diesen Weg werden wir fortsetzen.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4662625
Wahlperiode 18
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Versorgung von Menschen mit Behinderung
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