26.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 12

Clemens BinningerCDU/CSU - Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans

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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die PKK wurde 1993 durch den Bundesminister des Innern verboten. Vorausgegangen war eine ganze Reihe schwerer Straftaten, Autobahnblockaden und Gewaltaktionen, bei denen viele Polizeibeamte verletzt wurden; das weiß ich deshalb so genau, weil ich als junger Polizeibeamter bei solchen Einsätzen selber dabei war. Das Verbot wurde in den Folgejahren bestätigt, auch 2004 beim Verbot einer Teilorganisation. Allein seit 2004 gab es – Sie haben es selber gesagt, Frau Jelpke – mehr als 4 500 Strafverfahren gegen Anhänger der PKK.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Innerhalb von zehn Jahren, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]: Jedes ist eines zu viel!)

Angesichts dieser Menge und angesichts des Verbotes noch im Jahr 2004 halte ich Ihre Forderungen, das PKK- Verbot aufzuheben, die PKK von der EU-Terrorliste zu streichen und eine Amnestie für alle in der Vergangenheit ermittelten Straftäter zu erwirken, für wirklich nicht realistisch. Das ist rundherum abzulehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe Ihren Antrag genau gelesen. Sie sind in Ihrer Rede aber gar nicht so sehr auf Ihren Antrag eingegangen. In Ihrer Rede haben Sie sich mehr auf Einzelfälle konzentriert. Ich werde mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen. Entscheidend ist doch, ob die PKK auf dieser Wegstrecke irgendwann von ihrer Agenda, die sich gegen die Völkerverständigung richtet, abgerückt ist. Dazu gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2012 – das ist also noch nicht so lange her –, in dem festgestellt wurde, dass sich die PKK von ihrer Ideologie und ihrer Agenda her unverändert gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Richtig!)

Deshalb kann es nicht in Betracht kommen, dass wir das Verbot aufheben.

Ein weiterer Punkt ist: Sie heben stark auf die außenpolitischen Argumente ab. Es ist wahr, dass sich die Ereignisse in Syrien überlagern; aber das allein kann keine Rechtfertigung sein.

Herr Kollege Binninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Jelpke?

Ja, gestatte ich.

Bitte schön.

Danke, Herr Kollege. – Wenn Sie sagen, die PKK verstoße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, bzw. das Gerichtsurteil zitieren, würde ich Sie bitten, doch einmal zu konkretisieren: Was sind die konkreten Fakten Ihrer Meinung nach, die dazu geführt haben, dass dieses Urteil so gefallen ist?

Weil im Prinzip nicht erkennbar ist, dass die PKK von ihrer bisherigen Ausrichtung glaubhaft und dauerhaft abrückt.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Selbst der Erdogan sieht das anders!)

Das war wohl die Grundlage auch für dieses Urteil. Ich kenne es im Detail nicht; aber entscheidend ist, dass es ein Urteil gibt, das aus jüngster Zeit stammt und das wir nicht übergehen können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Wir sind ja in einem Rechtsstaat!)

Der Punkt ist: Wir können doch nicht so tun, als ob sich alles geändert hätte, wenn ein höchstes deutsches Gericht dies anders bewertet. Man muss das doch zumindest einbringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

So, jetzt möchte noch die Kollegin Dagdelen eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie die auch?

Ja, ich gestatte alle Zwischenfragen.

Vielen Dank. Mein Kollege Birkwald sagt: netter Kollege. – Das kann ich nur bestätigen aus der Arbeit im Innenausschuss.

Man kann trotzdem unterschiedlicher Meinung sein.

Ja, das kann man, Herr Binninger. – Ich möchte Sie trotzdem fragen, was Sie unter Völkerverständigung verstehen. Nehmen Sie vielleicht zur Kenntnis, dass es die PKK war, die sich sehr erfolgreich gegen den barbarischen „Islamischen Staat“ gestellt hat, Jesiden gerettet hat, Christen gerettet hat, Aramäer gerettet hat, andere Minderheiten in der Region gerettet hat? Wenn das nicht konkrete Völkerverständigung ist, was, bitte, verstehen Sie dann unter Völkerverständigung?

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich wäre sowieso noch darauf eingegangen. Jetzt müsst ihr euch ein bisschen verständigen: Wenn ich jedem eine Frage gestatte, dauert das. Ich mache das – kein Problem –; aber es dauert dann halt.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wird Ihre Redezeit länger!)

Ich bin darauf eingegangen, und ich wäre auch in der Folge noch darauf eingegangen: Natürlich kann man die aktuelle Entwicklung und die Überlagerung der Ereignisse in Syrien nicht ausblenden; das wäre unredlich. Es ist dort unten ein schreckliches Kriegsgebiet, wo eine Terrorarmee – des IS – Schrecken verbreitet und Verbrechen begeht, die wirklich unfassbar sind. Wenn dort Parteien sich gegen diese Terrorarmee stellen, wer wollte dagegen jetzt etwas sagen! Aber ich frage Sie ernsthaft: Kann man aus dieser Völkerverständigung, die in dem Fall ja eher Waffenhilfe bedeutet,

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja!)

ableiten – das ist doch der Punkt –, dass die PKK ihre Ideologie, ihre Agenda komplett geändert hätte?

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Darüber muss man doch zumindest nachdenken! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagt sogar Erdogan!)

Das halte ich für nicht zulässig, und das ist, glaube ich, auch nicht ausreichend.

Jetzt würde ich gern fortfahren; vielleicht erklärt sich manches.

Wieso bleiben Sie stehen, Frau Kollegin Dagdelen? – Herr Binninger, Sie waren fertig?

Ich war fertig und in Erwartung der nächsten Frage.

Okay, dann hat jetzt die Kollegin Leidig noch die Chance, etwas zu sagen, und dann geben wir dem Kollegen Binninger bitte die Chance, seine Rede zu Ende zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So lange können 2 Minuten 31 Sekunden dauern.

Ich habe mich jetzt nur gemeldet, weil Sie gesagt haben, Sie sind offen dafür. Ich möchte jetzt weniger eine Frage stellen, sondern eigentlich eine Kurzintervention machen. Und zwar finde ich es bedeutsam, dass spätestens seit Mai 2013, als Öcalan aus dem Gefängnis heraus eine sehr bedeutsame Friedensbotschaft gesendet hat, sich die Situation in der Türkei selber grundlegend verändert hat. Die Friedensgespräche zwischen Öcalan und Erdogan finden statt. Wenn Sie sich das Modell der demokratischen Autonomie in der Region Rojava, aber auch in den kurdisch verwalteten Kommunen auf der türkischen Seite anschauen, dann sehen Sie, dass dort in der PKK, in den befreundeten Organisationen, ein wirklich fundamentaler – auch was die Theorie angeht – Veränderungsprozess stattgefunden hat. Ich finde es ausgesprochen wichtig, sich auch mit diesem – ich nenne es einmal so – demokratietheoretischen Ansatz zu beschäftigen.

Öcalan, ein Mann, der seit über einem Jahrzehnt in Einzelhaft sitzt und einen großen Einfluss ausübt, hat diese Veränderungen sehr massiv vorangetrieben. Ich möchte einfach sagen: Die Position von Öcalan und der PKK hat sich fundamental verändert. Sie ist ganz stark auf Kooperation, Völkerverständigung und Friedensprozess ausgerichtet.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin, wir sind damit bei der Bewertung der Gespräche. Ich wäre jetzt ohnehin auf diese Gespräche zwischen der Türkei und der PKK zu sprechen gekommen. – Da es eine Zwischenbemerkung war, dürfen Sie sich von mir aus gerne setzen.

Ich verstehe Sie jetzt so, dass Sie Ihre Rede fortsetzen; das ist jetzt keine Antwort mehr. Dann muss ich die Zeit laufen lassen.

Irgendwann läuft die Zeit; das ist so. Das dürfen Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es kommt nachher also keine Beschwerde.

Nach unserer Bewertung dieser Gespräche ist man weit davon entfernt, dass man wirklich sagen könnte: Es gibt substanziell Bewegung in der Sache und bei der inhaltlichen Ausrichtung der Agenda. Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Das ist nicht ausreichend. Man kann diese Argumente nicht heranziehen.

Ein weiterer Punkt: Es wird immer unterschwellig suggeriert, wir würden Waffen in diese Region liefern. Dies sei doppelzüngig und scheinheilig.

(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Jetzt kommt der auch noch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen auch mit uns reden!)

Wir liefern keine Waffen an die PKK, sondern nur an die kurdische Regionalregierung, die uns zugesagt hat, sie eben nicht an die PKK weiterzugeben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

Das ist ein kolossaler Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Durfte ich Ihrer Bemerkung entnehmen, dass Sie dem Kollegen Ströbele auch die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage oder Bemerkung geben?

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen die beiden passt kein Blatt!)

Ich habe ihm in 13 Jahren noch nie eine Zwischenfrage verweigert. Damit werde ich jetzt auch nicht anfangen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Bravo! Anerkennung! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorbildlich!)

Das ist sehr nett, Herr Kollege. Ich konnte erst etwas später in den Plenarsaal kommen, weil ich noch im Untersuchungsauschuss war.

Ich habe gedacht, ich sei vorher fertig.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe hierzu auch einen Vorhalt zu machen: Sie sind Polizeibeamter von Beruf. Haben Sie als Polizeibeamter nicht ein Problem damit, dass man in Deutschland wegen einer Tätigkeit strafrechtlich verfolgt wird – es erfolgen Festnahmen, bei denen den Betroffenen manchmal alles mögliche Übel zugefügt wird, sie kommen ins Gefängnis, und es wird ermittelt –, die eigentlich nichts Böses ist? Ich denke beispielsweise an das Sammeln von Geld. Dieses Sammeln von Geld soll nur böse sein, weil das Geld für die PKK bestimmt ist.

Die Justiz und der Staat gehen also gegen Personen vor, die eigentlich etwas viel weniger Böses als die Bundesregierung tun, die nämlich Waffen liefert. Das ist ja schlimmer, als Geld für dieselbe Organisation zu sammeln. Sie können auch nicht sagen, dass Sie sie gar nicht dorthin liefern wollen. Wenn man abends vor dem Fernseher sitzt, kann man beispielsweise Berichte aus Wohnungen im Irak sehen. Dort sitzen PKK-Kämpfer mit den Peschmerga zusammen. Sie haben deutsche Waffen und rühmen sich damit, dass sie den ISIS damit in die Flucht geschlagen haben.

Das muss doch für jeden Bürger und jede Bürgerin in diesem Land – auch für Sie als Polizeibeamten – ein unerträglicher Zustand sein, weil der ganze Strafgrund dadurch infrage gestellt wird. Unsere Rechtsordnung wird damit grundsätzlich angegriffen. Man muss doch konsequent sein: Entweder ist die Unterstützung einer solchen Organisation etwas Böses und Strafbares oder nicht. Eine Unterstützung muss dann aber auch für diejenigen strafbar sein, die Waffen liefern. Oder es ist umgekehrt und so, wie wir sagen: Auch das Geldsammeln darf nicht strafbar sein, weil das im Vergleich zu Waffenlieferungen ja als wesentlich milder anzusehen ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Kollege Ströbele, bleiben Sie bitte stehen. Der Kollege Binninger darf jetzt antworten.

Ich glaube, so einfach, wie Sie manchmal die Dinge sehen, ist das Leben nicht, und so romantisch, wie Sie manches sehen, ist es eben auch nicht. Ich habe keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit dieser Strafverfahren zu zweifeln, die hier in Deutschland laufen.

Ich sage es noch einmal: Wir liefern keine Waffen an die PKK. Deshalb ist dieser Vergleich, den Sie gerade gebracht haben, nicht zulässig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir liefern Waffen an die kurdische Regionalregierung, die uns wiederum zusagt, sie nicht weiterzugeben. Ihre Verknüpfung ist deshalb so nicht zulässig.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann kam das Leben daher, und es kam anders!)

Frau Kollegin Jelpke, Sie sagen – das haben Sie in Ihrem Antrag beschrieben –, dadurch würde die Meinungsfreiheit der hier lebenden Kurden eingeschränkt und sie könnten ihre Grundrechte hier nicht in Anspruch nehmen.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ich habe Ihnen ein schönes Beispiel von einer jungen Frau geliefert!)

– Einzelfälle können wir hier schlecht bewerten. In Deutschland leben rund 800 000 Kurden. Davon haben bestimmt 95 Prozent keine Beziehung zur PKK. Diese Menschen sind in ihren Rechten und in ihrer Meinungsfreiheit überhaupt nicht eingeschränkt. So eine Behauptung aufzustellen, führt deshalb völlig in die Irre.

Wer in Deutschland unsere Verfassung respektiert, wer keine Gewalt anwendet und wer für die Völkerverständigung ist, der hat in unserem Land alle Rechte, egal woher er kommt, egal welche Nationalität er hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer aber diese Dinge nicht respektiert, wer nicht glaubhaft der Gewalt abschwört und ein Problem mit der Völkerverständigung hat, bleibt verboten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4662744
Wahlperiode 18
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans
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