Kerstin GrieseSPD - Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Bucior, der Sie extra aus Polen heute zu dieser Debatte zu uns gekommen sind! Im Juni letzten Jahres konnte ich an dieser Stelle schon zur zweiten und dritten Lesung des Ghettorentenänderungsgesetzes sprechen. Damals haben wir einstimmig die längst überfällige Änderung des Ghettorentengesetzes von 2002 beschlossen, mit der die Auszahlung der Renten an diejenigen, die in Ghettos arbeiten mussten, rückwirkend ab 1997 ermöglicht wurde. Das war nötig. Zwar hatte der Bundestag 2002 das Ghettorentengesetz beschlossen. In den Folgejahren zeigte sich aber, dass in der Anerkennungspraxis 90 Prozent der Anträge abgelehnt wurden. Erst mit einem Urteil des Bundessozialgerichtes von 2009 hat sich die Ablehnungsrate erheblich reduziert. Danach wurde immerhin die Hälfte aller bislang abgelehnten Anträge rückwirkend bewilligt. Aber diese bewilligten Renten wurden nur vier Jahre rückwirkend ausgezahlt. Das ist einer Eigenart unseres Sozialrechts geschuldet. Das haben die Betroffenen zu Recht als unfair empfunden. Mit dem Ghettorentenänderungsgesetz haben wir es dann im letzten Sommer geschafft, dass alle, die berechtigt sind, Ghettorenten zu bekommen, wählen können. Sie können bei einem Ausgleich durch Zuschläge bleiben oder sich die Ghettorente von Beginn an, ab 1997 rückwirkend, auszahlen lassen.
(Beifall im ganzen Hause)
Diese Verbesserung hat bei Betroffenen auf der ganzen Welt zu positiven Reaktionen und Erleichterung geführt. Alle Antragsteller sind seitdem über die geänderten Möglichkeiten in ihrer Heimatsprache schriftlich informiert worden, und diese Anträge werden schnell bearbeitet. Dafür ein herzliches Dankeschön an die Deutsche Rentenversicherung.
(Beifall im ganzen Hause)
Insgesamt sind bislang 55 600 Anträge auf Ghettorenten bewilligt worden. Über 2 600 neue Anträge muss noch entschieden werden. In 13 600 Fällen sind auf Wunsch der Betroffenen bzw. der Hinterbliebenen automatisch Neufeststellungen zum früheren Rentenbeginn durchgeführt worden.
Nun komme ich zu unserem heutigen Gesetz, dem deutsch-polnischen Abkommen. Leider konnten von dieser Gesetzesänderung im letzten Sommer nicht automatisch auch die in Polen lebenden Ghettorentenberechtigten profitieren; denn das deutsch-polnische Sozialabkommen von 1975 regelt, dass der Wohnsitzstaat eine Rente auch aus den Zeiten zahlen muss, die in einem anderen Staat verbracht wurden. Zeiten, die in den von den Nazis errichteten Ghettos, wo die Menschen arbeiten mussten, verbracht wurden, galten als in Deutschland zurückgelegt. Deshalb konnten bislang in Polen lebende ehemalige Ghettoarbeiter keine Rente nach dem Ghettorentengesetz beantragen.
Diese Ausnahme fanden wir, sowohl die Bundesregierung als auch das Parlament, unbefriedigend; wir haben darüber intensiv im Arbeits- und Sozialausschuss diskutiert. Das wollten wir so nicht stehen lassen. Deshalb sind wir froh, dass das zuständige Arbeits- und Sozialministerium bereits im letzten Sommer in Verhandlungen mit dem polnischen Partner eingetreten ist und in mehreren Treffen unter Hochdruck eine Lösung für die Betroffenen erarbeitet hat. Im Dezember letzten Jahres wurde dann ein Abkommen zwischen Deutschland und Polen beschlossen, das es endlich auch den in Polen lebenden ehemaligen Ghettobeschäftigten ermöglicht, Anträge auf Ghettorente zu stellen. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Ministerin Andrea Nahles und der Parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller sowie ihren Mitarbeitern für diese intensive, schnelle und wichtige Arbeit bedanken.
(Beifall im ganzen Hause)
Auch Ihnen, Herr Staatssekretär Bucior, und Ihren Mitarbeitern herzlichen Dank dafür, dass Sie den Weg dafür so schnell freigemacht haben und das Abkommen schon im Dezember letzten Jahres ermöglicht haben.
(Beifall im ganzen Hause)
Weil noch Opfer des NS-Staates und ihre Nachkommen unter uns leben, stehen wir in der Pflicht, erlittenes Unrecht anzuerkennen und zumindest eine kleine Unterstützung – von Wiedergutmachung mag ich bei diesem Thema gar nicht sprechen – zu leisten. Angesichts des Unrechts, das in den Ghettos stattfand, in denen Menschen unter schlimmsten Bedingungen leben und arbeiten mussten – die meisten waren Juden –, ist es schlimm, dass es so lange gedauert hat, bis die Ghettorenten ausgezahlt werden. Aber deshalb ist das deutsch-polnische Abkommen, das jetzt auch in Polen lebenden Ghettoüberlebenden eine Ghettorente ermöglicht, ein folgerichtiger, ein notwendiger und ein überfälliger Schritt.
(Beifall im ganzen Hause)
Für viele Menschen gerade in Osteuropa und in Israel bedeutet die Zahlung der Ghettorenten außerdem – auch wenn die Renten nicht hoch ausfallen – eine echte kleine Erleichterung ihrer Lebensbedingungen. Deshalb bedanke ich mich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir den Gesetzentwurf hier im Parlament voraussichtlich einstimmig beschließen können. Damit setzen wir ein weiteres kleines Zeichen für alle Betroffenen, dass wir ihr in den Ghettos erlebtes Leid und ihre Rechte aus der Arbeit in den Ghettos, für die sie perfiderweise Rentenversicherungsbeiträge zahlen mussten, anerkennen. Dem fühlt sich der Deutsche Bundestag verpflichtet. Ich bitte Sie, lieber Herr Staatssekretär Bucior, das als Botschaft nach Polen mitzunehmen.
Vielen Dank.
(Beifall im ganzen Hause)
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Tank von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4662830 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten |