26.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 88 / Tagesordnungspunkt 13

Azize TankDIE LINKE - Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten

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Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Marek Bucior! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsch-polnische Abkommen vom 5. Dezember 2014 war längst überfällig. Es beendet die Diskriminierung von Juden und Roma mit Wohnsitz in Polen, die bislang vom Bezug von Ghettorenten ausgeschlossen waren.

In enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen ist es uns nun gelungen, das neue Gesetz auf den Weg zu bringen – in nur acht Monaten und fraktionsübergreifend. Ich danke deshalb dem anwesenden polnischen Staatssekretär Marek Bucior und der Staatssekretärin Frau Gabriele Lösekrug-Möller für ihren persönlichen Einsatz.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber auf diesem Erfolg können wir uns nicht ausruhen. Damit sind nicht alle Ungerechtigkeiten ausgeräumt. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Stellen Sie sich vor: Sie haben in einem deutschen Ghetto gearbeitet, Sie haben die Schoah überlebt, Sie sind heute 90 Jahre alt und leben in einem Seniorenheim in Israel. Vermutlich haben Sie Anspruch auf eine Ghettorente, doch wissen Sie als Überlebende nicht einmal davon. Das ist leider eine reale Situation bei der Bearbeitung der Anträge auf Ghettorenten.

Über die systematische benachteiligende Behandlung der Antragsteller durch die deutsche Bürokratie liegen bereits wissenschaftliche Abhandlungen vor. Die Untersuchung von Kristin Platt vom Bochumer Institut für Diaspora- und Genozidforschung ist hier beispielhaft. Zahlreiche Anträge ehemaliger Ghettobeschäftigter wurden wegen angeblich mangelnder Mitwirkung nie abschließend beschieden. Neben den polnischen Betroffenen geht es hier immer noch um etwa 15 000 bis 25 000 überlebende Ghettobeschäftigte. Auch sie sind von den Ghettorenten ausgeschlossen.

Schätzungsweise sind davon etwa 45 Prozent Ghettoüberlebende in Israel, 45 Prozent in den USA und 10 Prozent in Deutschland und den EU-Nachbarländern betroffen. Diese Zahlen hat die Bundesregierung in der amtlichen Begründung des Änderungsgesetzes zum ZRBG selbst bestätigt. Darin heißt es: Von den rund 70 000 Anträgen wurde nur rund die Hälfte positiv beschieden. – Diese Personen haben offenbar noch nicht einmal einen formellen Ablehnungsbescheid bekommen. Deshalb tauchen diese Fälle in der Statistik nicht auf.

Viele ehemalige Ghettobeschäftigte wissen also nicht einmal, dass sie einen Anspruch auf Ghettorente haben, obwohl ihr Anspruch bei der Rentenversicherung bekannt ist. Solche Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dafür bedarf es keiner weiteren Gesetzesänderung. Hierzu muss der Verwaltungsvollzug des vom Bundestag einstimmig verabschiedeten ZRBG überprüft werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die positive Entwicklung bei der Auszahlung der Ghettorenten geht nicht zuletzt auf die progressive Rechtsprechung eines engagierten Richters zurück. Jan-Robert von Renesse hat sich dafür stark gemacht, die Wahrheit zu erforschen und den Holocaustüberlebenden trotz aller Widrigkeiten zu ihrem Recht zu verhelfen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Stellvertretend für alle anderen Unterstützerinnen und Unterstützer möchte ich mich bei Richter von Renesse ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Er steht für richterliche Unabhängigkeit und kritisches Denken, auch angesichts von Widerständen in der Verwaltung und der Justiz. Offensichtlich deswegen und weil er 2012 eine Petition an den Bundestag gerichtet hat, wurde er mit einem Disziplinarverfahren überzogen. Das halte ich für einen Skandal. So etwas darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Erst wenn alle Ghettobeschäftigten endlich Gewissheit über ihren Antrag auf Ghettorente haben, kann wenigstens dieser Teil deutscher Geschichte als aufgearbeitet gelten. Das vorliegende Abkommen mit Polen sollte einen ehrlichen Neuanfang beim Thema Ghettorente im Umgang mit Ghettobeschäftigten befördern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Weiß das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4662887
Wahlperiode 18
Sitzung 88
Tagesordnungspunkt Abkommen mit Polen zur Zahlung von Ghetto-Renten
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