Bernhard KasterCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Auswirkung der Ermordung des russischen Politikers Nemzow
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit etwa 17, 18 Jahren reise ich regelmäßig in unterschiedlichster Funktion – auch privat – nach Russland. In diesen Tagen muss ich oft an eine Begegnung aus dem Jahre 1998 denken: In einer Kellerwohnung in Moskau hatte sich eine Gruppe aus der Region Trier/Luxemburg spontan mit der Touristenführerin getroffen, die uns vorher die Stadt nahegebracht hat. Ich erinnere mich daran, mit welcher Begeisterung diese junge Frau davon sprach, in ihrem Land endlich wieder frei reden zu können. Sie hielt 1998 förmlich eine politische Rede. Vor allen Dingen war sie davon überzeugt – das sagte sie damals –, dass dies Russland auch nie wieder zu nehmen sei. Unsere Touristenführerin hat sich allerdings gewaltig getäuscht, und ich gebe zu, ich auch.
Der hinterhältige politische Mord an Boris Nemzow führt der Welt erneut vor Augen, in welchem innenpolitischen Klima sich Russland wieder befindet. Mehr denn je drohen gesellschaftliche Spaltungen, Ausgrenzungen und Repressalien für alle diejenigen, die dem Hauptstrom jetzt nicht mehr folgen. So viele Nachrichten, die uns aus Russland erreichen, sind schlichtweg bedrückend, vor allen Dingen für die Menschen, die eine enge Beziehung zu diesem Land haben. Wir empfinden es als bedrückend, was wir dort hören. Wir ringen in Europa mit der unberechenbar gewordenen Außenpolitik Putins.
Doch auch im Innern hat sich vieles verändert: rückwärts und nicht zum Guten gewandt. Viele Menschen in Russland leiden unter dieser Politik des letzten Jahrhunderts. Russland ist wieder an einem Punkt angekommen, an dem es eben gefährlich ist, im Land frei zu reden. Trotz des wachsenden nationalen Stolzes, den man vor Ort in Russland jetzt tatsächlich erleben kann, bin ich davon überzeugt, dass die Kreml-Spitze kein Spiegelbild der russischen Gesellschaft ist. Die russische Gesellschaft war schon seit langem und ist auch heute weiter als die Kreml-Spitze und ihr Präsident. Man muss nur mit Studenten, mit der Wirtschaft, mit NGOs, mit denen, die Zusammenarbeit miteinander pflegen, sprechen.
Im Umgang mit Russland bleiben nur Gespräche und Diplomatie. Gestern und heute sind Kollegen der russischen Duma bei uns im Bundestag zu Gast gewesen. Wir halten diesen Kontakt auch vor Ort in Russland. Wir suchen den Dialog mit Gesprächspartnern, mit unseren Kollegen in der Duma, aber auch außerhalb der Duma mit der Opposition, mit NGOs. Diese Gespräche und Kontakte mit der Opposition, mit kritischen Medien und Gesellschaftsgruppen werden wir unbeirrt fortsetzen. Bei allen Schwierigkeiten, die dabei oft entstehen, und gerade in einem Klima der wachsenden Angst müssen wir alle diejenigen stärken, die weiterhin in Russland für Freiheit und Demokratie eintreten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor zwei Jahren waren wir bereits alarmiert, als die Büros der Konrad- Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung – im Visier war auch das Goethe-Institut – durchsucht und Unterlagen und Computer beschlagnahmt wurden. Zu genau diesem Zeitpunkt war ich damals in Moskau. Ich habe erlebt, dass es meinen Gesprächspartnern aus der Wirtschaft, aus der kommunalen Administration und von NGOs schlichtweg peinlich war, was sich damals dort abgespielt hat.
Aktuell sind wir erneut mit einem solchen Fall konfrontiert. Einem Vertreter einer unserer politischen Stiftungen soll die Arbeit in Russland unmöglich gemacht werden. Mit Thomas Schneider von der Konrad- Adenauer-Stiftung hat Russland diesmal ausgerechnet den Leiter eines Projektes, das die Förderung des Dialogs zwischen der Europäischen Union und Russland zum Ziel hat, mit einem Einreiseverbot für viele Jahre belegt. Dieses Projekt wendet sich vor allem dem Jugendaustausch zu. Das ist ein ganz fatales Signal. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller, die sich abseits der großen politischen Differenzen um ein friedliches Miteinander der Völker bemühen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gerade in Anbetracht dieser großen Differenzen auf politischer Ebene gewinnt der Austausch im Bereich der Zivilgesellschaft an Bedeutung. Viele Kolleginnen und Kollegen haben das in der heutigen Debatte gesagt. Sie haben den Jugendaustausch, die Zusammenarbeit der Universitäten, die Städtepartnerschaften, all das, was wir da haben, angesprochen. In diesem Bereich gibt es angesichts der derzeitigen Situation aber viel Verunsicherung. Diejenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, müssen wir ermutigen und stärken, weil gerade dieser Austausch in dieser Zeit so wichtig ist.
Der brutale Mord an Boris Nemzow muss aufgeklärt werden. Wir müssen den Dialog mit all denjenigen stärken, die nach wie vor mutig für Demokratie, Freiheit und Völkerverständigung eintreten und für die es jetzt so viel schwerer geworden ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde, aber erst am Anfang der Klärung grundlegender Fragen, die die Rednerinnen und Redner heute, wie ich finde, in sehr eindringlicher und nachdrücklicher Weise angesprochen haben.
(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4693806 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 90 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Auswirkung der Ermordung des russischen Politikers Nemzow |