Annette Widmann-Mauz - Gesundheitsversorgung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade wenn eine Grippewelle unser Land in Atem hält, spüren wir – und das oft sogar am eigenen Leib –, wie notwendig und hilfreich eine gute und wohnortnahe medizinische Versorgung ist. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe macht aktuell diese Erfahrung; deshalb kann er heute nicht hier sein. Ich wünsche ihm von dieser Stelle aus gute Besserung und baldige Genesung.
(Beifall)
Die Bundesregierung und die Große Koalition haben das gemeinsame Ziel, die gute medizinische Versorgung in diesem Land auch weiterhin sicherzustellen: gut erreichbar in der Stadt und auf dem Land, qualitativ hochwertig in der einzelnen Praxis, im Krankenhaus, beim Haus- und beim Facharzt. Das unterstelle ich übrigens auch der niedergelassenen Ärzteschaft in Deutschland und, an ihrer organisierten Spitze, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Insoweit bringt es die KBV in diesen Tagen auf den Punkt, wenn sie in ihren Zeitungsanzeigen schreibt:
Genau das, meine Damen und Herren, ist das Problem, und das gehen wir mit diesem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz an. Unbestritten: Wir verfügen in unserem Land über eine breite medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Aber wir müssen jetzt handeln, damit das auch in Zukunft so bleibt.
Die demografische Entwicklung, die unterschiedliche Situation bei der Versorgung in Ballungszentren, in strukturschwachen und in ländlichen Regionen und die Möglichkeiten der Behandlung stellen uns vor neue Herausforderungen. Wir haben das ehrgeizige Ziel, die medizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfest zu machen. Nähe, meine Damen und Herren, soll dabei zu keinem Fremdwort werden. Das setzt voraus, dass wir genügend niedergelassene Ärzte haben und dass sie dort praktizieren, wo sie auch gebraucht werden. Das erfordert eine passgenaue Verteilung.
In ländlichen Räumen bereitet uns vielerorts nicht erst die Facharzt-, sondern schon die Hausarztversorgung Sorgen. Nicht wenige ältere Hausärzte haben Mühe, eine Praxisnachfolge zu finden. Ich sage ganz deutlich: Wir können hier nicht zusehen und weiter abwarten, sondern hier muss gehandelt werden, und zwar schon bevor eine Unterversorgung eingetreten ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir wollen deshalb die Anreize für Ärztinnen und Ärzte zur Niederlassung verstärken und weiter verbessern, indem wir zukünftig den Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit geben, mit vielfältigen Maßnahmen vom Stipendium über die Weiterbildungsfinanzierung bis hin zur Niederlassungshilfe einen Beitrag dazu zu leisten, dass Unterversorgung erst gar nicht entsteht und auch im ländlichen Raum gute, angemessene Verhältnisse im Hinblick auf die Niederlassung geschaffen und gestärkt werden. Dazu können sie zukünftig mithilfe von zusätzlichen Mitteln der Kassen in eigener Regie in ihrer Region Strukturfonds einrichten. Außerdem können sie Ärzten Zuschläge für ganz konkrete Leistungen bezahlen, etwa für Hausbesuche.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der niedergelassene freiberufliche Arzt ist das Rückgrat unserer ambulanten Versorgung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Hausärzte und Fachärzte sind wichtige Lebensbegleiter ganzer Familien, nicht selten über Generationen hinweg. Aber eine gute Versorgung gerade im ländlichen Raum und die sich ändernden Krankheitsbilder in einer älter werdenden Gesellschaft verlangen, dass ambulante und stationäre Versorgung besser miteinander verzahnt sind. Gute Rahmenbedingungen für die Einzelpraxis müssen auch einhergehen mit einer verbesserten Möglichkeit gemeinschaftlicher Berufsausübung, der verstärkten Förderung von Praxisnetzen und erweiterten Möglichkeiten von medizinischen Versorgungszentren. Das ist keine Abkehr von der niedergelassenen Praxis, keine „Medizinindustrie“ oder gar eine Absage an den freien Arztberuf. Im Gegenteil: Das entspricht in immer stärkerem Maße den Wünschen junger Mediziner und vor allem junger Medizinerinnen an die Berufsausübung. Das ist für die Versorgung der Patienten oftmals sehr hilfreich, weil Wege gespart und Befunde schneller abgeklärt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen, meine Herren, ich weiß, dass solche Gedanken in bestimmten ärztlichen Kreisen Sorgen auslösen und bei manchem Funktionär zu reflexartigen Reaktionen führen. Aber nicht hohe Hürden zwischen den Berufsgruppen und den Sektoren, sondern die gemeinsame Verantwortung für die Patienten sollte doch im Mittelpunkt der Debatte stehen. Deshalb dürfen wir die Augen auch nicht vor der Tatsache existierender Überversorgung verschließen. Es ist ja gerade die paradoxe Situation, dass es auch die zuhauf gibt. Manche Kassenärztliche Vereinigung hat uns vorgezählt, wie viele Praxen durch das neue Gesetz angeblich dichtmachen müssten; 25 000 nennt die KBV für ganz Deutschland. Das ist blanker Unsinn.
(Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Denn es geht nicht um die Schließung von Arztpraxen, sondern es geht darum, ob ein Kassenarztsitz nachbesetzt wird, wenn der bisherige Praxisinhaber zum Beispiel aus Altersgründen ausscheidet. Auch in überversorgten Gebieten wird es dann aber immer von der konkreten Versorgungs- und Bewerberlage abhängen, ob eine Praxis nachbesetzt wird oder nicht.
Konkret heißt das: Wenn es zum Beispiel in einem Gebiet in der gesamten Arztgruppe der Fachinternisten eine Überversorgung gibt, darunter nur zwei mit Schwerpunkt Rheumabehandlung, und einer dieser beiden aus Altersgründen ausscheidet, dann muss diese Praxis für die Versorgung der Patienten natürlich nachbesetzt werden. Wenn aber zum Beispiel in einer großen deutschen Stadt in bester Lage fußläufig acht bis zehn Kardiologen ihre Praxis haben und einer aus Altersgründen ausscheidet, dann mag das Bild durchaus ein anderes sein. Aber darüber muss vor Ort entschieden werden, und das, liebe Kassenärztliche Vereinigungen, liegt in Ihrer Verantwortung; denn die Ärzte selbst legen zusammen mit den Kassen in den Zulassungsausschüssen vor Ort fest, wann eine Praxis nachbesetzt wird und wann nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn es nicht nur ein PR-Gag sein soll, dass sie „für Ihr Leben gern“ arbeiten, dann bedeutet das auch, dass sie zumindest dort arbeiten, wo die Patienten leben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ähnliches gilt für die Einrichtung der Terminservicestellen zur Vergabe von Facharztterminen. Bereits nach geltendem Recht sind die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, eine angemessene und zeitnahe fachärztliche Versorgung zu gewährleisten. Trotzdem berichten gesetzlich versicherte Patienten leider immer wieder über teilweise lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin. Künftig sollen sich Versicherte darauf verlassen können, dass sie nach Überweisung durch den Hausarzt die fachärztliche Behandlung innerhalb von vier Wochen erhalten, sei es beim niedergelassenen Facharzt oder schließlich in einem Krankenhaus. Damit auch hier keine Legenden entstehen: Die Regelung gilt nicht bei planbaren oder verschiebbaren Routineuntersuchungen oder gar bei Bagatellerkrankungen, und es bleibt bei der freien Arztwahl. Denn es geht darum, dass jeder, der eine ärztliche Untersuchung bzw. Behandlung wirklich braucht, diese auch schnell bekommt. Die Terminservicestelle vermittelt einen Facharzt in zumutbarer Entfernung, kann aber nicht den Termin beim Wunscharzt garantieren. Doch in Fällen, in denen eine diagnostische Abklärung oder Behandlung dringend erforderlich ist, überwiegt meist der Wunsch, überhaupt einen Arzt zu sehen. Unter Wahlfreiheit verstehen wir auch, dass der Patient diese Möglichkeit hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele weitere wichtige Aspekte in diesem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, unter anderem einen Innovationsfonds, bei dem wir viel Geld in die Hand nehmen, damit das zukunftsfähige Gesundheitswesen in unserem Land auch weiterhin Bestand hat.
(Beifall des Abg. Thomas Stritzl [CDU/CSU])
Wie in der Wirtschaft gilt auch im Gesundheitswesen: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir wollen, dass dieses Gesundheitswesen zukunftsfest bleibt. Dabei bauen wir auf Ihre Unterstützung, und wir freuen uns auf die parlamentarische Diskussion zu diesem wichtigen Gesetz für die Patienten in unserem Land.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege Harald Weinberg das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4696103 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 91 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheitsversorgung |