Georg NüßleinCDU/CSU - Gesundheitsversorgung
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wenn der Redner der größten Oppositionsfraktion hier nichts anderes macht, als die alte Kampflinie zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung erneut zu ziehen, also gar nicht zum Thema spricht,
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es gibt einen Antrag dazu! Den haben Sie nur nicht zur Kenntnis genommen! Das ist das Problem!)
lässt das nur einen Schluss zu: Der vorliegende Gesetzentwurf muss gut sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie haben auch etwas Richtiges gesagt, Herr Weinberg, nämlich dass wir uns in einer bemerkenswert guten Finanzsituation befinden. Die Finanzreserven im Gesundheitsfonds betragen 12 Milliarden Euro und die Reserven der Krankenkassen etwa 16 Milliarden Euro. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie würde das veranlassen, die Ausgabendisziplin aufzukündigen. Wir nutzen die Chance, über Verbesserungen der Versorgung zu diskutieren und dazu etwas auf den Tisch zu legen.
Nun hat Herr Terpe die Kleinteiligkeit in diesem Gesetzentwurf gerügt. Er hat diesen Entwurf erfreulicherweise aber auch gelobt. Natürlich wird mit diesem Gesetzentwurf an vielen Stellen eingegriffen. Der Kollege Lauterbach hat recht, wenn er sagt: Wir haben eine ausgesprochen gute Versorgung. Wer das nicht glaubt, kann das an der sicheren Rückführung aus dem Ausland im Krankheitsfall ablesen. Denn wenn jemand im Ausland krank wird, hat er nur noch einen Gedanken: Wie komme ich zurück nach Deutschland?
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das kommt doch jedes Mal! Vielleicht will man einfach zurück zur Mutter!)
– Schreien Sie doch nicht so laut! Hören Sie zu; das wäre nicht falsch. Vielleicht lernen Sie tatsächlich noch etwas.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist wie Bullshit-Bingo! Diese Geschichte höre ich zum zehnten Mal!)
– Sie ist aber wahr. – Es geht darum, dafür Sorge zu tragen, dass es auf dem Land wieder mehr Ärzte gibt und dass Kinderärzte dahin kommen, wo die Versorgung nicht ganz so gut ist. Dazu haben wir einen umfassenden Katalog von Anreizen und finanzieller Unterstützung entwickelt.
Anders als momentan in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, geht es uns um die Stärkung der freiberuflich tätigen, niedergelassenen Ärzte. Dieses Modell hat sich seit vielen Jahrzehnten bewährt und hat dazu beigetragen, dass die Patienten in Deutschland freie Arztwahl und freien Zugang zur ambulanten medizinischen Versorgung haben. Es gibt überhaupt keinen Anlass, dies aufzugeben und etwa die ambulante fachärztliche Versorgung in die Krankenhäuser zu verlagern; das möchte ich ganz ausdrücklich sagen, damit hier nicht etwas anderes behauptet wird.
Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Bereitschaft der jungen Ärzte, sich niederzulassen, zurückgeht, weil sie eine andere Vorstellung von dem haben, was man Work-Life-Balance nennt. Da hat sich etwas getan. Auch das berücksichtigen wir in diesem Gesetzentwurf. Wir haben schon vorher die Errichtung Medizinischer Versorgungszentren oder von Einrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen erleichtert. Jetzt gehen wir weiter und geben auch den Kommunen die Chance, Ärzte anzustellen. Wir sind nämlich der festen Überzeugung, dass die Kommunalpolitiker vor Ort die Versorgungsprobleme am besten kennen und die größte Motivation haben, die Probleme zu lösen. Deswegen werden wir ihnen dazu die Möglichkeit geben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das löst das Problem allerdings nur dann, wenn auch ein Arzt gefunden wird, der hier mitmacht. Deshalb versuchen wir, junge Ärzte für bestimmte Bereiche, in denen Unterversorgung besteht, zu gewinnen.
Es gibt aber – auch das muss man zugeben – einiges, was man nicht gesetzlich regeln kann, zum Beispiel die Einstellung gegenüber einer Arbeit auf dem Land und die verbreitete falsche Erwartung, dass die Stadt angeblich mehr an Lebensqualität zu bieten hätte. Das kann man nicht gesetzlich regeln. Aber wir können die Voraussetzungen für eine Arbeit auf dem Land verbessern und dafür sorgen, dass eine ärztliche Tätigkeit im ländlichen Raum auch ökonomisch wieder interessant wird. Wir haben das ganz zu Beginn der Legislaturperiode dadurch gemacht, dass wir die gesetzlichen Grundlagen für die Hausarztverträge neu geregelt haben, damit der Hausarztberuf für den potenziellen Nachwuchs wieder attraktiv wird, und das wirkt auch tatsächlich.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun geht es darum, die Hausarztversorgung wohnortnah zu sichern. Der ärztliche Versorgungsbedarf lässt sich aber nicht alleine mit Verhältniszahlen messen, sondern er hängt auch von den Bedürfnissen und der Wahrnehmung der Patienten ab.
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr richtig, aber da macht ihr nichts!)
Dabei spielen Aspekte wie die Erreichbarkeit unter anderem mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Wartezeiten bei bestimmten Arztterminen eine entscheidende Rolle.
Die derzeit geltende Bedarfsplanung ist in Teilen zu schematisch und berücksichtigt die regionalen Anforderungen nur unzureichend.
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist seit langem bekannt, und ihr macht nichts!)
– Freuen Sie sich doch, wenn ich Ihnen recht gebe, Herr Terpe. –
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich sage: Guter Gedanke, aber ihr müsst etwas machen!)
Deswegen müssen wir uns im Fortgang unserer Politik noch einmal damit befassen, wie wir damit umgehen.
Auch die Kritik, die wir bei der Regelung zum Aufkauf von Arztpraxen erfahren haben, hängt damit zusammen. Aber wir haben keine Mussbestimmung geschaffen, wie der Kollege Lauterbach behauptet hat, sondern es ist eine Sollregelung. Das hängt also auch von der Zustimmung der Ärzteschaft ab; daran wollen wir nichts ändern.
Wir werden im parlamentarischen Verfahren noch einmal darüber diskutieren müssen, ab wann ein Gebiet überversorgt ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das müssen wir noch einmal entsprechend debattieren, und ich glaube, dass wir zu den richtigen Lösungen kommen werden.
Herr Kollege Nüßlein, lassen Sie kurz vor Schluss Ihrer Rede noch eine Zwischenfrage oder -bemerkung zu?
Von wem denn?
Von Frau Klein-Schmeink.
Okay.
Bitte schön.
Danke schön. – Herr Nüßlein, Sie haben auf die Problematik der Versorgungsplanung hingewiesen. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf eine sehr deutliche Regelung vorgesehen, nämlich dass Praxissitze nicht wieder besetzt werden können, wenn die Unterversorgungsfeststellung überschritten wird.
Sie haben die Probleme schon angeführt. Es liegen in der Tat keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, wie sich die Versorgung in den Regionen abbildet. Wir haben vielmehr einen historischen Aushandlungsstand. Das wird beispielsweise im Bereich der Psychotherapeuten sehr deutlich, wo man einfach die Versorgung an einem bestimmten Stichtag als Hundertprozentversorgung definiert und das danach nicht weiterverfolgt hat.
Wie wollen Sie jetzt damit umgehen – Sie haben eine Diskussion darüber angekündigt, um zu einer sachgerechteren Lösung zu kommen –, wenn Sie sich gar nicht darum bemühen, ein anderes Kriterium für die Versorgungsplanung auf den Weg zu bringen? Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nämlich nicht die Rede; Sie haben vielmehr eine Sollregelung geschaffen, nach der Praxissitze nicht wieder besetzt werden können. Sie haben aber keine Regelung vorgesehen, derzufolge Sie sich um bessere Versorgungswerte bemühen, indem Sie die Krankheitslast in einer Region erfassen und die demografischen Anforderungen berücksichtigen.
Haben Sie vor, das in dem Gesetz zu regeln? Das würde uns freuen. Es würde uns auch sehr freuen, wenn Sie insbesondere die Frage der psychotherapeutischen Versorgung aus diesem Kontext ausklammern würden. Denn das, was derzeit dazu im Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist geradezu aberwitzig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, zum einen eröffnen wir heute das parlamentarische Verfahren. Das heißt, es wird genau diese Diskussion geben, die Sie angesprochen haben. Zum anderen sind wir nun an dem Punkt, an dem wir regeln können, dass nicht 110 Prozent Überversorgung als Maßstab zugrunde gelegt werden, sondern dass wir, wenn die Basis nicht ganz exakt ist, das meinetwegen auf 150 Prozent ausweiten.
(Zuruf von der SPD: Bloß nicht!)
– Das ist nur ein Beispiel. – Wir können es auf 150 Prozent ausweiten, um einen entsprechenden Abstand zu haben.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie es gemerkt? Der Koalitionspartner geht nicht mehr mit Ihnen mit! – Weiterer Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ich verstehe Sie nicht.
Ich möchte noch einmal betonen: Es handelt sich um eine Einzelfallregelung, die genau die Aspekte berücksichtigt, die Sie gerade angesprochen haben. Wir gehen davon aus, dass die damals angenommenen 100 Prozent nicht mehr zutreffen, wenn beispielsweise Patienten aus dem Nachbarlandkreis in eine Praxis kommen. Solche Faktoren wird man selbstverständlich berücksichtigen. Insofern meine ich, dass das Vorhaben zwar gut ausgestaltet ist, dass wir aber insbesondere dieses Problem kurzfristig dadurch lösen können, dass wir die Überversorgung anders definieren als bisher im Gesetzentwurf.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss aber noch diskutiert werden!)
Diese Vorschläge jedenfalls werden wir prüfen.
Was die Terminservicestellen angeht, möchte ich deutlich unterstreichen, dass diese das Thema sind, das die Leute draußen am meisten bewegt. Da werden wir am Erfolg gemessen. Deshalb sollten wir alles daransetzen, dass diese tatsächlich Wirkung entfalten. Aber wir sollten uns im parlamentarischen Verfahren noch einmal Gedanken machen, wie man in dieses System das einbaut, was in verschiedenen Regionen inzwischen schon funktioniert.
Ich glaube, dass wir beim Innovationsfonds mittlerweile eine gute Lösung gefunden haben. Wir werden das so austarieren, dass wir nicht nur jährlich 300 Millionen Euro zur Verfügung stellen, sondern dass am Schluss auch etwas dabei herauskommt, dass die Projekte richtig ausgewählt werden und dass ein Expertengremium eingesetzt wird, das das Notwendige tut. Wir sind auch da auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die Beratungen über ein ausgesprochen gutes Gesetz, das die Versorgung in Deutschland ein ganzes Stück voranbringen wird.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4696177 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 91 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheitsversorgung |