Sabine DittmarSPD - Gesundheitsversorgung
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, hat zum Ziel, die medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu sichern. Dabei sind mir drei grundsätzliche Aspekte besonders wichtig:
Erstens. Die medizinische Versorgung in Deutschland muss flächendeckend, bedarfsgerecht und gut erreichbar sein. Das gestaltet sich in ländlichen Regionen immer schwerer.
Zweitens. Die medizinische Versorgung muss qualitätsorientiert, evidenzbasiert und leitliniengerecht sein. Die Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Diagnostik und Therapie nur dem gesundheitlichen Wohl dienen und nicht ökonomisch begründet sind.
Drittens. Wir müssen dem Wunsch der Patienten nach einer vernetzten, nach einer koordinierten Behandlung ohne Versorgungsbrüche gerecht werden. Auch das wird angesichts des spezialisierten Behandlungsangebotes immer schwieriger.
Deshalb ist es legitim und auch notwendig, wenn wir uns der bedarfsgerechten Verteilung der Ärztinnen und Ärzte annehmen. Wenn ich in meine Heimatregion schaue, dann muss ich feststellen, dass es der Kassenärztlichen Vereinigung immer schwerer fällt, dem Ganzen gerecht zu werden; das haben uns schon Vorredner bestätigt. Bei mir zu Hause, in Schweinfurt-Nord, gibt es seit über einem Jahr eine dokumentierte anhaltende Unterversorgung; zehn Hausarztsitze sind nicht besetzt, stehen also zur Verfügung. Nebenan, im Planungsbereich Schweinfurt-Süd, gibt es nicht nur eine Regelversorgung, sondern sogar eine Überversorgung. Deshalb, denke ich, ist es notwendig, dass wir uns mit einer gleichmäßigen Verteilung beschäftigen, dass wir uns der Unterversorgung und der Überversorgung widmen.
Gegen die Unterversorgung haben wir in der Vergangenheit schon einiges getan. Ich nenne hier folgende Punkte: Flexibilisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit, Einrichtung eines Strukturfonds, Aufhebung der Residenzpflicht, Aufhebung von Budgetgrenzen. Auch durch die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzentwurfs werden die Einsatzmöglichkeiten erweitert. Das geht von einer Erweiterung des Strukturfonds bis hin zur Delegation. Wir geben den Kassenärztlichen Vereinigungen also Werkzeuge an die Hand. Aber wir erwarten von diesen auch, dass sie diese Werkzeuge zum gezielten Abbau von Überversorgung einsetzen. Aus diesem Grund werden wir sie in die Verantwortung nehmen.
Wir werden darauf Wert legen, dass man sich in Planungsbereichen, die zu über 110 Prozent versorgt sind, bei einer Nachbesetzung intensiv mit der Versorgungssituation vor Ort auseinandersetzt, dass man genau hinschaut, welchen Versorgungsauftrag eine Praxis wahrnimmt, wie die Patientenströme aus anderen Planungsbereichen sind, welche spezielle Qualifikation man braucht; die Staatssekretärin hat die Rheumatologen schon angesprochen. Danach wird entschieden. Braucht man eine Praxis aus Versorgungsgründen, dann wird sie nachbesetzt. Braucht man eine Praxis aus Versorgungsgründen nicht, dann wird sie aufgekauft. Das ist kein Automatismus, das ist auch keine Rasenmähermethode, die bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent die ärztliche Versorgung plattmacht, sondern das ist die Übernahme von Verantwortung zur Gewährleistung eines gerechten Zugangs zur ärztlichen Versorgung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Deshalb verstehe ich – lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen – den kollektiven Aufschrei aus der verfassten Ärzteschaft nicht. Ich halte ihn für nicht angebracht. Er verunsichert Patienten und Ärzte gleichermaßen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Debatte um Über- und Unterversorgung hat gezeigt, dass die Bedarfsplanungsrichtlinie nicht den tatsächlichen Versorgungsbedarf widerspiegelt. Ich schließe mich da dem Sachverständigenrat an, der eine empirische Studie zur Bedarfsermittlung einfordert, damit wir neben Demografie Morbidität, sozioökonomische Faktoren, Infrastruktur sowie konkrete Versorgungsleistungen berücksichtigen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich muss hier sagen, dass ich dem Bundesrat für seinen Antrag zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung dankbar bin. Auch begrüße ich es, dass die Bundesregierung zugesagt hat, diesen zu prüfen. Die Aussagen des Kollegen Nüßlein hier am Pult geben mir ein bisschen Hoffnung, dass wir vielleicht auch ohne Vereinbarung im Koalitionsvertrag bei diesem Punkt weiterkommen werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die ganze Planung bringt uns aber nichts, wenn es uns nicht gelingt, auch die jungen Mediziner für die ambulante Tätigkeit zu begeistern. Die klassische Einzelkämpferpraxis hat an Attraktivität verloren. Die jungen Kolleginnen und Kollegen möchten im Team arbeiten. Sie möchten geregelte Arbeitszeiten, und sie achten auf ihre Work-Life-Balance. Genau deshalb werden wir nicht nur neue, innovative, sektorenübergreifende Versorgungsformen fördern, sondern auch kooperative Versorgungsformen wie MVZ, Medizinische Versorgungszentren, sowie Ärztenetze entbürokratisieren und flexibilisieren.
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Schwerpunkt dieses Gesetzes eingehen, nämlich auf die Förderung der Allgemeinmedizin. Wir gestalten sie nicht nur verlässlicher, rechtssicherer, sondern wir entwickeln sie weiter. Es ist schon erwähnt worden, dass wir die Zahl der zu fördernden Stellen auf 7 500 erhöhen werden. Auch werden wir festlegen, dass die Vergütung des Weiterbildungsassistenten einer tarifvertraglichen Vergütung im Krankenhaus zu entsprechen hat. Auch das ist eine wichtige Maßnahme. Ich möchte hier aber in aller Deutlichkeit sagen: Es muss uns dann auch gelingen, diese 7 500 Stellen mit weiterbildungswilligen Medizinern zu besetzen. Das Interesse an Weiterbildung wird bereits im Studium geweckt. Deshalb sehe ich hier dem Start der Arbeitsgruppe „Masterplan Medizinstudium 2020“ mit einer gewissen Ungeduld entgegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/CSU)
Das Gesetz regelt noch eine ganze Menge mehr, zum Beispiel den Zugang zur Versorgung und die Leistungsausweitung. Darauf wird meine Kollegin Hilde Mattheis anschließend noch eingehen.
Abschließend stelle ich fest: Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher der Dynamik, der Verbesserung und der Stärkung der Versorgung gerecht wird. In der parlamentarischen Debatte wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch zu diskutieren sein, wie man manches praxistauglicher oder auch bürokratieärmer gestalten kann. Auf diese Debatte freue ich mich.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jens Spahn erhält nun das Wort für die CDU/CSU- Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4696225 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 91 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheitsversorgung |