05.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 91 / Tagesordnungspunkt 3

Jens SpahnCDU/CSU - Gesundheitsversorgung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Versorgungsstärkungsgesetz, über dessen Entwurf wir heute in erster Lesung beraten, fügt sich in eine Reihe von gesetzlichen Veränderungen ein, die wir in den letzten Jahren begonnen haben, um die ärztliche bzw. die medizinische Versorgung insgesamt im ländlichen Raum und in anderen Gebieten – durchaus auch in bestimmten Stadtteilen; es ist nicht nur ein Problem des ländlichen Raums – zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie in Zukunft auf hohem Niveau bleibt.

Dabei müssen wir feststellen, dass Geld allein – man könnte sagen: dann zahlt doch mehr auf dem Land – das Problem nicht löst. Ein Hausarzt zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern kann heute in ländlichen Regionen richtig gut verdienen. Trotzdem ist es schwierig, jemanden zu finden, der sagt: Ich will deine Arztpraxis übernehmen. – Warum? Weil es offensichtlich nicht nur darum geht, viel Geld zu verdienen, sondern auch darum, unter welchen Bedingungen Geld verdient wird: Wie oft habe ich am Wochenende Notdienst? Wie weit muss ich fahren, wenn ein Hausbesuch ansteht? Sind es 30 oder 40 Kilometer? Bin ich der einzige Arzt weit und breit, der praktisch rund um die Uhr im Einsatz ist? – Deswegen reicht es nicht, nur über Geld zu reden, sondern wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Es gibt nicht den einen Hebel, mit dem das Problem behoben werden kann. Genau da gehen wir mit diesem Gesetz heran.

Herr Weinberg und Herr Terpe, Sie werfen uns vor, dass das Gesetz ein Bündel an Maßnahmen beinhaltet. Dazu muss ich sagen: Wenn das ein Vorwurf sein soll, dann haben Sie das Problem nicht verstanden. Es gibt nicht die eine Lösung, sondern wir brauchen breit angelegt viele verschiedene Maßnahmen, um die Tätigkeit im ländlichen Raum wieder attraktiv zu machen. Wenn Sie uns das vorwerfen, haben Sie schlicht und ergreifend das Problem nicht verstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir gehen eine ganze Reihe von Themen an:

Die Notdienste: Wir wollen durch klarere Absprachen eine bessere Kooperation mit den Notfallambulanzen der Krankenhäuser und dem Apothekennotdienst erreichen.

Die Hausbesuche: Wir wollen es möglich machen, dass nicht nur in unterversorgten Regionen, sondern in allen Regionen entsprechend ausgebildete Pflegekräfte zu Routinehausbesuchen geschickt werden, zum Beispiel wenn es um die Messung von Blutdruckwerten oder das Wechseln eines Verbandes geht.

Wir machen es möglich, auch in anderen Bereichen angestellt tätig zu sein; denn viele der jungen Ärztinnen und Ärzte wollen nicht auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht selbstständig und für die Praxis verantwortlich sein. Deswegen erleichtern wir den Kommunen das Betreiben von Medizinischen Versorgungszentren, obwohl – auch das will ich an dieser Stelle sagen – es für uns einen hohen Wert hat, dass es selbstständig tätige Haus- wie Fachärzte gibt. Das ist ein Beleg für die Qualität und das Engagement im Bereich der ambulanten Versorgung. Das ist ein Qualitätsmerkmal der Versorgung in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Weinberg, die Menschen beschäftigt dieses Thema. Ich komme aus einem Dorf mit 3 700 Einwohnern. Dort gibt es den Arzt, den Apotheker, den Pastor, den Kaufmann und den Lehrer, die das gesellschaftliche Leben und die Infrastruktur im Dorf mitbestimmen.

(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Den Bundestagsabgeordneten! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

– Sie können darüber Witze machen; aber damit zeigen Sie nur, dass Sie das dörfliche Leben nicht kennen. Ob man im Dorf zum Hausarzt gehen kann, ob man vor Ort die Dinge des täglichen Lebens einkaufen kann und ob es eine Grundschule gibt, das sind Fragen, die die Menschen beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD])

Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt. Sie haben hier minutenlang über die Tagesordnung des heutigen Tages, über Hartz IV und über das Verfassungsgericht geredet. Aber zu der Versorgung im ländlichen Raum, zu dem Thema, das die Menschen beschäftigt, haben Sie kein Wort gesagt.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Haben Sie bei Frau Wöllert nicht zugehört?)

Das zeigt einmal mehr, dass Sie danebenliegen, wenn es um die wirklichen Probleme geht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt auch für Ihre Äußerungen zur privaten Krankenversicherung. Dabei ist wieder Ihre Vorstellung von Gleichheit deutlich geworden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Feindbilder!)

Das ist Sozialismus: Wenn alle gleich lang warten und gleich wenig da ist, dann ist es am besten und am gerechtesten. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von guter Versorgung. Wir wollen nicht, dass es überall gleich schlecht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir in manchen Bereichen lange Wartezeiten für gesetzlich Versicherte haben, weil 10 Prozent der Bevölkerung privat versichert sind! Glauben Sie ernsthaft, dass das das eigentliche Problem ist?

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber nur in Deutschland! Andere Länder haben dann schon den Sozialismus!)

Das zeigt doch nur, dass Sie in ideologischen Schubladen denken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen am Ende schauen: Wie können wir die Situation für gesetzlich Versicherte verbessern? Wo liegt das Problem? In bestimmten Regionen ist das Problem, dass es in manchen Bereichen objektiv zu wenige Fachärzte gibt. Bei uns im Münsterland fehlen zum Beispiel Neurologen. Da hilft es nichts, wenn man die Bürgerversicherung einführt. Da hilft es, wenn man Krankenhäuser, die angestellte Neurologen haben, öffnet, sodass diese Neurologen die Patienten behandeln können. Die Patienten wollen einen Arzt sehen. Ihnen ist es egal, ob er beim Krankenhaus angestellt ist oder in einer Praxis tätig ist. Solche Instrumente müssen wir in den Blick nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir gehen auch das größte Aufregerthema im deutschen Gesundheitswesen an. Es geht um die Frage: Wie lange warte ich auf einen Facharzttermin? Natürlich weiß ich, dass Sie einem Deutschen dazu sagen können: Wenn du in Schweden oder in den Niederlanden leben würdest, müsstest du deutlich länger warten; dort würdest du fünf oder sechs Monate warten. Darauf antwortet derjenige aber: Ich vergleiche mich nicht mit den Menschen in Schweden oder in den Niederlanden, sondern mit meinem Nachbarn; der ist Beamter und hat übermorgen einen Termin. – Und damit hat er recht.

(Beifall der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU])

Das Problem lösen Sie aber nicht, indem Sie den Beamten auch vier Wochen warten lassen.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Haben wir gar nicht gesagt! Alle gleich gut, nicht alle gleich schlecht!)

Das Problem lösen Sie, indem Sie dem gesetzlich Versicherten helfen, schneller einen Termin zu bekommen. Deswegen richten wir Terminservicestellen ein, an die man sich wenden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Unterstelle deinem Kontrahenten Dummheit und argumentiere dagegen an!)

Hier müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen mithelfen, damit man zeitnah einen Termin in der Region bekommt. Wir sorgen außerdem für eine größere Flexibilität zwischen dem niedergelassenen und dem stationären Bereich.

Abschließend möchte ich auf einen Punkt eingehen, den die Kollegin Dittmar gerade angesprochen hat. Ich glaube, in dem ganzen Bündel von Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben und in Zukunft noch auf den Weg bringen werden, fehlt bisher ein entscheidender Punkt. Dabei geht es um das Studium: Wer studiert mit welchem Ziel Medizin? Ich finde, bei dem teuersten Studium, das wir auf Steuerzahlerkosten finanzieren – das ist das Medizinstudium –, können wir fragen: Kommt am Ende das heraus, was diese Gesellschaft braucht?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir müssen gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der Länder – weil wir als Bund das nicht alleine regeln können – darüber reden, ob die Abiturnote das alleinige Kriterium für das Studieren sein kann. Wir finden: Nein, wir müssen auch schauen, ob jemand vorher beispielsweise in einem Pflegeberuf oder als Rettungssanitäter gezeigt hat, dass er sich um Menschen kümmern möchte. Es geht um die Frage: Wie viel Praxisbezug gibt es während des Studiums? Sieht man während des Studiums oder während der Weiterbildung etwas anderes als die Uniklinik? Kann man aktiv erleben, dass die Arbeit als Hausarzt oder in einer kleinen Klinik etwas Gutes, etwas Erfüllendes ist? Das Thema Studium ist also noch ein entscheidender Punkt; da fehlt noch etwas. Deswegen ist es gut, dass wir uns mit den Ländern darauf geeinigt haben, in diesem Jahr auch darüber zu reden.

Sie sehen also: Während Sie hier große ideologische Reden halten, gehen wir die Themen an, die die Menschen beschäftigen. Das tun wir genau mit diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wirtschaftsflügel der Union!)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4696246
Wahlperiode 18
Sitzung 91
Tagesordnungspunkt Gesundheitsversorgung
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