05.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 91 / Zusatzpunkt 3

Michelle MünteferingSPD - Aktuelle Stunde zur Beschäftigungssituation von Frauen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage mal, wie es ist:

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frauen wissen alles, und Frauen können alles,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

alles, was man für Berufe braucht. Sie müssen aber auch dürfen. Dafür braucht es eben auch das Recht, das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und Berufe, in denen besonders viele Frauen arbeiten, brauchen auch die gleiche Wertschätzung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In den Jahren meiner praktischen Ausbildung im Kindergarten habe ich mir oft gewünscht, dass die Kindergärtnerinnen mal so auf die Straße gehen, wie die Chemie- und Metallfacharbeiter das ab und zu tun,

(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])

um deutlich zu machen, was für uns selbstverständlich ist: Es sind die Frauen in den sozialen Berufen, die sich um alte Menschen in den Senioreneinrichtungen und um Kinder in den Kitas und in den Grundschulen kümmern. Es gibt mittlerweile Gegenden in Deutschland, in denen es sich Kindergärtnerinnen gar nicht mehr leisten können, da zu wohnen, wo sie arbeiten.

(Elke Ferner [SPD]: Ja!)

Sie nehmen deshalb weite Anfahrtswege in Kauf.

Altenpflegeschülerinnen und -schüler müssen ihre Ausbildung teilweise selbst finanzieren. Ein anderes Beispiel sind demgegenüber die Lehrlinge in der Metall- und Elektroindustrie, die in NRW 867 Euro im ersten Lehrjahr verdienen. So steht es im Tarifarchiv der Hans- Böckler-Stiftung. Und auch die Aufstiegschancen sind im Seniorenheim und im metallverarbeitenden Gewerbe – kurz gesagt – sehr unterschiedlich.

(Maik Beermann [CDU/CSU]: Dafür ist die Landesregierung zuständig! – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein tolles Argument! Ganz coole Debatte!)

IHKen, Gewerkschaften, Eltern und Migrantenverbände sind hier gefragt, und die gesamte Gesellschaft ist gefragt, das nicht länger hinzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Das ist auch angesichts dessen wichtig, was wir schon heute wissen: Wir werden zukünftig viel mehr Altenpflegerinnen und Altenpfleger brauchen.

Wen wollen wir für diese Berufe eigentlich noch begeistern? Es ist Zeit, diesen Frauen und Männern auch einmal Danke zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das auch als Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet. Die Chancen einer Region steigen, wenn sie junge Frauen fördert und ihnen eine Chance gibt; denn dort gehen die Frauen hin. Wo die Frauen hingehen, da sind die Männer auch nicht weit,

(Heiterkeit bei der Abg. Elke Ferner [SPD])

und das biologische kleine Einmaleins besagt: Da gibt es auch Kinder und wieder Arbeit.

Mein Opa war noch stolz darauf, dass er sagen konnte: „Meine Frau muss nicht arbeiten“, weil er genug verdient hat. So war das bei vielen – auch bei den Bergarbeitern im Ruhrgebiet. Meine Oma aber erzählte zeitlebens gern aus der Zeit, als sie noch im Schuhgeschäft gearbeitet hat, bevor der Krieg begonnen wurde und die jüdischen Besitzer dieses Schuhgeschäfts in Gladbeck fliehen mussten. Meine Oma hatte danach noch viel Arbeit, aber nie wieder ein Beschäftigungsverhältnis.

Seit ich mich politisch engagiere, hat sich vieles verändert. 1998 war es die rot-grüne Koalition, die die Familienpolitik in Deutschland entscheidend verändert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere an Christine Bergmann, an Edelgard Bulmahn, an Renate Schmidt und an den Ausbau der Ganztagsgrundschulen, den ich als Kommunalpolitikerin im Rat meiner Heimatstadt miterleben und mitgestalten durfte.

Aber es gibt in unserem Denken immer noch einen alten Webfehler, und der besagt: Papa ernährt die Familie, Mama verdient was hinzu: Taschengeld für Taschengeld extra und Urlaub, wenn es denn reicht. Fast die Hälfte aller Partnerschaften mit Kindern entscheidet sich für dieses Modell der Zuverdiener: Die Frau arbeitet in Teilzeit, der Mann in Vollzeit. Nur bei einem Viertel sind die Arbeitszeiten paritätisch verteilt.

Gleiche Chancen sind immer noch nicht gegeben. Da, wo die Frauen immer noch weniger verdienen – übrigens auch in vergleichbarer Beschäftigung –,

(Elke Ferner [SPD]: Genau!)

entstehen keine Gerechtigkeit und eben auch keine gleichen Ansprüche – etwa bei der Rente.

Deswegen ist Manuela Schwesig auf dem richtigen Weg und handelt klug, wenn sie von Zukunftsmodellen der Familienarbeitszeit spricht.

(Beifall bei der SPD)

Es geht darum, von diesem einseitigen Modell der Aufgabenverteilung bei Männern und Frauen wegzukommen.

Meine Heimat ist genauso wie das ganze Land von Zuwanderung geprägt; das haben wir mittlerweile gelernt. Das prägt auch die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier ist die Berufstätigkeit der Frauen bzw. der Migrantinnen entscheidend. Sie haben all die Probleme der Frauen am Arbeitsmarkt, aber davon noch mehr. Nur knapp über die Hälfte ist überhaupt erwerbstätig. Bei den Müttern ohne Migrationshintergrund sind es immerhin über 70 Prozent, wenn auch oft in Teilzeit. Aber deswegen ist es wichtig, dass wir die Migrantinnen mit Programmen vor Ort begleiten, so wie Manuela Schwesig das aktuell mit dem Programm „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ macht.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein Hinweis. Mir ist in Vorbereitung auf den heutigen Tag aufgefallen: Ein genauerer Blick auf die Zuwanderungsgruppen zeigt, dass es hier Unterschiede gibt. Laut Mikrozensus 2012 ist das überraschende Ergebnis: Nur 23 Prozent der Türkinnen und lediglich 20 Prozent der Frauen vom afrikanischen Kontinent sind erwerbstätig. Das ist umso dramatischer, weil mittlerweile fast jedes dritte Kind in Deutschland in einer Familie lebt, in der mindestens ein Elternteil selbst eingewandert ist oder eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzt. Wir sprechen hier von 4 Millionen Kindern.

Frau Kollegin, darf ich auch Sie darauf hinweisen, dass wir eine Redezeit für alle vereinbart haben?

Sie dürfen mich darauf hinweisen, Herr Präsident. – Ich komme zum Schluss. Ich sage es einmal so: „ Damlaya damlaya göl olur “. Da wir viele Türkinnen in diesem Land haben, müssen wir auch sie berücksichtigen. Das, was ich gesagt habe, heißt auf Deutsch: Viele Tropfen machen einen See. Oder: Steter Tropfen höhlt den Stein. Herr Präsident, wir Sozialdemokratinnen machen das so, schon immer, und das machen wir auch immer weiter.

Glück auf!

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sylvia Pantel.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4699180
Wahlperiode 18
Sitzung 91
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Beschäftigungssituation von Frauen
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