05.03.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 91 / Tagesordnungspunkt 10

Kai WhittakerCDU/CSU - Förderung und Integration von Arbeitslosen

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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Im Gegensatz zu Anträgen von manch anderer Oppositionsfraktion macht es mir heute wirklich Freude, mich mit dem Antrag der Grünen-Fraktion auseinanderzusetzen.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür habe ich ihn eigentlich nicht geschrieben!)

Da ist wenigstens Fleisch am Knochen. Sie sprechen in der Tat – das kann man einmal lobend erwähnen – einige wichtige Punkte an. Wenn man sich aber diesen Knochen genau anschaut, dann merkt man, dass daran kein Fleisch ist, sondern eher Tofu. Damit setzen Sie ihre Forderung nach einem fleischfreien Donnerstag tatsächlich um.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass die Politik für die Langzeitarbeitslosen gescheitert sei. Diese Behauptung ist schlicht falsch. Vor zehn Jahren gab es laut IAB 1,7 Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland. Heute sind es circa 1 Million Menschen. Da können Sie sich doch nicht ernsthaft hierhinstellen und sagen, es sei in den letzten Jahren nichts passiert. Zugegeben: Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem es wirklich um die ganz harten Fälle geht; das zeigt uns auch jede Studie.

Nur, liebe Kollegen der Grünen, anstatt mich nur auf die Aktenlage zu verlassen, bin ich jemand, der sich die Faktenlage gerne vor Ort anschaut.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein Alleinstellungsmerkmal!)

Im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, für drei Tage bei einem Langzeitarbeitslosen zu wohnen, mit ihm einkaufen zu gehen, mit ihm zu essen und ihn zu seiner Beschäftigungsgesellschaft zu begleiten. Das hat mir das Exposure- und Dialogprogramm im Erzbistum Trier ermöglicht.

Was habe ich gelernt? Ich habe gelernt, dass die bestehenden Beschäftigungsgelegenheiten den Betroffenen überhaupt nicht helfen. Sie lernen keine Fähigkeiten für den ersten Arbeitsmarkt. Das Schlimme ist: Auch die Langzeitarbeitslosen wissen das. Sie sehen in ihrer Tätigkeit überhaupt keine Perspektive oder irgendeinen Sinn. Das hat mich schon sehr nachdenklich gemacht.

(Ulli Nissen [SPD]: Gut, dass Sie das gemacht haben!)

Was habe ich noch gelernt? Ich habe gelernt, dass die meisten Betroffenen mit ihren Problemen komplett alleinegelassen werden, egal ob es um Sucht, Schulden oder familiäre Probleme geht. Wir Politiker nennen das ganz technisch Vermittlungshemmnisse. Aber diese Hemmnisse sind sehr individuell: Sie haben oft mit psychischen und physischen Einschränkungen zu tun. Wir tun noch viel zu wenig, um den Menschen bei ihren Problemen zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine wichtige Sache habe ich auch noch gelernt. Viele verschiedene Akteure kümmern sich um Langzeitarbeitslose. Da weiß die rechte Hand oft nicht, was die linke tut. An dieser Stelle wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit und eine bessere Abstimmung der Akteure.

Mein Fraktionsvorsitzender sagt immer: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. – Die spannende Frage ist jetzt: Welche Lösungen bietet Ihr Antrag für die Probleme dieser Wirklichkeit an? Sie bieten nichts anderes als das alte Konzept des sozialen Arbeitsmarkts. Ich persönlich bin kein Freund des Begriffs „sozialer Arbeitsmarkt“. Denn mit dieser Idee machen Sie ganz klar, dass die Menschen für den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr zu gebrauchen sind, und als Trostpflaster bekommen sie dafür noch staatliche Betreuung. Damit schreiben Sie über 400 000 Menschen in diesem Land schlicht und ergreifend ab.

(Beifall des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU])

Deshalb frage ich Sie, liebe Kollegen: Was für ein Menschenbild haben Sie eigentlich? Wollen Sie wirklich die Menschen nur beschäftigen, damit sie aus der Statistik herausfallen? Das ist nicht unsere Politik in der Union.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Kurth?

Ich würde gerne mit meiner Rede fortfahren.

Okay, akzeptiert.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dabei ist es doch jetzt gerade spannend!)

Dieses Signal zu senden, meine Damen und Herren, wäre verheerend. Wir dürfen Langzeitarbeitslose nicht einfach beschäftigen, sondern wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, sinnvollen Aufgaben nachzugehen. Nur so gewinnen sie, glaube ich, auch Selbstvertrauen und Selbstachtung. Auf einem sozialen Arbeitsmarkt hingegen fühlen sich die Menschen auf ein Abstellgleis abgeschoben. Dazu hätte ich in der Tat etwas mehr von Ihnen erwartet, liebe Grüne.

Es gibt ohne Frage auch gute Ansätze – das wurde schon angesprochen –, zum Beispiel das Coaching-Modell. Aber, Frau Kollegin Pothmer – Sie kommen aus Niedersachsen; da haben Sie mit Fasching nicht so viel zu tun –, bei uns im Badischen sagt man: Da kommen Sie wie die alte Fasnacht hinterher. Denn genau diesen Ansatz hat die Bundesregierung im November bereits vorgestellt. In dem Fünf-Punkte-Programm sind diese Komponenten ganz klar enthalten. Dafür möchte ich der Bundesregierung ganz herzlich danken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist die jetzt da?)

Aber bei Ihrer Forderung nach Coaching sind für mich wichtige Fragen noch nicht geklärt: Was bringt uns denn eine bessere Begleitung, wenn wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht nutzen können? Wie soll denn ein Coaching-Modell funktionieren, wenn die betreuenden Einrichtungen ihre jeweiligen Informationen nicht austauschen dürfen? Jede Einrichtung arbeitet vor sich hin, und keiner weiß, was der andere tut. An dieser Stelle müssen wir ansetzen und Wissen bündeln. Aber in Ihrem Antrag findet sich davon gar nichts. Ich habe den Eindruck: Sie scheuen den Konflikt mit Ihren lieben Vertretern in den Landesregierungen oder auch mit dem Datenschutz. Denn dieser wäre in der Tat davon berührt.

Liebe Kollegen von den Grünen, was hätte ich mir von Ihrem Antrag sonst noch gewünscht? Ich hätte mir gewünscht, dass Sie Möglichkeiten aufzeigen, wie man Langzeitarbeitslose näher an den ersten Arbeitsmarkt heranführt. Ein Blick in das SGB zeigt, welche sinnvollen Instrumente es schon gibt. Ich finde, dass das SGB IX mit den Integrationsfirmen für behinderte Menschen durchaus eine Möglichkeit bietet. In der Stadt Gaggenau in meinem Wahlkreis gibt es die Lebenshilfe, die für Daimler und Bosch Produkte herstellt. Das ist in der Tat ein unternehmerischer Ansatz, den man vielleicht ausweiten könnte. Ich wäre dazu bereit.

Wenn wir die Langzeitarbeitslosen in Deutschland wirklich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, dann müssen wir uns Folgendes klarmachen: Nicht die Integration durch Beschäftigung, sondern die Integration durch Arbeit hilft. Wir als Union möchten Dauerarbeitslose nicht auf einem Placebo-Arbeitsmarkt festhalten, sondern ihnen eine echte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt geben. Dafür setzen wir uns ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege Markus Kurth.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4699598
Wahlperiode 18
Sitzung 91
Tagesordnungspunkt Förderung und Integration von Arbeitslosen
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