Petra Pau - Rechtsschutz bei geheimen behördlichen Informationen
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 20 Jahre ist es her, dass dieses Haus durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze eine erhebliche Entlastung der Oberverwaltungsgerichte herbeiführen konnte. 1999 hat das Bundesverfassungsgericht dann verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich von Teilen des damaligen § 99 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesprochen; mein Kollege Herr Monstadt hat dies angesprochen. Denn, so das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung, ein effektiver Rechtsschutz könne nicht gewährleistet werden, wenn eine Aktenvorlage in den Fällen generell ausgeschlossen werde, in denen die Kenntnis der Verwaltungsvorgänge von maßgeblicher Bedeutung für das Verfahren sei.
Dies nahm die damalige rot-grüne Regierung zum Anlass – auch das ist angesprochen worden –, zu handeln. Unter maßgeblichem Einsatz des Rechtsausschusses mit meinem Genossen, dem ehemaligen Abgeordneten Alfred Hartenbach, aber auch mit dem Kollegen Volker Beck von den Grünen wurde daher die nun geltende Grundlage für eine verfassungskonforme Verwaltungsgerichtsordnung gelegt.
Durch das daraufhin eingeführte sogenannte In-camera-Verfahren, um das es heute maßgeblich geht, konnte seitdem in einem Zwischenverfahren die Überprüfung der Entscheidung, ob und in welchem Maße vorher durch Behörden als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Unterlagen in das Hauptsacheverfahren einbezogen werden können, herbeigeführt werden. Dazu wurden eigene Spruchkammern eingerichtet.
Auch in seinen letzten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht § 99 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht beanstandet. Dennoch heißt es im vorliegenden Gesetzentwurf, dass diese Regelung rechtsstaatlich bedenklich sei. Auch wenn Sie einräumen, unter den jetzigen Bedingungen könnten bipolare Streitverhältnisse in Prozessen von Bürgern gegen den Staat zwar rechtsstaatlich hinnehmbare Ergebnisse zustande bringen, käme es bei mehrpoligen Verfahren zu Konflikten. Grund hierfür soll aus Ihrer Sicht sein, dass in bestimmten Konstellationen keine zufriedenstellende Lösung herbeigeführt werden könne, wie es insgesamt schwammig formuliert wird.
Die von Ihnen im Gesetzentwurf angesprochene Sonderregelung des Telekommunikationsgesetzes ist auf die Bewältigung multipolarer Rechtsgüterkonflikte zugeschnitten, wie sie sich bei der Entgeltkontrolle im Telekommunikationsrecht ergeben, und zudem europarechtlich beeinflusst. Eine Verallgemeinerung dieser Regelung, insbesondere ihre Anwendung auf bipolare Konfliktlagen, kommt meines Erachtens daher nicht in Betracht.
Sofern als Hintergrund der vorgeschlagenen Gesetzesänderung von Datenspeicherungen Betroffene im gerichtlichen Verfahren bessergestellt werden sollen, finde ich den vor einiger Zeit durch das Land Niedersachsen angestoßenen Reformvorschlag deutlich zielführender. Hier wird vorgeschlagen, dass im Zwischenverfahren auch die Frage der Rechtmäßigkeit gespeicherter Daten geprüft werden kann. Dadurch könnte aus meiner Sicht das dann gewünschte Ziel eher erreicht werden.
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf soll § 99 Verwaltungsgerichtsordnung geändert werden, der, wie bereits ausgeführt – dennoch möchte ich das an dieser Stelle noch einmal deutlich machen –, wiederholt das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat und nicht beanstandet wurde.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Regelungsmaterie, mit der wir es hier zu tun haben, äußerst sensibel ist, da zwischen Geheimhaltungsschutz auf der einen Seite und den grundgesetzlichen Garantien des effektiven Rechtsschutzes sowie des rechtlichen Gehörs auf der anderen Seite ein Spannungsverhältnis besteht. Bei einer solchen Ausgangslage sollten wir Gesetzesänderungen nur in Betracht ziehen, wenn dafür nachweisbar ein Bedürfnis besteht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ihr Papier führt diesen Nachweis nicht. Auch sind mir aktuell keine Probleme aus der Praxis bekannt.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir schon!)
Dennoch zurück zu Ihrem Antrag. Besonders problematisch erscheint mir, dass die Durchführung eines In- camera-Hauptsacheverfahrens nur durch den Kläger, nicht aber durch andere Beteiligte beantragt werden kann. Diese einseitige Ausgestaltung dürfte dann sachlich nicht gerechtfertigt sein, wenn die geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge beispielsweise nicht der beklagten Behörde zugeordnet werden können.
Bedenklich ist außerdem die vorgesehene Verwertung der geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge durch das Gericht der Hauptsache bei gleichzeitigem Ausschluss des Akteneinsichtsrechts und bei Einschränkung der Begründungspflicht sowie des rechtlichen Gehörs. Diese beantragten Maßnahmen führen dazu, dass sich die Beteiligten am Ende des Verfahrens mit einer Entscheidung des Gerichts konfrontiert sehen, die unschlüssig bzw. nicht nachvollziehbar ist; das wurde hier schon angesprochen. Damit würde natürlich keineswegs die Akzeptanz der Entscheidung gefördert werden, wie Sie es hingegen behaupten.
Die als Ausgleich geforderte Einführung eines neuen Berufungszulassungsgrundes ist nicht geeignet, hier für die nötige Abhilfe zu sorgen; denn logischerweise muss auch die nächste Instanz aus Gründen des Geheimhaltungsschutzes bei einem für die Beteiligten geheimen und intransparenten Verfahren bleiben. Auch hier würde das Urteil zu voraussichtlich maßgeblichen Fragen keine Begründung liefern können.
Zudem möchte ich deutlich machen, dass ich die bisherige Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bzw. des Bundesverwaltungsgerichts aus sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten als kluge Entscheidung des Gesetzgebers betrachte
(Beifall des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/ CSU])
und sie für verfassungsrechtlich mindestens sinnvoll halte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Auch scheint fraglich, ob die Verwaltungsgerichte in gleichem Maße wie die nach geltendem Recht zuständigen Fachsenate der OVGs, der VGHs und des Bundesverwaltungsgerichts die Einhaltung der Anforderungen des materiellen und personellen Geheimschutzes gewährleisten könnten.
Ich denke, ich habe die Fragen, die Problemstellungen und die Kritik im Hinblick auf Ihren Gesetzentwurf hinreichend deutlich gemacht, den wir aus den genannten Gründen ablehnen müssen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alexander Hoffmann das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4700117 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 91 |
Tagesordnungspunkt | Rechtsschutz bei geheimen behördlichen Informationen |